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Die schwarze Macht: Der „Islamische Staat“ und die Strategen des Terrors

„Wer köpft, dem glaubt man!“ Zu einem Buch über die Lage in Syrien/Irak. Von Rupert Neudeck

Dieses Buch ist der Anti-Todenhöfer. Während sich der eine immer noch als verkappter Politiker gibt, ist der andere ganz Journalist, weiß auch, dass man als Journalist immer gefährdet ist, wenn man am Hofe des Königs nicht nur gut angesehen ist, sondern zu Tisch gebeten wird. Das aber war immer die Schwäche von Jürgen Todenhöfer, der seine Rolle nicht gefunden hat, bis heute. Immer wieder macht er Versuche, als heimlicher Politiker oder Sprecher von Politikern aufzutreten, heimlich eine Partei zu leiten, aber er hat keine. Das ist schade, weil vieles von dem verloren geht, was er so Sinnvolles zu den Muslimen und zu den Arabern zu sagen hat.

Christoph Reuter hat in unglaublicher Filigranarbeit, die auch zwischendurch sicher gefährlich war, wie seine Begleiter zu sagen wüssten, von Beirut aus die Szene nicht nur beobachtet, er war immer auch vor Ort. Die Orte, die er in seinem dichten Buch beschreibt, hat er (fast) alle gesehen, besucht, mit den Leuten gesprochen. Das Durcheinander der verschiedenen kleinen Rebellengruppen hat er mit einer berserkerhaften Geduld und fast Pedanterie beschrieben.

Er hat herausbekommen, was wir nur ahnten bei unseren humanitären Versuchen im befreiten Nordsyrien 2012 bis 2013: das Regime hat mit den Terrorgruppen schon zur Zeit des unseligen Irak-Krieges der USA heftig und trickreich zusammengearbeitet. Wie kamen diese Ausländer alle nach Syrien, fragt Reuter und hat es gesehen oder sich sagen lassen: Über den Internationalen Flughafen Damaskus, den am strengsten kontrollierten Ort in Syrien. Bei einer Gerichtsanhörung in Washington 2008 zur syrischen Rolle im Al-Qaida Transfer hieß es: „Syrien erlaubte Aufständischen in großer Zahl und ohne Einschränkungen, dort anzukommen, bevor sie ihre Reise über die Grenze und in den Irak fortsetzten“.

Schon 2004 wurden bei den Kämpfen um die Stadt Falluja/Irak bei gefangenen Kämpfern Fotos gefunden, auf denen sie mit syrischen Geheimdienstoffizieren abgebildet waren, ebenso wie GPS Geräte, die den Ausgangspunkt ihrer letzten Reise in Westsyrien anzeigten. Es gab – so Reuter – eine schillernde Zweckallianz zwischen dem alawitischen Regime in Syrien und extremistischen Sunniten, deren Fraktion in Saudi Arabien die Schiiten als Glaubensverräter betrachtete. Ein Joint Venture erklärter Todfeinde. Wenn e s um die Nutzbarmachung des Terrors ging, „zählten keine ideologischen Beschränkungen“.

Das Buch besticht durch eine Sprache, die man sonst in Sachbüchern nicht erwartet. So wenn er die Lage in Nordsyrien 2013 beschreibt. „Der ganze Norden Syriens, die Provinz Aleppo mit der gleichnamigen Hauptstadt, die toskanisch anmutende Hügellandschaft von Idlib… Bombardements auf Dörfer und Städte trieben Hunderttausende Flüchtlinge umher wie Treibgut auf hoher See. Sie blieben, wie es gerade ruhig war, stets gejagt von der unergründlichen Einsatzplanung der syrischen Luftwaffe, die einen Ort gern monatelang in Friedenließ, „um dann jählings wieder zuzuschlagen. Es war eine gespenstische Gleichzeitigkeit des Ungleichen.“

Er beschreibt die unendliche Vielfalt der Rebellen, der kleinen Fronten und Brigaden, die Tauhid Brigade, den Stadtrat, die Freien Anwälte, die Gerichte, die beiden Ärztevereinigungen, die Nusra Front, die Radikalentruppe. Es herrschte niemand, es war also das, was das griechische Wort an deutet: An-Archie.

