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Depositphotos.com | Mateusz Wyszyński | Planet Erde Mensch

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Der Zustand der Erde – eine schonungslose Diagnose

Unsere Lebensweise ist auf unendliches Wachstum ausgerichtet, das eng gekoppelt ist mit der Zunahme des Verbrauchs von Ressourcen, speziell Holz, Kohle, Öl, Wasser und Mineralien.

Das Unbehagen am Paradigma des endlosen Wirtschaftswachstums belegt nicht nur das Buch „Exit“ von Meinhard Miegel, sondern zeigen auch die Longseller von Ernst Ulrich von Weizsäcker („Faktor Fünf“), Harald Welzer („Selbst Denken“) und Ralf Fücks („Intelligent wachsen“).

Die dringliche Aufgabe der Gegenwart ist das ökologische Management des Wirtschaftswachstums.

1972 erschien das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ des „Club of Rome“. Eine der wesentlichen Erkenntnisse dieser Publikation war, dass alles mit allem zusammenhängt. Neue Erkenntnisse führten 1992 zum Bericht „Die neuen Grenzen des Wachstums“. Darin wurden beispielsweise die inzwischen bekannt gewordenen größeren Öl- und Gasvorkommen berücksichtigt. Zudem wurde festgestellt, dass sich durch Geburtenbeschränkung, Produktionsbeschränkung, Technologien zur Erosionsverhütung und Emissionsbekämpfung und Ressourcenschonung sehr wohl noch ein Gleichgewichtszustand erreichen ließe. Heute, 50 Jahre später, sind die Grenzen des Wachstums weitgehend erreicht. Für Franz Alt geht es hier nicht nur um eine sozial-ethische, sondern immer auch um eine theologische Frage: „Wir müssen unsere Endlichkeit akzeptieren, um uns von den unendlichen Wachstumsfantasien zu befreien. Dabei steht Gott selbst auf dem Spiel. Ewiges Wachstum ist eine quasireligiöse Anmaßung des Kapitalismus, sein grenzenloser Wachstumszwang ein Motiv der Unersättlichkeit.“ Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf Schnecken, die nicht nur langsam wachsen, sondern ihr Wachstum in dem Moment einstellen, wenn sie zu groß werden könnten für ihr Schneckenhaus. Sie kennen im Gegensatz zu uns Menschen ihre Grenzen. Die Unersättlichkeit der wohlhabenden westlichen Welt muss eingehegt werden.

Nachhaltigkeit in der Wirtschaft bedeutet, dass das System nicht mehr Ressourcen verbraucht, als es auch erneuern kann, dass es die Interessen künftiger Generationen miteinschließt und an langfristigen Perspektiven für ein gelingendes Leben orientiert ist. Ausgangspunkt für die Debatte um Nachhaltigkeit war die historische Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992. Hier wurde ein gemeinsames Entwicklungsleitbild Sustainable Development (Nachhaltige Entwicklung) formuliert, um der Erkenntnis gerecht zu werden, dass eine langfristige und dauerhafte Verbesserung der Lebensverhältnisse für eine rasant wachsende Weltbevölkerung nur möglich ist, wenn sie die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen miteinschließt. Maßlosigkeit und Gier sind auf Dauer kein Leitwert für eine stabile und überlebensfähige Gesellschaft. „Entweder lernt die Menschheit, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten dieser Begrenzung anzupassen und nachhaltig mit der Erde umzugehen, oder die ‚Umwelt‘ schlägt zurück und lässt das Menschengeschlecht zugrunde gehen“, schreibt Ernst Ulrich von Weizsäcker in seinem Buch „Faktor Fünf“.

Wirtschaften muss nach Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit ausgerichtet werden.

Auch der Dalai-Lama ist davon überzeugt, dass die Gier nach endlichen Dingen nie wirklich befriedigt werden kann: „Statt das menschliche Begehren zu fördern, sollten wir daher die Zufriedenheit kultivieren, weil den Menschen so Enttäuschung und Ernüchterung erspart werden können.“ Gemeinsam mit Franz Alt plädiert er dafür, dass jedes Kind in der Schule lernen sollte, dass seine Zukunft und sein Glück auch von dem der anderen abhängt. Wer sich in Untergangsstimmungen verliert, kann kaum mehr kreativ sein und wird unbeweglich – auch im Geist. Seit Jahrzehnten engagiert er sich gemeinsam mit dem Umweltexperten Ernst Ulrich von Weizsäcker für eine Wende im Umgang mit dem Planeten. In ihrem aktuellen Buch „Der Planet ist geplündert. Was wir jetzt tun müssen“ stellen sie dem Zustand der Erde eine schonungslose Diagnose – ohne dabei die Hoffnung zu verlieren. Sie zeigen, wie eine menschengerechte Demokratie und nachhaltiges Wirtschaften gelingen kann, wie wir von der Natur lernen können und wie eine ökoplanetare Zukunftsvision aussehen kann. Vor allem aber wollen sie zum Selbstdenken und Selbsthandeln anregen.

