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Das geheime Leben der Bäume

Was sie fühlen, wie sie kommunizieren – die Entdeckung einer verborgenen Welt. Bruder Baum – Zu der Entdeckung der Lebensart Baum. Von Rupert Neudeck

Das ist ein erfrischendes Buch, das uns einen Teil der uns umgebenden Natur auf eine sehr reizvolle Art verstehbar und nahbar macht. Die Bäume scheinen uns ja noch ferner als manche Haustiere, denen wir den Status des Kompagnons manchmal schon leichtfertig einräumen. Der Autor versucht uns und sich zu sagen, was er als Förster in einem Eifeler Wald alles gelernt hat in seiner Berufszeit. Er hat die angelernte oder jetzt neu erworbene Fähigkeit, die Bäume, mit denen er solch freundschaftlichen Umgang hat, so zu beschreiben, dass sie uns zu neuen Weggefährten in eine bessere Zukunft werden. Um es an einem Beispiel festzumachen. Schon die Kapitelüberschriften lassen keinen Zweifel, für den Förster Peter Wohlleben sind das alles Genossen im Kampf um eine naturgerechtere Welt. Im Kapitel, wie jedes andere anthropomorph überschrieben: „Bäume stehen zu Ihrem Alter“ heißt es: Neben der Haut und dem Moosbewuchs sind es weitere körperliche Veränderungen, die uns das Alter von Bäumen anzeigen.

„Da wäre etwa die Krone, und hier gibt es sogar eine Parallele zu mir selbst. Mein Haar wird ganz oben schütter, wächst nicht mehr so wie in meiner Jugend.“ Das sei bei den höchsten Kronenästen nicht anders. Ab einem bestimmten Zeitpunkt, je nach Baumart nach 100 bis 300 Jahren, werden die jährlichen Neuaustriebe immer kürzer. Es ist alles so geschrieben, dass sich der Leser hingezogen fühlt zu Bruder Buche und Freund Fichte und sich diesen neuen Gefährten jedenfalls literarisch plötzlich sehr nahe fühlt.

Abgesehen von der ganz anderen Geschwindigkeit der Bäume und Ihres Wachstums lebt das Buch und lebt sein Autor von immer neuen Parallelen zu unserem Leben. Vieles sei erforscht, manches noch nicht. Aber der Autor weiß aus einer Feldbeobachtung eben so viel, dass er ohne Zögern dann schreibt: „Die Haut ist eben nicht nur bei uns ein Spiegel der Seele (oder des Wohlbefindens)“.

Und bei dem Marsch durch die Forschungsabteilungen und Theologien, die sich dem in den Weg stellen könnten, ist er ganz selbstbewusst. Franziska Baluska erwähnt er, die habe in der Wurzelspitze der Bäume „gehirnähnliche Strukturen“ gefunden bei ihrer Arbeit für „zelluläre und molekulare Botanik“. Dann kommt der Förster Wohlleben: Ob man hier den Hort von Intelligenz, Erinnerungsvermögen und Emotionen sehen kann, werde aktuell von der Mehrheit der Pflanzenforscher in Zweifel gezogen. Diese Forscher regen sich auf über die Übertragung der Befunde bei Tieren und letzten Endes darüber, dass die Grenzen zwischen Pflanzen und Tieren zu verwischen drohen. Darauf der Autor mit dem besten philosophischen Argument: „Na und? Was wäre so schlimm daran? Die Trennung Pflanze/Tier ist ohnehin willkürlich gewählt und an der Art der Nahrungsbeschaffung aufgehängt“.

Eigentlich ist an dem Förster und Autor ein Philosoph verloren gegangen: Denn das sind alles philosophische Fragen: An irgendetwas muss man ja Unterschiede festmachen. Warum, seien langsame Wesen automatisch minderwertiger als schnelle? Da verselbständigt sich etwas bei dem Autor: Unterscheidungen bedeuten ja keine Rangunterschiede oder Hierarchien. Aber es kann sein, dass der Ökologe Recht hat, wenn er den Verdacht (nicht mehr) äußert, „dass man mehr Rücksicht auf Bäume und anderes Grünzeug nehmen müsste, wenn man feststellen würde, wie ähnlich sie in vielem den Tieren sind“.

