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Gütersloher Verlagshaus

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Dietrich Bonhoeffer: Der verklärte Fremde

Ein Widerstandsmann, ohne Angst und Feigheit – Über Dietrich Bonhoeffer. Von Rupert Neudeck

 

Dieses Buch macht gerade durch die detailgenaue Begleitung des Lebensweges von Dieterich Bonhoeffer deutlich, wie täglich und stündlich sich in solchen Tagen, Wochen, Monaten Versuchungen zur Feigheit ergeben. Das Erfinden von theologischen und wohlanständigen Alibis ist eine der schönsten Beschäftigungen von akademisch Gebildeten. Das Jahr 1933 war da das dramatisch spannende Jahr, in dem man als Christ und Theologe Farbe bekennen musste. Sogar jemand wie Karl Barth hatte da einen entsetzlichen Durchhänger, der umso schlimmer war, als Bonhoeffer ihn so sehr schätzte und auf seine Mitwirkung gesetzt hatte. Am 5. Und 6. September 1933 gab es die altpreußische Generalsynode, die als erste Landeskirche den „Arierpraragraphen“ übernahm. Das bedeutete für Bonhoeffer: Die Kirche war auf einem häretischen Weg. Kurz vorher hatten sie sich in Bethel bei Bielefeld getroffen und das „Betheler Bekenntnis“ formuliert, das so war, dass es einem Martin Buber hätte gefallen können: Das Bekenntnis stellte klar, dass der „heilige Rest“ Israels unauslöschbar das erwählte Volk Gottes sei. Es hielt fest, dass kein Land und Staat berechtigt sei, an den Juden Rache zu nehmen wegen der Hinrichtung auf Gologotha. Man wandte sich klar gegen den Versuch, die deutsch evangelische Kirche umzuwandeln in eine Reichskirche arischer Rasse.

Barth meinte nun, Bonhoeffer gehe zu weit und zu radikal mit seiner Behauptung, „die Kirche würde mit ihrer Haltung gegenüber antijüdischen Maßnahmen stehen oder fallen“. Das ging harsch zu weit. Alle, die den Arierparagraphen ablehnten, müssen der deutschen evangelischen Kirche treu bleiben, solange sie in „statu confessionis“ sei. Barth hat das später bedauert. Er war fein raus, er lehrte damals in Bonn und würde 1935 in die Schweiz zurückkehren. Bonhoeffer musste jetzt Widerstand leisten, opportune importune. Meist war es nicht gelegen. In den USA hatte Bonhoeffer gelernt, dass man zu dem stehen muss, was das Gewissen sagt. Und das sagt, man gibt jeden Glauben auf, wenn man dem Arierparagraphen zustimmt. Man stelle sich vor, es hätte damals keine Möglichkeit gegeben, die Gläubigen so furchtbar zu spalten, wie das Hitler gelang, der die Vorteile durchaus sehen konnte, die ihm die Deutschen Christen und der Aufmarsch der SA bei der Inthronisierung und Wahl des Reichsbischofs Müller gegeben hatten.

Schon am 27. September war alles beisammen, jedermann hätte das erkennen können, was Bonhoeffer erkannte. Die Nationalsynode in Wittenberg tagte und man hatte den Predigerseminarkurs zur SA Einheit umgewidmet. „Theologische Sturmtrupps“ standen dem Reichsbischof Spalier. Das ist das Spannende an dem Buch, es muss nicht erst zu den Gaskammern kommen, hier ist alles schon angesagt und angekündigt und wird mit großer Begeisterung gefeiert.

Die kleine Episode ist mir von der Lektüre unvergesslich. Als dieser schreckliche SA Bischof erklärte, dass die Zeit nun 1933 gekommen sei, die Seele des Volkes zu erlösen, soll Bonhoeffer auf der Galerie ein lautes kurzes Lachen von sich gegeben haben. Das Lachen und die Stimme des Rufers in der Wüste. Alles Entsetzen der Zeit bis 1945 war hier schon in Wittenberg versammelt. Man brauchte nicht noch den Krieg, die KZ’s, die Gefängnisse, die SS, die Gaskammern. Der Arierpagragraph musste als das gesehen werden, was  e r war, eine Übertretung aller menschlichen und christlichen Normen und Gebote. Und dagegen musste man 1933 vorgehen. Nicht verspätet nach 1945.  

