Bangladesch: Der größte Berg ist 19 Meter hoch
EDITION LE MONDE „Warmzeit – Klima, Mensch und Erde“ – Wie geht es weiter mit Bangladesch? Wird das Land bis 2050 tatsächlich, so die Befürchtungen, 20 Prozent seiner Fläche durch Überflutungen verlieren oder gelingt die Rettung? Franz Alt – Fernsehjournalist – ist heute informeller Klimaberater für Bangladesch.
Die wir mit dem Feuer spielen
Der Klimagipfel in Paris war der letzte Startschuss. Nach zwei Jahrzehnten der Stagnation, in denen der CO2-Ausstoß weiter zunahm, schwebt wieder Hoffnung durch die Atmosphäre. Aber wie geht es jetzt weiter? Bleibt China noch genug Luft zum Atmen? Können Vögel Windrädern ausweichen? Schmilzt das Polareis wirklich so schnell?
Der Beitrag in „Warmzeit“ von Franz Alt
Im Jahr 1971 war ich als junger Fernsehreporter zum ersten Mal in Bangladesch, das damals noch Ostpakistan hieß. Kurz zuvor war das Land war von einer schweren Sturmflut heimgesucht worden, bei der 350.000 Menschen ums Leben kamen. Es war wie ein Kriegserlebnis. Bei den Dreharbeiten auf dem Ganges sahen wir ständig Leichen, manchmal auch Leichenberge. Trotz dieser entsetzlichen Situation sind wir – und das war ungeheuer beeindruckend – immer wieder fröhlichen Menschen begegnet. Mitten in diesem kaum vorstellbaren Leid. Eine Mutter hatte zwölf ihrer dreizehn Kinder verloren; sie hat drei Tage lang fast ununterbrochen ihre Gebete gesungen, der Gesang ging später minutenlang über den Sender. Von den 15 Millionen Fernsehzuschauern, die unsere Reportage damals sahen, haben viele mit außergewöhnlicher Anteilnahme und enormer Spendenbereitschaft reagiert.
Seit dieser ersten Reise ist mir das Land ans Herz gewachsen. Auffallend war, trotz aller Katastrophen, die große Aufbruchsstimmung, die auch im Gespräch mit dem damaligen Führer der Unabhängigkeitsbewegung zu spüren war: Scheich Mujibur Rahman, der heute gern „Father of the Nation“ genannt wird. Seit Januar 2009 ist seine Tochter, Scheich Hasina Wajed, die Regierungschefin. Seit dieser ersten Reportage habe ich intensive Kontakte nach Bangladesch und tiefe emotionale Bindungen. Es folgten weitere Filme und Spendenkampagnen mit Unterstützung der NGO „Andheri-Hilfe“. Bei diesen Kampagnen kamen mehr als 100 Millionen Mark zusammen. Mit dem Geld wurden vor allem Augen-OPs finanziert, 2006 wurde die einmillionste Augen-OP gefeiert.
Inzwischen war ich viele Male im Land, werde demnächst wieder hinfliegen, um über die deutsche Energiewende zu sprechen. Umgekehrt kommen Bangladescher zu uns nach Baden-Baden und wir fahren mit ihnen durch Deutschland zu interessanten Energieprojekten, Firmen, Instituten und immer wieder werde ich auch um Rat gefragt und vermittle Kontakte. So besitze ich, wenn man so will, einen inoffiziellen Beraterstatus. Zuletzt war der Generalsekretär der Regierungspartei, Abu Sayed Al Mahmud Shapon in Deutschland; wir haben Solarsiedlungen besucht, waren beim Wuppertal- und Fraunhofer-Institut. Das sind wichtige Kontakte für ein Land, das wie kaum ein anderes zum Frontstaat des Klimawandels geworden ist.
