Das stille Sterben vor unserer Haustür
Susanne Dohrn plädiert für mehr Naturschutz und eine ökologische Landwirtschaft. Rezension von Marko Ferst
Ist vom Artensterben die Rede, kommen üblicherweise der Regenwald zur Sprache oder die Korallenriffe als die Refugien mit der weltweit höchsten Artendichte. Schätzungen gehen davon aus, täglich sterben ungefähr 300 bis 400 Tier- und Pflanzarten aus. Dies ist abhängig davon, wie hoch man die Gesamtzahl existierender Arten ansetzt, der Abholzungsrate, steigender Meerestemperaturen etc. Das Buch von Susanne Dohrn schaut jedoch vor die eigene Haustür in Deutschland und fokussiert auf die Landwirtschaft als Treiber für das stille Sterben hierzulande. Die so in Misskredit Geratenen mögen einwenden, jeden Tag gingen immer noch rund 61 Hektar Acker, Wiesen und Wald in Siedlungs- und Verkehrsfläche über. Neue Straßen zerschneiden Naturräume in immer kleinere Flächen. All dies ist zutreffend, erübrigt aber nicht die Weichen in Richtung einer ökologischen Landwirtschaft zu stellen. Immerhin wird die Hälfte der Flächen in Deutschland landwirtschaftlich genutzt, so Dohrn.
Österreich wartet mit 22 Prozent an Fläche mit ökologischem Landbau auf, Schweden mit 18 und Estland mit 19. Deutschland dümpelt im EU-Mittelfeld mit 7,5 Prozent. Spanien liegt mit einer Anbaufläche von über zwei Millionen Hektar vorn. CDU Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hätte guten Grund zu schauen, was wir ändern müssen und warum wir das einstige Ziel von Rot-Grün, 20 Prozent ökologischen Landbau in Deutschland bis 2020 zu erreichen, grandios verfehlen werden. Das Angebot an Bioprodukten liegt deutlich hinter der heimischen Nachfrage zurück. Ein Problem ist, so die Autorin, die Biobetriebe können rasant steigende Pachtpreise nicht zahlen. Sie kritisiert überdies, 2014 blieben von sieben Prozent ökologischer Vorrangfläche nur fünf Prozent übrig, auch auf Wunsch der deutschen Politik hin. Nur so gibt es die Prämie von 300 € je Hektar für den Landwirt.
Die Feldlerche war einst einer der häufigsten Acker- und Wiesenvögel in Europa. Innerhalb von 20 Jahren gingen die Bestände bis 1990 um die Hälfte zurück und sie steht inzwischen auf der Roten Liste − Kategorie drei −, gefährdet. In Brandenburg halbierten sich innerhalb von zehn Jahren bis 2006 die Bestände von Baumpieper, Feldsperling, Kiebitz, Kuckuck, Neuntöter und Stieglitz. Vor 200 Jahren lebten noch 80 Prozent mehr Vögel in Deutschland, schreibt Peter Berthold in seinem Buch „Unsere Vögel“ und unterstreicht damit Dohrns Kritik. In den vergangen 27 Jahren verringerte sich die Gesamtmasse der Insekten in Deutschland um rund 75 Prozent. Es fällt auf, die tödliche Quelle gelangt nicht in die Wälder und kommt nicht Erhebungen hinauf. Neonicotinoide spielen bei Hummeln und Bienen eine tragische Rolle, wie weit die aktuellen Verbote einiger dieser Stoffe ausreichen, muss sich noch zeigen. Glyphosat und andere Pestizide entziehen jene Nahrungsgrundlage, auf die die Vögel der Agrarlandschaften angewiesen sind. Wenn in Deutschland bei etwa einem Dreiviertel der Menschen Glyphosat im Urin nachgewiesen wurde, ist das ganz sicher nicht gesundheitsfördernd, so sehr sich Lobbyisten bemühen, den Krebsverdacht herunterzuspielen.