1937 begann dann die ansteigende Repression gegenüber allen autonomen kirchlichen Kreisen und Pfarrern. 1936 gab es noch mal eine P.R. Aktion von Josef Goebbels, die in ihrer Wirksamkeit ihresgleichen suchte: Berlin war die Hauptstadt der Deutschen Erfolge, alles, was nach rassistischen Mordaktionen und Diskriminierungen roch, wurde auf Zeit ausgesetzt. Danach ging es wieder los. Am 1. Juli 1937 wurde Niemöller verhaftet und in das KZ Sachsenhausen gebracht, wo er mehrere Jahre unbeugsam aushielt. Das Haus von Niemöller im Pfarrhaus von Dahlem wurde von mehreren Gestapo Leuten gefilzt und durchsucht, man fand unter einem Gemälde einen Wandsafe der 230.000 Mark enthielt. Das war das Geld, das dem fast schon verbotenen „Pfarrernotbund“ gehörte. Niemöller, einer der markantesten Gegner der NS-Führung, wurde eingebuchtet, andere auch.

Es kam alles nicht so wie Bonhoeffer es für seine Kirche gewünscht hatte, sondern haargenau umgekehrt: Am 20. April 1938 wurde „verordnet“: Dass auch im Kirchlichen Dienst Amtsträger nur einer sein kann, „wer in unverbrüchlicher Treue zu Führer, Volk und Reich steht“. Es gab immer wieder einzelne wenige Fälle von Pfarrern, die sich nicht verbiegen ließen, die wie z.B. Karl Steinbauer. Steinbauer weigerte sich, Hitler von kirchlicher Seite zu bejubeln, Beweise für seine arische Herkunft zu erbringen, als man daran ging, das als Bedingung zu stellen, um weiter als Religionslehrer zu arbeiten. Pfarrer Karl Steinbauer wurde ebenfalls nach Sachsenhause gebracht und in eine Zelle gesperrt. In einem Bericht wurden folgende Unterdrückungsmaßnahmen gegen die evangelische Kirche aufgelistet: 103 Funktionsbeschneidungen durch Gehaltskürzung u.a., 10 Reiseverbote, 44 Redeverbote, 100 Ausweisungen aus den Pfarrstellen, 30 Opfer von Maßnahmen nach den Fürbitt-Gottesdiensten während der Septemberkrise 1938. Bonhoeffer erlebte die Feigheit seiner Kollegen, als die altpreußische Bekenntnissynode am 11. Juni 1938 zusammenkam. Er war entsetzlich niedergeschlagen zu erfahren, dass 60 Prozent der Pfarrer im Rheinland, 70 Prozent in Brandenburg, 80 Prozent in Pommern, 82 Prozent in Schlesien, 89 Prozent in der Grenzmark den Eid bereits geleistet hatten.

Bonhoeffer hat damals die Fahne des unbeugsamen Bekenntnisses hochgehalten. Bei einem Treffen der Bekennenden Kirche Oktober 1938 fragte er, ob es nicht an der Zeit sei endlich einmal von dem zu sprechen, was uns bedrängt, „von dem was die bekennende Kirche zu den Fragen von Kirche und Synagoge zu sagen hätte.“ Er wagte damals von der Gleichwertigkeit von Kirche und Synagoge in den Augen Gottes zu sprechen, von einer „Gleichwertigkeit des Leibes Christi und des auserwählten Volkes Israel vor Gott“. Die Enttäuschungen türmten sich auf, einmal was die Schwäche der Bekennenden Kirche angeht und zum anderen die Enttäuschung in der ökumenischen Bewegung. Er unternahm eine England Reise 1939 im Frühjahr, um Reinhold Niebuhr zu treffen, der sich gerade in England aufhielt, auch um eine Solidarität zwischen den Dissidenten Christen in Deutschland und der protestantische Kirche im Ausland herbeizuführen. Er scheiterte auf der ganzen Linie.

Er hat auch Anwandlungen von Feigheit, er geht 1939 für ein Jahr in die USA, Reinhold Niebuhr besorgt ihm eine Stelle. Er kann ebenso wie der ihm verwandte jüdische Schwager Gerhard Leibholz  nicht weiter im Nazireich leben. Die Leibholz‘ versuchten noch im Sommer 1938 die noch gerade offene Grenze zur Schweiz mit dem Auto zu überqueren. Es klappte, die Familie von Gerhard Leibholz kam erst nach dem Krieg wieder nach Deutschland.