Bangladesch kennt seine Verwundbarkeit. Die Klimabedrohung wird keineswegs als Wille Allahs verklärt, gegen den man sowieso nichts machen kann. Nein, ich erlebe das ganz anders. Mich haben schon neunjährige Kinder darüber aufgeklärt, was der Klimawandel ist und was man dagegen tun könnte. Das war ein Junge, der auf dem Fahrrad, zusammen mit seinem Vater, eine kleine Solaranlage transportierte. Er hat mir mit wenigen Sätzen beigebracht, dass wir zu viel Kohle, Öl und Kerosin verbrauchen, dass dies den Planeten aufheizt und wir vernünftig sein und umdenken müssen. Ein Schüler mit neun! Seitdem bin ich verärgert, wenn deutsche Zeitungen schreiben, dass in islamischen Ländern Umweltkatastrophen und Klimaveränderungen schicksalsergeben hingenommen werden. Das Land ist sich nicht nur bewusst, dass es ganz elementar von der Erhitzung der Erde und vor allem vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen ist. Man weiß auch sehr genau, dass man diese Erwärmung aufhalten oder zumindest begrenzen könnte. Nicht nur mit Allahs Willen, sondern mit dem politischen Willen der Weltgemeinschaft.
Das Klima ist auch bei den kleinen Leuten ein großes Thema. Typisch ist die Geschichte eines 22-jährigen Mannes, der zusammen mit seiner Mutter schon fünfmal sein Haus neu aufbauen musste, weil es immer wieder überflutet worden ist. Diese Leute erfahren am eigenen Leib, was Klimawandel ist. Sie kämpfen jetzt alle drei, vier Jahre gegen die Flut, bei der letzten waren 30 Millionen Menschen betroffen. Da schlagen bis zu fünf, im Extremfall zehn Meter hohe Wellen auf das Land ein. Bangladesch ist etwa so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Auf dieser Fläche leben aber keine 10 oder 20, sondern 160 Millionen Menschen. Es ist das am dichtesten besiedelte Land der Erde, deshalb muss man auch die Küstenregionen bebauen. Und diese Küsten werden jetzt mit beängstigender Regelmäßigkeit so stark überschwemmt wie sonst alle 20 Jahre. Die Flutwellen brechen bis zu 50 Kilometer ins Landesinnere ein. Der südliche Landesteil mit den großen Flussdeltas ist besonders bedroht. Zur Erinnerung: In Bangladesch ist der höchste Punkt des Landes 19 Meter hoch, die durchschnittliche Höhe liegt bei drei Metern. Deswegen werden weite Teile des Landes eine Temperaturerhöhung von zwei Grad nicht überleben. Zuletzt wurde auf dem Klimagipfel in Paris ein Temperaturziel von 1,5 Grad anvisiert. Wir tun manchmal so, als wäre das im Grunde egal: 1,5 oder 2 Grad, Hauptsache, es passiert etwas. Für Bangladesch sind das aber Überlebensziffern. Zwei Grad reichen nicht, zwei Grad bedeuten, im wörtlichen Sinn, den Untergang.
Früher war das Wasser ein großer Segen. Es floss vom Himalaya herunter und brachte fruchtbare Sedimente mit. Jetzt wird das Wasser zur permanenten Gefahr. Erst gibt es Trockenheit und Dürren und es fehlt überall Wasser. Dann kommt es in tödlichen Mengen – als salzige Sturmflut. Nicht nur die Zerstörungskraft ist verheerend, sondern auch die Versalzung der Ackerböden. So verlieren die Bauern alle paar Jahre ihre Häuser oder ihre Felder oder beides. Durch die Erosion des steigenden Meerwasserspiegels gehen wertvolle Flächen verloren. Bangladesch kann aber keine großen Dämme bauen und sich nicht, wie etwa die Niederländer, an den Klimawandel anpassen, sich wirksam davor schützen. In Bangladesch gibt es stattdessen große Fluchttürme, von denen viele im Süden des Landes stehen. Da sollen die Menschen hinaufsteigen, wenn die Flut kommt. Vielleicht gibt es einige Hundert dieser Türme, aber ich glaube nicht, dass mehr als 500 oder vielleicht auch tausend Menschen auf solch einem Turm Platz finden. Das sind relativ primitive Notfallmaßnahmen. Teilweise werden neue Häuser auch wie auf Stelzen gebaut. Auf einer der Inseln soll es einen festen Beschluss geben, dass Neubauten auf mindestens 2,74 Meter hohen Fundamenten angelegt sein müssen. Am Zustandekommen dieses Gesetzes war auch eine NGO des Landes beteiligt. Es gibt noch einen anderen Fortschritt: die Flutwarnung. Zum Glück werden die Menschen gezielt mit Radios versorgt, damit sie die Alarmrufe bei einer drohenden Flut rechtzeitig erreichen.