Verwiesen wird hier auch auf einen der Pioniere der Umwelt- und Friedensbewegung – den Zukunftsforscher Robert Jungk (1913-1994). Wie sehr er sich mit der Zukunft der Menschheit auseinandersetzte, verdeutlich bereits sein erstes Werk „Die Zukunft hat schon begonnen“ von 1952. Er etablierte Zukunftswerkstätten und gründete die Robert Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen sowie das Institut für Zukunftsfragen in Wien. Zukunft war für ihn kein Schicksal, solange die Welt in nachhaltiger Weise verändert werden kann: „Man muss in Gesprächen, in Schrift und Bild eine neue Vision der Zukunft, eine ganz andere Art von künftigem Leben gestalten, um sie den menschenfeindlichen Plänen einer verhängnisvollen Entwicklung entgegenzusetzen.“ Insofern war er auch ein Zukunftsstifter, der unterschiedlichste interdisziplinäre Ansätze vernetzt und für ein neues Denken und Handeln plädiert hat. Nur diese ganzheitliche Verbindung hilft uns, Antworten auf die großen existenziellen Fragen zu finden, die sich angesichts globaler Bedrohungen auftun und unseren Zukunftshorizont verdunkeln.

„Wenn wir die Welt lieben, werden wir sie retten.“ (Franz Alt)

Auch wenn wir alle gefährdet sind, sollten wir uns nicht von Angst lähmen lassen, sondern sie auch in Krisensituationen produktiv zu nutzen – denn in ihr steckt auch die Kraft zur Veränderung. Das ist allerdings nur möglich, wenn auch ökonomische und soziale Veränderungen eintreten, die dem Einzelnen die Chance geben, sich zu wandeln. Ein neues kollektives Bewusstsein kann sich allerdings nur entwickeln, wenn möglichst viele Menschen ihr egozentriertes Bewusstsein überwinden und sich nicht oberflächlich mit der ganzen Welt verbinden. Denn das verhindert „eine tiefe Verbindung mit denjenigen, die uns nahestehen – auch mit uns selbst und damit unserer Weisheit“ (Franz Alt), die mit der Wissenschaft eine Einheit bilden sollte. So ist auch das gemeinsame Buch der beiden Umweltexperten zu sehen: Fakten und Zahlen zum Klimawandel stehen neben „Weisheiten“ und Visionen, die uns im Tiefsten angehen und berühren. Weise Menschen und Vorbilder wie Buddha, Plato, Sokrates oder Jesus spielen dabei eine wichtige Rolle. Vieles ist auch im Kontext der aktuellen Situation in der Ukraine von Bedeutung – beispielsweise Jesu Zuspruch: „Selig sind, die Frieden stiften …“ (Mt 5,9). „Maßhalten ist das Beste“, sagten bereits die alten Griechen. In der Maori-Kultur umfasst das Konzept des Wohlbefindens geistiges, ökologisches, soziales und wirtschaftliches Wohlergehen. In den Anden-Kulturen ist das buen vivir („gut leben“) eine Weltsicht, in der „die Fülle des Lebens in Gemeinschaft mit anderen und mit der Natur“ große Wertschätzung erfährt. Das überhitzte „Mehr, mehr, mehr!“ verdeckt die Frage nach einem guten Leben, das im Dienst des menschlichen Wohlergehens handelt. Es ist daran zu erkennen, dass alles mit allem in dieser Welt zusammenhängt, dass alle Menschen in Würde leben können und ihnen Gemeinschaft ermöglicht wird.

Hirzel Verlag | Franz Alt / Ulrich von Weizsäcker "Der Planet ist geplündert"
© Hirzel Verlag | Franz Alt / Ulrich von Weizsäcker „Der Planet ist geplündert“

Dr. Franz Alt ist Journalist und Bestsellerautor. Als Fernsehjournalist, vor allem für den SWR (1968–2003) und 3sat, erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, z.B. die Goldene Kamera, den Bambi und den Adolf-Grimme-Preis, für sein ökologisches Engagement den Deutschen und den und Europäischen Solarpreis sowie den Welt-Wind-Preis. Seine Bücher sind in 23 Sprachen übersetzt und erreichen Millionenauflagen. Seit Jahrzehnten tritt der politisch engagierte Denker für ein neues ökologisches Bewusstsein ein.

Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Honorarprofessor der Universität Freiburg, Ko-Präsident des Club of Rome, Ko-Vorsitzender des International Resource Panel. Zuvor war er Professor an der Bren School of Environmental Sciences in Santa Barbara, California, Mitglied des Bundestages (SPD) und Vorsitzender des Bundestags-Umweltausschusses, davor der Bundestags-Enquetekommission Globalisierung der Weltwirtschaft. Bis 2000 leitete er das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Weiterführende Informationen:

Quelle

Dr. Alexandra Hildebrandt | Erstveröffentlichung: XING 2022

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