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Propyläen Verlag | Gerhard Baum/Burkhard Hirsch "Der Baum und der Hirsch: Deutschland von seiner liberalen Seite"

© Propyläen Verlag | Gerhard Baum/Burkhard Hirsch "Der Baum und der Hirsch: Deutschland von seiner liberalen Seite"

Der Baum und der Hirsch: Deutschland von seiner liberalen Seite

Interessante Lektüre, aber kein richtiges Buch. Der Baum und der Hirsch: Zwei Säulen der sozialliberalen Demokratie. Von Rupert Neudeck

Vorausschickend: Das ist kein richtiges Buch, obwohl es als solches heute gehandelt und gepriesen wird. Aber wenn sich schon in der Titelzeile ein Gag darstellen kann, dann kann man auch ein nicht richtiges Buch machen, das in Interviews mit den beiden besteht, dem Gerhard Baum und Burkhardt Hirsch. Die beiden Geheimtipps des Sozialliberalismus in Deutschland, denen mühelos ein Ralf Dahrendorf hätte zugeteilt werden können, zeigen, was sie noch mit Lust und Gewinn drauf haben.

Der Kampf der beiden hat sich erst gegen die zu vielen Nazis und den Rechtsdrall der Partei gerichtet in ihren Lehr-, Studien- und Wanderjahren. Gerhard Baum listet die Defizite und Dollpunkte der damaligen deutschen und besonders der NRW FDP auf. „Wir wollten diese Partei verändern. Die FDP erschien mir damals als das kleinere Übel. Als wir zu unserem ersten  Landeskongress der Jungdemokraten gingen,  stellten wir fest, dass da schwarz, weiß, rote Fahnen hingen. Die haben wir erst mal abhängen lassen“. Baum erinnert sich an ein völkisches Treffen in der Dunkelheit am Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald. Jeder hätte eine Fackel in die Hand gedrückt bekommen. Günter Verheugen, den Baum damals zum ersten Mal traf, sagte betroffen: „Was machen wir eigentlich hier?“

So werden diese beiden Autoren von einem Reporter immer wieder mit Stichwörtern versehen, es sprudelt dann aber heftig heraus. Es kommen Emotionen heraus, die man sonst nicht in Büchern erlebt: Burkhard Hirsch konnte den alten Adenauer einfach nicht verknusen, er war dann auch bereit zu der Ungerechtigkeit, die Leistungen des Alten einfach beiseite zu schieben. Neue Ostpolitik war ja 1950 bis 1957 noch gar nicht denkbar, die dann den wirklichen Kontrapunkt zu Baum gibt. Es ist auch ein ziemlich dichtes Kompendium leicht zu lesender Zeit-Geschichte der Jahre 1962 bis – ja 2016. Die beiden wurden alt und älter und sind immer noch jeder für sich und als Dioskurengespann zu allen möglichen Schandtaten in der Lage. Man lernt, dass der Kampf um die „liberale FDP“ ein immerwährender“ ist, denn es musste von diesen beiden gemeinsam mit Karl Hermann Flach und Ralf Dahrendorf immer um dieses liberale Bild gekämpft werden. Als es 1961 zum Mauerbau kommt, ist es klar, der Kalte Krieg ist schon längst ausgebrochen, aber die Wiedervereinigung kein Herzensanliegen. Später ergeben sich in deutscher Politik ja heftige Konvulsionen über die Grenzfrage im Osten und die Ost-Politik gegenüber Moskau.

Es gab Carlo Schmid im Bundestag, der bestach durch stupendes Wissen und Bildung. Und es gab den Thomas Dehler, der beim gekonnten Reden manchmal bebte vor Zorn und Emotion. Ich erfahre einiges über ihn: Er war ein erklärter Nazigegner, konnte sich als Nazigegner und Rechtsanwalt nur mühsam halten. Ins Gericht – so wird berichtet – begibt er sich immer mit einer Aktentasche, um sich den Hitler Gruß zu ersparen. Er war ein wilder Kämpfer, mit dem es seine Zeitgenossen nicht immer einfach hatten. Es gab damals für die liberalen Kräfte immer noch den Muff der Erich Mende FDP. Baum näherte sich vorsichtig der Partei, die wegen ihrer Nazi Netzwerke immer noch einen schlechten Ruf hatte und ging in den Liberalen Studentenbund.