Bangladesch gehört zu den ärmsten Ländern der Erde, das dürfen wir nicht vergessen, auch wenn es große soziale Fortschritte im Land gibt. Heute muss zumindest niemand mehr verhungern. In den 1970er Jahren, als ich das erste Mal dort war, bekam eine Frau im Schnitt acht Kinder, heute bekommt sie zwei bis drei Kinder, das sind gewaltige Veränderungen. Bangladesch entwickelt sich auf vielen Ebenen, aber die Herausforderungen sind groß und die Veränderung des Klimas hat viele hässliche Gesichter. In der Hauptstadt Dhaka hat sich die Bevölkerung in den Jahren meiner Besuche von 1,5 auf 15 Millionen glatt verzehnfacht. Wenn Dein Land ständig überflutet und Dein Haus oder Deine Hütte weggeschwemmt wird, dann ziehst Du irgendwann in die Stadt. Natürlich gibt es noch andere Gründe, vor allem die Armut auf dem Land, aber das Klima verstärkt diesen Trend.
Bangladesch zählt jedes Jahr etwa eine Million Klimaflüchtlinge. Deswegen hat Indien eine riesige Mauer an der Grenze aufgebaut, über die leider nur selten berichtet wird. Dort fallen immer wieder Schüsse, es gibt Tote zu beklagen. Die Inder fürchten, dass die Bangladescher sie überrennen könnten. Weil die meisten jetzt nicht mehr nach Indien flüchten, gehen sie in die großen Städte. Binnenflüchtlinge sind das große Problem des Landes.
Zu den erfreulichen Trends gehört die Entwicklung des Energiesektors. Biogas- und Solaranlagen werden verstärkt installiert und jetzt auch erste Windräder. Wenn das eine ausländische Hilfsorganisation wie die Andheri-Hilfe macht, dann nimmt auch die Regierung Notiz davon. Ende 2015 wurde ein staatliches Klimaschutz-Programm aufgelegt – für fünf Jahre bis 2020. Zielvorgabe: 3.168 Megawatt Erneuerbare Energien sollen aufgebaut werden, davon rund 1700 MW Solar und 1300 MW Windkraft. Ganz unabhängig von den Plänen der Regierung installieren die Bewohner kleine, sogenannte Solar Home Systems für die Eigenversorgung. Bangladesch ist weltweit Spitzenreiter mit 3,6 Millionen dieser Haus-Solaranlagen, in den Boomzeiten wurden 8.000 Anlagen am Tag verkauft. Der Ertrag für Solarmodule ist gut, das Land hat fast doppelt so viel Sonnenstunden wie Deutschland. Es gibt auch kleine Biogasanlagen, die häufig mit dem Kot des Viehs betrieben werden. Der Nebeneffekt: Die Leute erzählen voller Stolz, dass ihre Kinder jetzt zur Schule gehen, weil sie abends mit elektrischem Licht Hausaufgaben machen können. Tagsüber arbeiten sie auf dem Feld, da bleibt keine Zeit zum Büffeln. Und was lernen die Kinder in der Schule? Sie lernen, was man gegen den Klimawandel tun könnte.
Die dunkle Seite der Energiepolitik sind die Atomlobbyisten. Die Regierung des Landes wird regelrecht belagert von diesen Leuten. Vor allem russische Atomverkäufer machen Druck. Die Russen wollen in Bangladesch allen Ernstes zehn Atomkraftwerke bauen, jedenfalls erzählen sie das ständig. Bisher hat die Regierung diesen Verlockungen, die vermutlich auch mit Korruptionsversuchen gekoppelt sind, widerstanden. Vor allem Generalsekretär Abu Sayed Al Mahmud Shapon erkennt die Chancen der Erneuerbaren Energien. Der deutsche Weg ist für ihn Vorbild, das darf man auch mal sagen.
Wie geht es weiter mit Bangladesch? Wird das Land bis 2050 tatsächlich, so die Befürchtungen, 20 Prozent seiner Fläche durch Überflutungen verlieren oder gelingt die Rettung? Aus eigener Kraft kann Bangladesch jedenfalls nicht überleben, es braucht die internationale Klimapolitik. Nach dem Gipfel von Paris gibt es zumindest wieder Hoffnung.
Aufgezeichnet von Manfred Kriener
Quelle
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