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Die Klimakrise wird alles ändern. Und zwar zum Besseren

Dass der Klimawandel vieles ändern wird, das wissen wir spätestens seit den vier Statusberichten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – dem Weltklimarat. Doch dass sich alles bessern wird, das ist neu. Bringt die bevorstehende Klimakrise wirklich Chancen mit sich – und wenn ja, welche? Eine Rezension von Udo E. Simonis.

Wer jüngst bei der nunmehr 18. Vertragsstaatenkonferenz der UN- Klimarahmenkonvention in Katar mit dabei war oder sie von weitem verfolgt hat, braucht Trost. Dieses Buch könnte dabei hilfreich sein. Es handelt von einem Großen Bruch (was im englischen Original – „The Great Disruption“ – besser zum Ausdruck kommt als im deutschen Titel); es handelt aber auch von einem (möglichen) Evolutionssprung, der vom menschlichen Bewusstsein motiviert ist. Es ist ein Buch über viele besorgniserregende ökologische Fakten und Trends – und zugleich ein Buch voller Optimismus über das Wirksamwerden stabilisierender sozialpsychologischer Mechanismen.

Der Autor ist kein Professor, aber er hat viel erlebt, viel studiert und wurde so um Umweltaktivisten. Er widmet sein Buch den Wegbereitern der frühen Umweltbewegung der 1960er-  und 1970er- Jahre: Rachel Carson, Donella und Dennis Meadows, Jorgen Randers, Paul Ehrlich, E.F. Schumacher und all den anderen, die in ihre Fußstapfen getreten sind – und noch treten werden, wie er hofft, weil sie entschlossen sind, ihre Träume und nicht ihre Ängste Wirklichkeit werden zu lassen.

Er benennt die Ängste aber schon im ersten Satz: „Die Erde ist voll… Weltbevölkerung und Weltwirtschaft (haben) inzwischen die Versorgungsgrenzen der Erde überschritten.  …Unser derzeitiges Modell des wirtschaftlichen Wachstums treibt das ökologische System, von dem unser momentaner und zukünftiger Wohlstand abhängen, in den Abgrund“ (S. 9).

Dies allein stelle schon ein großes Problem dar. Doch die Herausforderung wird größer, wenn man bedenkt, dass es Milliarden Menschen in dieser Welt gibt, die ein Leben in Armut führen und nichts dringender benötigen als das rasche Wachstum ihrer eigenen Wirtschaft. Doch dafür, sagt Gilding, gibt es keinen Platz mehr. Das bedeutet, dass sich die Dinge fundamental ändern werden. Er sagt werden, doch er meint: müssen.

Die wissenschaftlichen Belege für den „Großen Bruch“, die Grenzen des Wachstums und die akuten Grenzüberschreitungen, seien hinreichend klar und gut begründet . Doch stärker noch sei das soziale und politische Verdrängen, die zeitliche Problemverschiebung oder auch die Anpassung der geltenden Problemdefinitionen. Die Weltbank ließ vor kurzem schon mal das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) beschreiben, wie es in einer „Plus 4- Grad-Welt“ aussehen wird, weil die bisherige Vorgabe eines Limits von plus 2 Grad inzwischen unrealistisch geworden ist.

Doch wenn wir schon mit dem Rücken zur Wand stehen, worauf gründet Gilding dann seinen Optimismus?  Zunächst auf  diese  Grundannahme: „Ob wir Hoffnung oder Verzweiflung empfinden, wird unsere Zukunft stärker beeinflussen als Technik, Politik oder Märkte“ (S.129). Daneben aber finden sich viele, meist auf persönlichen Erlebnissen und Begegnungen beruhende Antworten in dem Buch.

Dies hier steht ganz vorn: „Wenn uns die nahende Krise mit voller Wucht trifft, wird unsere Reaktion ebenso dramatisch ausfallen… Wir werden uns in einem Ausmaß und mit einer Geschwindigkeit verändern, wie wir es uns heute kaum vorstellen können; innerhalb weniger Jahrzehnte werden wir unsere Wirtschaft … komplett verändern“ (S. 10).

Andere Autoren haben zur Frage der Transformation nicht die Hoffnung, sondern die historische Erfahrung herangezogen, insbesondere die der Kriegswirtschaft.  Gilding aber ist ein friedliebender Mensch (auch wenn er oft markante Worte verwendet) – und so setzt er mehr auf Lernkurven: darauf, dass wir lernen werden, lernen, dass es mehr im Leben gibt als Shopping, dass wir uns auf die Dinge konzentrieren werden, die unser Leben wirklich bereichern.

Es sei die Krise selbst, die die Menschheit auf die nächste Entwicklungsstufe zwingen und es ihr möglich machen werde, das in ihr steckende evolutionäre Potential auch zu erkennen. Das ist die Geschichte, die er erzählen will – und wozu ihm unendlich viel eingefallen ist. Auch dass er selbst – und wir alle – in der Vergangenheit viele Fehler gemacht haben. Doch wir können nicht die Vergangenheit, wir können nur die Zukunft verändern.

Dies klingt in gewisser Weise wie eine Predigt. Was es zum Teil wohl auch ist. Doch das Buch ist auch eine Art Handbuch guter Ideen. Der Autor fängt den Leser bewusst emotional ein, beschwört ihn, realistisch zu sein aber stets auch die besten Seiten zu suchen. Und er führt uns in drei Stufen zu seiner Botschaft:

Die erste Stufe nennt er den „Schrei“ – der Aufruf , etwas zu tun, der seit den späten 1950er Jahren in Gang kam; die zweite den „Crash“ – den möglichen Zusammenbruch des Ökosystems und der Wirtschaft; die dritte nennt er das „Große Erwachen“ – die individuelle und gesellschaftliche Reaktion, die seiner Erwartung nach außergewöhnlich in Geschwindigkeit und Umfang sein wird.

Die dem entsprechenden Kapitel des Buches sind gut geschrieben und spannend zu lesen, weil er sie mit konkreten eigenen Erlebnissen, aber auch mit gut platzierten Anekdoten verknüpft. Es geht dabei aber nicht nur, wie der deutsche Buchtitel suggeriert, um das Klimaproblem; es geht um die globale ökologische Krise und die Frage, damit kritisch und strategisch im Sinne einer großen Transformation umzugehen.

Diese Krise wird uns zwingen, unser Handeln zukünftig auf eine ganz neue Weise global zu koordinieren – wir werden zu einer echten Weltgemeinschaft zusammenwachsen (müssen). So sagt es Paul Gilding – doch das setzt höheres individuelles Engagement und bessere gesellschaftliche Kooperation voraus.

Eines der zehn Maßnahmenbündel mit strategischer Hebelwirkung für eine Große Transformation sieht der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem jüngsten Gutachten in einer „internationalen Kooperationsrevolution“. Wir müssen die Kooperation nicht nur verbessern, wir müssen sie revolutionieren! Das fordert zwar nicht die Bundesregierung selbst, aber der von ihr eingesetzte Oberste Rat für Globalen Wandel. Wenn auch die Analyse der globalen ökologischen Krise von Gilding und WBGU nicht dieselbe ist, die Therapie des großen Erwachens führt sie zusammen.

Quelle

Udo E. Simonis 2012 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Kurator der Deutschen Umweltstiftung

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