Er beschreibt die Szene der langsam seit 2013 auf Grund der großen Geldlieferungen aus Saudi Arabien und Katar einsickernden Ausländer, die sich wie Maulwürfe in Syrien niederlegten und bitterlich über die Undankbarkeit der Syrer beklagten. Reuter zitiert fast wortgleich die Reaktion eines Tunesiers: „Wir haben alles zu Hause hinter uns gelassen, die Wohnung, den Job aufgegeben, um in Syrien für den wahren Islam zu kämpfen, die Leute dort auf den rechten Pfad zu bringen. Aber was tun die Syrer: Sie wertschätzen unser Opfer gar nicht!“ Reiter kommentiert sarkastisch: Ihnen war entgangen, dass die Syrer schon Muslime waren. Vielleicht habe es ihnen niemand gesagt.

Er beschreibt mit einer Detailgewissheit den Wandel des innersyrischen Befreiungs-Aufstandes, dass einem der Atem stockt. Nun kann das der Spiegel Reporter, weil das wohl die einzige Zeitschrift und Zeitung ist, die sich ausführliche und kostspielige Recherchen auch mit den syrischen Studenten und einheimischen Stringern erlauben kann. Von Zeit zu Zeit lobt der Autor auch indirekt sein Blatt. So wenn er die Ankunft der beiden syrischen Stringer in der türkisch-syrischen Grenzstadt Reyhanli beschreibt, wo vor Kälte schlotternd an einem Morgen die beiden Emad al-Qasim und seine Mitstreiter Mahmoud al –Shihabi erzählen, die früher für das Aleppo Medienzentrum gearbeitet haben. Die Leute vom IS wissen bereits alles.

Und der IS bevorzugte die Methode der Einschüchterung durch brutalste Gewalt. So habe im Oktober 2013 Mohammed Said beim Friseur in Aleppo auf dem Stuhl gesessen, als ein Rollkommando des IS, ein bewaffneter Ägypter hineinkam und ihm in den Kopf schoss, dann aus dem Medienzentrum den Computer, die Kameras und Satellitentelefone klauten. Es war ein Import von, – wie wir von den Grünhelmen erlebten – ausländischen Verbrechern, hauptsächliche Tunesiern, die die größte Gruppe stellten.

Das Wichtigste an dem Buch von Reuter ist die klare und recherchierte Kooperation von IS mit dem Regime, zumal der Luftwaffe von Baschar al-Assad. Diese bombardierte „die Stellungen der Rebellen, nie die des ‚Islamischen Staates‘“. Reuter zählt akribisch die Angriffe vom 3. Januar 2014 auf. Am 5. Januar kam der Militärkommandant der IS, Omar al-Schischani nach Aleppo, um die dort unterlegenen IS-Verbände zu entlasten, da waren Flugzeuge des Regimes in der Luft, „griffen aber nicht ein, was den Eindruck erweckte, dass sie eher zu seinem Schutz aufgestiegen waren“. Als aber am Tag darauf eine Gruppe der Tauhid-Rebellen auf einer ähnlichen Route unterwegs war, wurde sie sofort bombardiert. Reuter erwähnt punktgenau neun solcher Angriffe und schließt Zufälle aus. Der Autor erwähnt einen Aussteiger bei der IS, der CNN erklärte, warum er nicht mehr mitmachte: „Wir wollten die Armee Assads angreifen, aber unser Emir hat es verboten. Wir durften nie gegen die Armee kämpfen!“

Die wichtigsten Kapitel erklären den Feldzug und den machiavellistischen Erfolg des IS. Für den totalen Sieg in Mosul war auch Nuri al-Maliki verantwortlich, der alles getan hatte, die Kluft zwischen Sunniten und Schiiten zu vertiefen. Er ließ jene sich am System bereichern, die ihm loyal waren. Und zu Recht erwähnt der Autor die verhängnisvolle Rolle von Korruption, die immer etwas Zerstörerisches an sich hat. Sie zerstört den Staat von innen, zerfrisst die Polizei und sogar die Dienste. Der General, der bei der Verteidigung am heftigsten kämpfte, war der ehemalige Polizeigeneral Mahdi Gharawi, der aber vorher als Herr über die geheimen Foltergefängnisse bekannt wurde. Die IS, das beschreibt Reuter sehr nüchtern, ist ein Stasi-Angst-Apparat, der davon lebt, dass die ganze Welt Angst haben soll, aber besonders die eigenen Bewohner. Der IS hat aus der Angst auch ein profitables Geschäftsmodell gemacht. Wer in Mosul leben und Geschäfte machten wollte, musste dafür zahlen, auch schon vor der restlosen Eroberung der zwei Millionen-Einwohner-Stadt. Man erpresste im Juli 2014 die Summe von zwölf Millionen US-Dollar im Monat.