Mehr als die Hälfte der in Deutschland vorkommenden Amphibienarten steht auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten. Die Todesrate von Fröschen, Kröten und Molchen beim Pflügen liegt bei 100 Prozent. Volldünger, Gartenfreunde kennen es als „Blaukorn“, verätzen die Haut und führen zu Lähmungen. Düngemittel gelten in Fachkreisen, so Dohrn, als wichtige Ursache des weltweiten Aussterbens von Amphibien. Großflächig eingesetzte Düngemittel führten in Gewässern zu schlechter Entwicklung von Kaulquappen. Schnecken gedeihen besser, führen aber einen Saugwurm mit sich, der die Kaulquappen befällt. Andererseits wachsen Rohrkolben, Wasserlinsen und Grünalgen besser, bei der Zersetzung entsteht Sauerstoffmangel und Bodenschlamm. Die Gewässer eignen sich nicht mehr zur Überwinterung und als Laichplatz, so die Autorin.
30 Millionen Tonnen Exkremente fallen jährlich in Deutschlands Ställen an. Die EU-Kom-mission verklagte Deutschland wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser, 50 Milligramm pro Liter sind zugelassen, für Säuglinge nur zehn. Nitrat behindert die Sauerstoffaufnahme im Blut und wandelt sich im Körper in krebserregendes Nitrit um. Es wäre also ratsam, nur soviel Gülle auszubringen, wie die Pflanzen aufnehmen können.
Bis ein mächtiges Moor entsteht, braucht es mehrere tausend Jahre, einen halben bis einen Millimeter wächst es pro Jahr. In den Mooren, die etwa vier Prozent Deutschlands bedecken, wird genauso viel Kohlendioxid gespeichert wie in den Wäldern, die etwa 30 Prozent einnehmen. Dies macht schlagartig klar, warum Torf als Gartenerde zu verbrauchen, keine so gute Idee ist, zumal frühere Generationen bereits großräumig Raubbau betrieben haben. Dohrn verweist darauf, 57 Prozent der landwirtschaftlichen Emissionen gehen auf die landwirtschaftliche Entwässerung von Mooren zurück. Effektive Moorschutzprogramme der Länder sind also ein zentraler Baustein beim Klimaschutz und helfen überdies vielen stark spezialisierten Tier- und Pflanzenarten, die vom Aussterben bedroht sind.
In ihrem Buch zeigt Susanne Dohrn viele unbequeme Fakten auf, argumentativ stark, kritisiert den überhand nehmenden Maisanbau für die Stromproduktion und manch andere brisante Wechselwirkung. Die mächtigen Eigeninteressen, die hinter dem Bauernverband wirken, werden markiert. Etwas überraschend ist, dass die Journalistin und SPD-Ratsfrau etliche Jahre als Chefredakteurin des „Vorwärts“ arbeitete. Nachfragen lässt sich sicher, welche politischen Instrumente dazu beitragen könnten, die Landwirtschaft schrittweise vollständig auf Ökolandbau umzustellen, was voraussetzt, den Fleischverbrauch zu reduzieren.
Wie schwierig die Vermittlung von Landwirtschaft und Naturschutz sich gestaltet, zeigt Dohrn sehr ausführlich am Beispiel der Trauerseeschwalbe auf der Halbinsel Eiderstedt an der Nordsee. In Deutschland gilt sie als vom Aussterben bedroht in der Roten Liste − Kategorie eins. Sie brütet auch in Berlins größtem Vogel- und Naturschutzgebiet im Südosten. Sollte der Flughafen je in Betrieb gehen, werden beide östliche Landerouten, sie liegen fest, das Gebiet diagonal im Minutentakt mit 70-80 Dezibel überziehen. Die neue zweite Route, neben der bisherigen, betrifft ebenso Kranichbruten, Wachtelkönig, Eisvögel etc. So sieht staatlich organisierte Umweltkriminalität aus, rechtlich zweifelhaft flankiert.