Vielleicht tut der Autor manchmal in seiner unbändigen Neigung, unser schnelllebiges menschliches mit dem langsamen Bäumeleben zu parallelisieren etwas zu viel des Guten. Immerhin tut er uns noch den Gefallen zu sagen, dass er die Haut von Buchen, Fichten, Eichen und von sich „Rinde“ nennt. Und diese Rinde bekommt, wenn die Lebensmitte überschritten ist, ebenfalls von unten beginnend Falten. Das Alter ist natürlich etwas, was über unsere Vorstellungswelt als sterbliche Wesen hinausgeht. Die Eibe, ein Abbild von Geduld und Genügsamkeit werde einfach 1.000 Jahre alt. Und in der schwedischen Provinz Dalarna wurden uralte Fichten auf ihr Alter untersucht. Genauer das Wurzelholz wurde mit der C14 Methode untersucht, C14 sei ein radioaktiver Kohlenstoff, der sich immer neu in der Atmosphäre bildet und dann wieder langsam zerfällt. Diese Fichte hatte nach dieser Untersuchung ein Alter von 9.550 Jahren. Damit waren ganze andere Lehrurteile über Bord geworfen. So hatte man angenommen, dass die Fichte erst vor 2.000 Jahren nach dem Rückzug des Eises in der Eiszeit in diesem Teil Schwedens angekommen sei.

Die Überschriften sind alle markant, so dass man als Leser immer wieder gespannt ist, was denn der Förster-Autor da wieder herausgebracht hat. So „die Sprache der Bäume“, „Baumlotterie“, es sind alles Variationen ein und desselben Themas: Die Wälder und Bäume verdienen eine höhere Wertschätzung für unser Leben. Nur an ganz wenigen Stellen stoppt der Autor seinen sonst ungebremsten Anthropomorphismus, also die Gleichstellung von uns mit den Bäumen. Als Beispiel:

„Wenn Bäume vom Schlaraffenland träumen könnten, dann müsste es genauso aussehen“. Das heißt, dann muss der Förster – Mensch es für sie so beschreiben: Schön feucht muss das Erdreich sein, vor allem im Sommer. Er darf nicht zu heiß werden, der Winter nicht zu frostig. Der Schneefall sei nur mäßig. Doch bis auf wenigen Fleckchen Erde findet man solche idealen Rahmenbedingungen nirgends.

Das Zentrum des Buches ist gleichsam das mit dem überraschenden Titel: „CO2-Staubsauger“ Bäume seien auch schon vor der Klimakrise ein Sinnbild für ausgeglichene Bilanzen gewesen. Die Bäume betreiben Fotosynthese, erzeugen dabei Kohlenwasserstoffe und speichern im Laufe ihres Lebens dadurch bis zu 20 Tonnen CO2 in Stamm, Ästen und Wurzelwerk. Deshalb gerät hier die Sprache des Försters fast hymnisch: Der Wald sei in Wahrheit „ein gigantischer CO2 Staubsauger, der diesen Luftbestandteil fortwährend ausfiltert und einlagert“ Zwar werde ein Teil davon nach seinem Tod wieder in die Atmosphäre gegeben, doch der große Rest verbleibt dauerhaft im Ökosystem. Das Absurde heute: in den großen konventionellen Kraftwerken werden heute fossile Wälder verfeuert. Wäre es da nicht sinnvoll, wenn wir unseren Bäumen die Chance ließen, es den Ahnen gleichzutun? Sie könnten zumindest einen Teil des CO2 weder einfangen.