Das Buch ist nicht unkritisch gegen hagiographische Versuche, den Theologen zum Helden des Widerstandes zu machen. Die Literatur, die der Autor durchgearbeitet hat, sei nicht ganz frei von „einer hagiographischen Gloriole“. Denn schon zu behaupten, er sei Mitglied des Widerstands gewesen, könne irreführend sein. Die Opposition gegen Hitler bestand aus mehreren Zellen, die unabhängig voneinander existierten. Bonhoeffer war in keiner dieser Zellen aktiv, man konnte ihnen auch nicht beitreten. Marsh resümiert das so: Bonhoeffer sollte schließlich „in eine verräterische Verschwörung hineingezogen werden und mit dem Leben dafür bezahlen“. Aber die Rede von Heldentum und Helden ist nach den Gräueltaten der Zeit bis 1945 sowieso verpönt. Die relativierende Rede von dem Helden Bonhoeffer macht seine Rolle und seinen Wert nicht im Geringsten kleiner. Seine sprachgewaltige Resistenz gegen Hitler und die NS-Dämonologie stand in wohltuendem Gegensatz zu der „fügsamen Rhetorik der meisten protestantischen Pfarrer, die in ihrer typisch lutherischen Ehrfurcht vor dem Staat wie gelähmt waren“.

Was den Leser auch überrascht: wie wenig Beziehungen es zu den entsprechenden Kreisen in der Katholischen Kirche gab und wie wenig Beziehungen sich zu katholischen Christen entfalteten. Gerade Bonhoeffer war ja sehr offen gegen Katholische Einflüsse, lebte auch ohne Berührungsängste nach der Rückkehr aus den USA im Benediktiner Kloster Ettal und nahm an den liturgischen Übungen wie auch am der Messe im Kloster teil. Aber Ökumene – wie wir das heute denken und handeln – gab es damals noch kaum.

Als sich nach dem Beginn des Rußland Feldzugs und der Wannseekonferenz am 20 Januar 1942 der Zug in die Endlösung und die allgemeine Verbrechensexekution in allen deutschen Landen erweiterte, setzte Bonhoeffer auf einen „Gewissensadel“. Ihm konnte es noch gelingen, informiert über seinen Verwandten Hans von Dohnanyi und Haeften, in Sigtuna in der Schweiz den Bischof George Bell zu treffen, um ihm über die Aktionen des Widerstandes zu berichten. Bell überreichte zwar Anthony Eden, Außenminister in Churchills Kabinett die Botschaft Bonhoeffers, die darauf zielten, die Aktionen des Widerstandes nicht durch zu harte Kapitulationsforderungen zu belasten. Aber es wurde klar durch Churchill, dass jede Frage einer alliierten Unterstützung für einen möglichen deutschen Staatsstreich mit „absolutem Schweigen“ beantwortet werden sollte.

Der Gewissensadel entstehe durch „Opfer, durch Mut und durch ein klares Wissen um das, was man sich selbst und was man anderen schuldig ist“. Es gehe um den Kampf gegen die Gleichschaltung alles Denkens und Fühlens mit den niederen Instinkten. Dabei müsse dieser Adel den Imperativ der Ehre wiederentdecken. Man spürt, wie wenn sich Dietrich Bonhoeffer und Albert Camus hätten kennenlernen können, denn bei dem großen Algerienfranzosen spielt die Ehre eine ähnlich große Rolle. Bewegend am Schluss die letzten Monate nachzuerleben, die uns durch Brieffetzen, Tagebuchnotizen, Besucher-Erlebnisse bekannt sind und doch nicht. Denn der große Theologe war bemüht, seinen Eltern, auch den Freunden und Verwandten nicht zuviel Angst einzujagen durch zu realistische Schilderungen dessen, was das Gefängnis der Gestapo alles an Verwüstung und Entwürdigung bis hin zu Folter bereithielt. Als die Wachen mitbekommen, dass der Inhaftierte ein entfernter Verwandter des Berliner Stadtkommandanten von Hase ist, wird ihm für eine Zeit noch das Privileg eines Essens auf einem Porzellanteller mit Besteck gewährt. Aber so tollkühn es ist beim Lesen, die letzten langen Monate vor dem Justizmord an ihm waren noch voller geistlicher Erlebnisse. Mit Karl Barth erlebte er in tiefster Not die „hilaritas“, die Heiterkeit der Christen, auch die Heiligtümer, das arcanum des Glaubens. Das Leben der Christen sei dazu da, für andere da zu sein. Sie hätten keine Angst, den Lastern der Hybris, der Kraft des Bösen und des Neides und des Illusionismus als den Wurzeln allen Übels entgegenzutreten. Denn das Wort der Kirche erreiche seine Kraft „nicht durch Begriffe, sondern durch Vorbild“. Er erlebte dann noch mit Hoffnung und Bangen die Ereignisse des 20. Juli 1944 mit, die Hoffnung war natürlich, dass er im letzten Moment noch freikommen könne. Er hatte dann auch noch einen Fluchtplan. Mit Hilfe eines ihm wohlgesonnenen Wärters, Knobloch, wollte er versuchen zu fliehen. Am 24. 9. 1044 traf sich Renate Bethge (die Frau des besten und treuesten Freundes von Bonhoeffer) mit Knobloch in einem Berliner Vorort. Aber durch das Scheitern des 20. Juli war alles nicht so einfach.