Es ist aber ein Staat, Reuter weiß es in diesem Fall nicht aus eigener Beobachtung, was sonst das Buch auszeichnet. Aber es kann nur ein Staat sein, es wird eine Verwaltung da sein, die mit dem Schrecken arbeitet, der brutalen Killer-Videos. Das vielleicht bravouröseste Kapitel in Bezug auf Aufklärung ist das über den IS und die Medien. „Nie zuvor hat eine Terrororganisation die Medien derart virtuos eingesetzt wie ausgerechnet der IS, der ja eine Rückkehr zur Zeit und Herrschaft des Propheten verspricht“. Das sei etwas anderes als Saudi Arabien, wo es noch vor vier Jahrzehnten Demonstration gegen die Einführung des Fernsehens gab. Der IS bestehe eben auch aus „popkulturell geschulten Horden“, die sehr trickreich auf der Klaviatur westlicher Gemüter herumklimperten. Das Video von der Ermordung des US-Journalisten Foley ist zum Beispiel nicht vor laufender Kamera entstanden. Kein Tropfen Blut floss, als sein Mörder ihm das Messer an die Kehle setzte, es am Hals hin und her bewegte. In der nächsten Einstellung ist dann schon Foleys abgetrennter Kopf blutbefleckt auf seinem Körper. Die einfachste Erklärung für Reuter leuchtet ein: das Video sollte ansehbar bleiben für die „Tagesschau“ und „heute“. Schlicht für den westlichen Zuschauer. „Suspense“: der Effekt zwischen dem Ansetzen des Messes und dem Ergebnis des Grauens  sei ein  filmisches Mittel, dessen sich Hitchcock und Hollywood oft bedient hätten.

Der Autor geht in der Beschreibung des verbrecherischen Staates weiter, Nordkorea auf Arabisch sagt er in der Überschrift: „Eine freie Willensentscheidung ist im hermetischen Kosmos des ‚Islamischen Staates‘ nicht mehr vorgesehen“. Alles sei ja schon entschieden worden von Gott und verkündet von Mohammed, dem Propheten. Dann gibt es noch ein „ultimatives Zielgruppenfernsehen, zwischen Gemetzel, Blut und Daily Soap“, so professionell gemacht, dass die alten Rivalen wie al Qaida dagegen ganz blass aussehen. Die New York Times formulierte: Der IS sei „Online Djihad 3.0“. Wie professionell, zeigte eine Begleiterscheinung der Eroberung von Mosul,  im Twitter-Verkehr: Als das Abfeuern von 40.000 Tweets mit derselben Schreckensdrohung dank der App zum Top-Treffer bei Suchanfragen zu „Bagdad“ führte, zeigte man einen Kämpfer mit IS-Schwarzer Fahne auf einen Bagdader Hochhaus über der Zeile: „Bagdad, wir kommen!“ Das war alles Fälschung, der IS konnte gar nicht weiter vorrücken, aber es war eine Irreführung der westlichen Dienste und Regierungen. Die Rechnung ging auf: der Westen glaubte, Bagdad stünde kurz vor dem Fall.  

Reuter noch mal in diesem dramatischen Kapitel. Was immer der IS über seine eigene Barbarei verbreitet, wird für bare Münze genommen. Wer köpft, dem glaubt man. Aber: Warum sollte der IS seine eigene Barbarei nicht noch übertreiben? Der IS folgt einer eigenen zynischen Strategie. Er will nicht nur Hass verbreiten, er will seine Gegner – in diesem Fall die Schiiten – auch noch zum Töten anstacheln.  Die Experten beim IS arbeiten auch mit dem westlichen Klischee, die Opfer des IS seien alle Andersgläubige. Schiiten, Alawiten, Christen, Juden. Das geht dann bei RTL voll auf im Januar 2014. Der IS metzelt aber im Wesentlichen innerhalb der eigenen Glaubensgruppe, als deren Schutzherr er sich empfiehlt. Die meisten Opfer des IS in Syrien waren Sunniten. Für die Zeit seit der Kalifatserklärung des IS schlüsselte die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Großbritannien die Herkunft von 1500 Toten auf. Davon waren 879 Zivilisten der sunnitischen Gebiete des Nordens, darunter 700 Angehörige des Scheitat Stammes, 483 waren Soldaten der syrischen Armee gewesen.

