Das Schweigen redet
Wann vergeht diese Vergangenheit? Vom beredten Schweigen zur Versöhnung.
„Es kommt alles wieder, was nicht bis zu Ende gelitten und gelöst ist.“ Dieser in der Einleitung zitierte Satz von Hermann Hesse trifft genau die Ausgangslage von „Das Schweigen redet“.
Der Autor Johannes Czwalina, der bisher vor allem mit Publikationen rund um Arbeitswelt, Karriere und Ethik bekannt geworden ist, widmet sich in seinem neuen Buch einem historischen Thema: dem Schweigen von Nazitätern, -opfern und deren Nachkommen sowie den Auswirkungen des Verdrängten. Die Frage im Untertitel „Wann vergeht diese Vergangenheit?“ beantwortet Hesse im obigen Zitat.
Nebst zahlreichen Beispielen, die den Effekt des gebrochenen Schweigens illustrieren, bietet der Autor und Unternehmensberater auch Lösungsansätze an.
Während das hartnäckige Schweigen von Mördern des Nationalsozialismus und Traumata von HolocaustÜberlebenden und deren Angehörigen eher bekannte Phänomene sind, weist Czwalina mit der Übertragung von Schuld auf Täternachkommen und dem Schweigen auch der Opfer – nicht selten und paradoxerweise ebenfalls aus Schuldgefühlen – auf bisher selten besprochene Parallelen zwischen Tätern und Opfern hin.
Als Lösung der über Generationen vererbten Traumata und teilweise diffusen Schuldgefühle – auch die Verbrechen der RAF ordnet der Autor als Folge des Schweigens der Generation des Zweiten Weltkriegs ein – präsentiert Czwalina das nicht unumstrittene Konzept der Vergebung. Dies erscheint angesichts der Ungeheuerlichkeiten des Holocausts auf den ersten Blick nicht nur unzumutbar, sondern auch unmöglich.
Doch der Autor führt nicht nur den Philosophen Jacques Derrida an, der Vergebung per se nur für Unvergebbares vorsieht, sondern auch zahlreiche Aussagen von ehemaligen KZ-Häftlingen, die durch die eigene Bereitschaft zu vergeben oftmals selber überrascht wurden.
Dass das aus christlicher Lehre bekannte Konzept auch gesellschaftspolitische Relevanz hat, zeigt eindrücklich die Dokumentation des Versöhnungsprozesses nach dem Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika mit dem Einsetzen einer Wahrheitskommission.
„Das Schweigen redet“ ist ein bewegendes und doch leicht lesbares Buch, das verblüffende Erkenntnisse vor allem aus der Opferperspektive bietet. Bestechend sind auch die konkreten Vorschläge, wie Schweigen gebrochen und so Versöhnung erreicht werden kann.
Zwar trifft man gerade hier auf zum Teil Widersprüchliches und auch auf Wiederholungen. Diese sind der immer wieder neuen Annäherung ans Thema geschuldet, die stets zur gleichen Lösung führen: Vergeben, aber nicht durch Vergessen, sondern im Gegenteil durch aktives Erinnern.
Quelle
Riehener Zeitung | Michèle Faller 2013