Dreamland Deutschland?
Wie gelingt Integration in Deutschland? Antonie Rietzschel verbindet den Schicksalsbericht zweier syrischer Flüchtlinge mit politischer Analyse. Von Rupert Neudeck+
Was der Flüchtlingsfreund Rupert Neudeck den Flüchtlingen zu sagen hat: Seine letzte Rezension für die „Sonnenseite“. Rupert Neudeck starb am 31. Mai 2016
Ein für die Hunderttausende von Flüchtlingshelfern erst mal erfreuliches Buch, denn es beschreibt einen in der deutschen Zeitgeschichte unheimliche eindrucksvollen Moment: Hunderttausende, wahrscheinlich Millionen meiner Mitbürger waren dabei, als die Behörden und die Administration nicht mehr weiter wussten und bei der Aufgabe hätten zusammenbrechen müssen. Das war wirklich etwas Erstaunliches und hat uns alle, auch die Politik und die Verwaltung haben das übereinstimmend wohlwollend gesehen.
Es kommen jetzt die ersten Bücher über die Begegnungen von einzelnen Flüchtlingen mit dem „Dreamland Deutschland“. Antonie Rietzschel hat nun ein Buch über zwei junge Syrer geschrieben, das zu kleinen Teilen aus der Begleitung der drei bei der Flucht, und hauptsächlich aus den Gesprächen der jungen Syrer danach entstand, die in Oelde im Münsterland landeten und sich dort einlebten. Sie hatte sich im Dezember auf den Weg nach Mailand gemacht. Dort versuchten hunderte von Flüchtlingen in italienischen Zügen die deutschen-österreichische Grenze zu überwinden. Sie fand die beiden Syrer Mohanad und seinen älteren Bruder Yousef. Sie hat die beiden dann verlassen, erfuhr aber, dass sie trotz der Grenzkontrolle nach Deutschland geschafft hatten.
Das Buch lebt von der Begeisterung, mit der die Autorin die Flüchtlinge begleitet und sich ihre Sicht der Dinge allein zu eigenen macht. Sie vergisst, was sie am Beginn des Buches aus ihrer Begegnung mit er eigenen Mutter noch weiß: Das Thema Flüchtlinge hat Deutschland in zwei Lager gespalten, in die zwischen meiner Mutter und mir“.
Es sind sehr bewegende Geschichten, die uns in den Kapiteln geboten werden, gut geschrieben: „5000 Kilometer Angst“ ist das Kapitel der Flucht der beiden, zu denen später noch ein dritter kommt. „Warten, Warten, Warten“ ist das Kapitel der zu langen Zeit, in der die drei noch nicht genau wissen, wohin und mit welchem Status? Sie hat Kapitel, in denen sie versucht, die Lücken des Verstehens bei den Syrern deutlich zu machen. Es sind aber immer die Flüchtlinge, die den Deutschen etwas vorzuhalten haben, was noch nicht richtig ist und worin sie sich ändern müssen. Dabei kann es doch nur umgekehrt sein, dass diese Menschen mit Dankbarkeit dieses schöne große Geschenk beantworten, das die deutsche Gesellschaft aus eigener Entscheidung bereitstellt, erst mal ohne Bedingungen. Sicherheit, Ende der 5000km Angst und Unterkunft, Verpflegung, Gesundheitsfürsorge, Versorgung, Schulunterricht. Das scheint der Autorin selbstverständlich. Am Schluss schreibt sie auch:
Integration „heißt in Deutschland viel zu oft, dass sich Menschen aus fremden Ländern uns anzupassen haben“. Das haben sie aber in der Tat. Sie haben dieses Land nicht nur als Fluchtland, sondern als Dreamland gewählt und müssen wissen und lernen vom ersten Tag, dass es nicht ihr Herkunftsland ist und in vielen Bezügen ein ganz anders auch sperriges Land sein kann. Die Autorin schreibt, es müsse sich „auch“ Deutschland anpassen und Angebote schaffen, die den Bedürfnisse der Flüchtlinge gerecht werden. Damit hat man die Spaltung der Gesellschaft aber verschärft. Und die Haltung ist falsch obwohl hundertfach verbreitet. Es geht eben nicht um mehr „Angebote“ (was für ein Wort). Der Flüchtling, der Asylbewerber muss vom ersten Tag, wenn die Eingliederung in die Gesellschaft gelingen soll, etwas für die Gesellschaft tun. Dieses Denken ist der Verwaltung abhanden gekommen, denn die beste Form wäre Arbeit in dem Asyl- oder Erstaufnahmeheim, in dem sie unterkommen: Reinigungsdienste für das Haus, Toilettendienste, Küchendienste. Das alles macht die Verwaltung leider unmöglich, weil sie den Heim-Trägern in deutscher Gründlichkeit vorschreibt, dass sie das alles schon „vorhalten“. Also – ich halte das nicht deshalb für sehr gut gemeint, aber in der These und Konsequenz für eine Abkehr von dem alleingeltenden und gültigen Pfad der Integration.
Sie müssen von Mailand nach Trento, die Polizei macht an vielen Orten die Augen zu. So empfiehlt ein österreichischer Beamter den Syrern, der sie eigentlich postwendendend in einen Zug nach Italien zurückexpedieren müsste, sie sollten bis Innsbruck einen Bummelzug und danach nach Deutschland auch einen Bummelzug nehmen und keinen ICE oder IC Zug.
Sie kommen über die unvermeidliche Durchgangsstation Unna-Maasen nach Oelde. In Unna-Maasen ist das Einzige, wie die Autorin schreibt für den Mohanad, die Eier zum Frühstück, die fehlen. Was hat der Syrer in seinen Träumen eigentlich gemeint, was Deutschland ist? Ein Asyl-Hotel, in dem man morgens sein Frühstücksei bekommt.
Sehr gut in dem Buch das Herumgeeiere der europäischen Politik um die bis zuletzt 2015 gültigen Bestimmungen zu Dublin, dem EU System, das so verkehrt war, wie man es sich selbst als normaler Bürger nicht hatte ausdenken können. Von Anfang an war das System total marode. Am Schluss des Buches ein sog. Faktencheck, dem Fernsehen abgeguckt, in dem es von Wiederholungen, auch von Zahlen wimmelt.