Reuter schreibt: In Ausnahmefällen erlaubt der IS ausländischen Journalisten, in sein Reich zu kommen. „Dann werden sie betreut und begleitet von Medienzuständigen, die ihnen genau das zeigen, was sie sehen sollen.“ Und den Journalisten biete der IS ein Besuchsprogramm im klassischen Stil einer Diktatur inklusive der Vorführung von Gefangenen, die „wie aus Kafkas Novellen gestolpert – davon schwärmen, vollkommen zu Recht eingekerkert zu sein. Das letzte Kapitel fasst noch mal die Totalüberwachung im Reich des Kalifen zusammen. Das Dasein im Kalifat sei zwar mittelalterlich aber anders als erwartet. Der Ablasshandel floriert, während die Wirtschaft erlahmt.

Das Buch ist unheimlich dicht und prall  gefüllt mit Informationen. Man kann es nicht im Urlaub und nicht in kleinen Häppchen lesen, man muss e s ganz ein-nehmen und lesen. Es beginnt mit dem Aufstieg des Islamischen Staates, des Kalifats, das Reuter das „Stasi-Kalifat“ nennt. Er berichtet über die Siegeszüge von al Qaida im Irak und dann des IS in Syrien, über den Import von ausländischen Mudschaheddin nach Syrien und nach Mitte 2013 die Eroberung des befreiten Nordsyriens durch den IS. Er beschreibt die Versuche der Syrer, zumal der Freien syrischen Armee, sich gegen den IS zu wehren. Dann geht es – Ortswechsel – um den Paukenschlag des IS mit der Einnahme von Mosul. Der IS übernimmt die Schreckensphase der Al Qaida. Ein besonders wichtiges Kapitel, das noch mal zeigt, wie wertvoll das Buch ist: Reuter weiß um die Manager aus der alten Baathpartei, die im IS für die Organisation und die Kameralistik der Gelder und für eine gut geölte Medienabteilung sorgen. „Wer köpft, dem glaubt man!“ Die beiden letzten Kapitel gelten der gefährlichen, bis nach Deutschland und Europa ausstrahlenden Rolle des IS als Terror-Exporteur und der neuen Rolle der internationalen  und supranationalistischen Terror-Manager bei der Behandlung von Nachbarstaaten.

Was dieser Terrorstaat noch werden kann oder ob er an seinen inneren Widersprüchen bald erstickt, kann Reuter natürlich nicht voraussagen. Es wird vermutet, dass ein Fünftel der ausländischen Kämpfer die Nase voll haben und zurückwollen in ihre Heimatländer, aber nicht wissen wie? Es kann auch sein, dass die inneren Schwierigkeiten, die jetzt zunehmen, weil auch Geld fehlt, zu größeren Attentaten in Europa und anderen westlichen Ländern führen. Der Preis solcher spektakulären Anschläge in Europa oder den USA wäre eine gesteigerte Feindschaft des Westens oder gar der Einsatz amerikanischer Bodentruppen. Da – so Reuter – diese Anschläge bisher ausblieben, scheint der IS die Kosten dafür momentan höher einzuschätzen als den Nutzen. Interessant auch für die ausländischen und besonders die europäischen Teilnehmer an der IS-Karawane. Bisher ist kein Europäer in die führenden Ränge des IS (wie vorher schon bei al Qaida) aufgestiegen. Auch nicht der deutsch-ghanaische Rapper Ex-Kampfsportler und Knastinsasse Denis Cuspert alias Abu Talha al-Almani. Auch wenn er in Deutschland als „Andreas Baader der Generation WhatsApp“ gelten mag.

Reuters Buch ist klar, er weiß um die fehlgeleiteten Ängste des Westens. Dem IS geht es nicht um Anschläge. Ihm geht es um die Ausweitung seiner Macht in den Nachbarländern des Kalifats. Dort wird ein Kampf zu führen sein, auch um die Muslime dort zu gewinnen.  Tröstlich in dem Zusammenhang, dass der IS gravierende Fehler macht: So als er den jordanischen Piloten eines jordanischen Flugzeugs bei lebendigem Leibe verbrennen ließ, obwohl Jordanien sogar bereit war, selbst zum Tod verurteilte Terroristen freizulassen. Das war – mit den Worten von Napoleons Außenminister Talleyrand gesagt – „mehr als ein Verbrechen: es war ein Fehler“. In Jordanien kann sich der IS nicht mehr blicken lassen, die Empörung ist landesweit.

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Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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