Und wieder das Plädoyer für Langsamkeit, nur mit Langsamkeit kann der Baum alt werden. Es sei ein ungesundes Wachstum, das auch durch die Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft weiter befeuert wird. Es gilt weiter: Weniger (=CO2) ist mehr (Lebenszeit). Der Autor kann sich korrigieren in dem, was er als junger Forststudent gelernt hat. Damals hieß es: Junge Bäume wachsen schnelle als alte. Und seien auch vitaler. Nun haben aber internationale Forscher weltweit rd. 750.000 Bäume auf allen Kontinenten untersucht. Das Fazit: „Je älter Bäume werden, desto schneller wachsen sie: So erzeugen Bäume mit einem Meter Stammdurchmesser dreimal so viel Biomasse wie Exemplare, die nur halb so dick waren. Nur im Sinne der geschäftlichen Holznutzung zeichnet sich im Alter der Bäume eine Wertminderung ab. „Möchten wir Wälder als Kampf gegen den Klimawandel benutzen, dann müssen wir sie alt werden lassen“.

Wie wir unsere Welt zumauern mit unserer technischen Zivilisation und uns dann noch wundern, warum Mammutbäume in Europa nie besonders groß werden? Obwohl doch einige schon 150 Jahre alt sind, habe noch keiner die Höhe von 50 Metern überschritten. Der Grund sind meist die Standorte: oft seien es Parks in Städten, wo die Bäume als exotische Trophäen von Politikern gepflanzt wurden, früher von Fürsten. Was hier vor allem fehlt ist der Wald, oder, wie es der Autor sagt: Verwandtschaft. Mit den genannten 150 Jahren seien diese Bäume immer noch Kinder, die hier fern von ihrer Heimat ohne Eltern aufwachsen.

„Kein Onkel, keine Tanten, kein munterer Kindergarten, sie müssen ihre Leben ganz allein auf weiter Flur fristen. Das Fehlen einer stillenden Mutter ist nicht so leicht zu verschmerzen.“ Das ist ja knochenharter Boden. Das Wasserproblem wäre nur zu lösen, wenn die Gärtner mehrerer Kubikmeter Wasser aus ihren Schläuchen verspritzen und zwar pro Baum.  Also werde die Fürsorge bald eingestellt. Der Autor hat ganz tolle sprachliche Formulierungen: Stadtbäume sind die Straßenkinder des Waldes“. Wenn nämlich diese Straßenkinder die ersten Jahrzehnte im Park verbracht haben, wo sie regelmäßig getränkt werden. Wenn sie dann aber mit den Wurzeln weiter ausgreifen wollen, erleben sie ihr blaues Wunder. Denn das Erdreich unter der Straße ist nicht viel härter, weil es extra mit Rüttelplatten verdichtet wurde. Im Wald ist das für die Wurzeln kein Problem, man kann in die Breite expandieren. Aber hier an der  Fahrbahn, im Gehweg sind es Leitungen und der im Zuge des Einbaus verdichtete Boden. So kommt es zu Problemen.

An solchen Standorten arbeiten sich Platanen, Ahorne oder Linden unterirdisch in Abwasserrohre vor. Damit werden manchmal die Funktionen unseres Systems angetastet. Beim nächsten Gewitter stehen die Straßen unter Wasser. Spezialisten finden heraus, welcher Baum der Verursacher der Verstopfung ist. „Sein Ausflug in das Paradies unter dem Gehweg wird mit dem Tode bestraft – er wird gefällt und sein Nachfolger durch eine eingebaute Wurzelsperre am Nachahmen gehindert.

Wie werden wir daraus lernen? Der Autor hat seine ausgegrenzte Welt in der Gemeinde Hümmel in der Eifel. Aber es gibt eine ganze Menge von Nutzanweisungen für eine ganz neue Raumordnungspolitik, für weniger Flugplätze, für weniger Autobahnen, für weniger versiegelte Wege. Welche Partei dafür in Frage käme? Ich fürchte-hoffe, nur eine, die die Förster und Gärtner und die Liebhaber der Wälder erst gründen.

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Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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