Wieso FDP, fragt der Stichwortgeber? Die CDU war in Köln zu klerikal. Die SPD hatte gerade ein sozialistisches Programm verabschiedet, kam also auch nicht in Frage. Also FDP. Es ist noch die klamme Zeit der 50er Jahre. Baum sagt: Ich wäre nie in die FDP eingetreten, wenn es nicht Leute wie Theodor Heuss, Reinhold Maier, Thomas Dehler, Hildegard Hamm Blücher. Beide machen irgendwie politische Karriere, beide sind aber auch leidenschaftlich Rechtsanwälte. Es kommt zu dem haarsträubenden Skandal der Spiegel Affäre, der Inhaftierung von Augstein und Ahlers, der Durchsuchung der Räume des Nachrichtenmagazins. Sie machen beide Karriere, und nicht zu knapp. Beide werden Innenminister, Baum in der Regierung Helmut Schmidt, Hirsch wird Landesinnenminister in NRW. Es geht um die Guilleaume Affäre, für die der Vorgänger von Baum verantwortlich gemacht wird, beide werden nicht mit dem Herbert Wehner fertig.

Es beginnt die Periode der Umwelt- und Klima-Fragen. Der CDU Funktionär Herbert Gruhl wirbelt seine CDU durcheinander mit seinem Buch „Ein Planet wird geplündert“, wie positionieren sich die beiden, sie nehmen die Fragen auf. Manche Fragen aber wurden damals nicht nur richtig gesehen, auch wenn die Leute Scheel heißen. Er wurde der erste Entwicklungsminister. „Die Dritte Welt werde es auf Dauer nicht hinnehmen, nur der Rohstofflieferant der westlichen Industrienationen zu sein.“ Ein Gedanke, der so blass war, dass er zwar bestbezahlte Techniker Corps in Deutschland, aber doch wenig  in der Dritten Welt entwickelt hat. Und wie Dahrendorf sagte er: Da war von vornherein der Wurm drin. Entwicklungspolitik war eine staatliche Sache. Man könnte also vor Ort nur Geld an Regierungen geben.

Was die Bundesrepublik diesen beiden Pensionären verdankt, wird nicht triumphal, aber mit angemessener Geste der Genugtuung deutlich. Die beiden haben das Luftsicherheitsurteil erstritten, und beschreiben das zu lapidar, in Ehrerbietung einer Justiz, die zu so etwas in der Lage ist. Es waren sechs Menschen von 80 Mio. Deutschen, die sechs kamen zur Entscheidung um 10.18 Uhr, wir erhoben uns und in dem Moment war das Gesetz weg. Immerhin gibt Protest und Widerstand, denn die beiden wurden dafür heftig kritisiert, zumal von alten und neuen Kommissköpfen. George Leber war Zeuge von so einem Fall; ein finnisches Flugzeug flog auf das Olympische Stadion 1972  zu. Leber hätte nur drei Minuten Zeit gehabt: abschießen oder nicht?! Die nur in Not befindliche Maschine landete mit Defekt sicher mit 179 Passagieren am Ort im alten Flughafen Riem. Aber es gibt immer weitere Kämpfe gegen den Lauschangriff. Sie loben die neue europäische Datenschutzverordnung, bekennen aber auch, dass wir in Europa Daten-Völlerei betreiben. Zwischendurch immer wieder mal eine kleine Mahnung an die neue FDP, die für Baum und Hirsch nicht mehr die Westerwelle- oder Möllemann-FDP ist. Jeder hinterlässt digitale Spuren, ob er das weiß oder nicht.

Gar nicht weg kommen die beiden vom Thema Sicherheit. Sie drücken noch mal im Fall des Kosovo aus, dass sie ganz unterschiedlicher Meinung seien. Baum besteht mit seiner internationalen Erfahrung darauf, dass Humanitäre Hilfe in solchen Fällen auch im Völkerrecht auch ohne Sicherheitsrat erlaubt sein muss. Andernfalls lassen wir wegen eines Rechtskonstruktes Menschen verenden und verhungern. Es gibt eben mittlerweile auch die „Responsibility to Protect. Die besteht aus verschiedenen Stufen. Zunächst soll alles getan werden, um so etwas zu vermeiden. Aber wenn es nicht geht, muss wie im Fall von Libyen dieses Instrument des Schutzes zum Tragen kommen.

Baum und Hirsch sind die besten Sachwalter, uns vor der Hypertrophie von Sicherheit vor Freiheit zu bewahren. Es gibt nach dem Grundgesetz kein Grundrecht auf Sicherheit. Sicherheit sei auf das sittliche Prinzip der Menschenwürde zu beziehen. Aber der Deutsche hat die unersättliche Nachfrage nach Sicherheit. Baum spricht sogar von „politischer Zechprellerei“.

Zwei Große der deutschen Politik, die nicht etwa an Ihrem Kakao nuckeln und auf die Physiotherapie warten, sondern die noch verdammt, besser beneidenswert fit sind. Chapeau.  

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Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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