Alles mündet in das wunderschöne Gebet:
Von guten Mächten treu und still umgeben,
Behütet und getröstet wunderbar,
So will ich diese Tage mit euch leben
Und mit euch gehen in ein neues Jahr“.
 

Die letzten Tage von Bonhoeffer sind dann noch von einer unglaublichen Intensität des neuen Erlebens, das auf eine Zukunft hingehen muss. Am 7. Februar 1945 wird Bonhoeffer aus Berlin heraus und an einen erst unbekannten Ort gebracht. Die Familie weiß nicht mehr, wo er ist. Die Schwester Christine wird im Gefängnis an der Prinz Albrecht Straße abgewiesen, als sie etwas herausfinden will. Am 4. April 1945 – die Truppen der Alliierten stehen schon vor Berlin – entdeckt jemand die Tagebücher von Abwehrchef Wilhelm Canaris. Wütend darüber, was er das lesen muss, befahl Hitler die Ermordung aller gefangenen Verschwörer der Abwehr. Zu dieser Zeit war Bonhoeffer schon zwei Monate im KZ Buchenwald.  Sie wurden dann mit einem Bus nach Weiden gebracht, dann weiter nach Regensburg.

Es kommt am 8. April, einen Monat vor dem endgültigen Ende des Krieges noch zu einer bewegenden Ökumene Feier. Hermann Pünder, katholischer Widerständler, bittet Bonhoeffer am  zweiten Sonntag nach Ostern in Schönberg, einem Dorf in Bayern, um einen kleinen Gottesdienst. Bonhoeffer zögerte, weil da zum großen Teil katholische Männer waren, aber auch besorgt um die Wirkung, die die Feier auf die Moral eines bekennenden Atheisten haben könnte. Der Atheist aber bestand auf der Feier. Bonhoeffer las aus den Losungen der Herrenhuter Jesaja 53,5: und 1. Petrus Brief 1,3, als Hoffnungswegweiser. Kurz nach dem Gottesdienst kamen zwei Wärter, um ihn zu holen. Die SS brachte ihn mit einem LKW zum KZ Flossenburg. Die Lagerinsassen arbeiteten unter absolut unmenschlichen Bedingungen dort für die „Deutsche Erd- und Steinwerke“. Dort am Abend des 8. April verlas der SS-Richter Otto Thorbeck in einem Standgericht Bonhoeffers Anklage, verurteilte ihn. Keine Zeugenaussagen. Kein Verteidiger. Am 9. April wurden Bonhoeffer und fünf andere Häftlinge, darunter Admiral Canaris und Oster gezwungen, sich auszuziehen. Dann wurden sie nackt die Treppe zum Galgen hochgeführt. In dem Hof davor waren im letzten Jahr mehr als tausend Menschen hingerichtet worden. Was mit den sog. Sterblichen Überresten geschah, ist unbekannt. Meist wurden die Ermordeten verbrannt. Fabian von Schlabrendorff konnte aus seiner Zelle mitbekommen, wie  Leichen auf einem Holzstoß verbrannt wurden.

Das Buch ist bis zum Zerbersten eindringlich, weil es uns das dramatische Leben eines bis zum letzten entschlossenen Widerstandskämpfers aufzeigt. Die Erinnerung an Dieterich Bonhoeffer wird weit über die Kreise der evangelischen Kirche hinaus von größter geschichtlicher Bedeutung sein. Die Folgerung kann nur sein: Widerstand muss auch dann geleistet werden, wenn er total aussichtslos erscheint. Schlabrendorff entkam dem Schicksal seiner Hinrichtung nur, weil ein Verwalter in Flossenburg seinen Namen versehentlich von der Todesliste gestrichen hatte.

Charles Marsh „Dietrich Bonhoeffer: Der Verklärte Fremde“ – Eine Biografie

Quelle

Rupert Neudeck 2015Grünhelme 2015

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