Ein Kriegsbericht aus Afghanistan
Afghanistan „mit den Augen der ISAF-Truppen“ gesehen. So sind sie, unsere Reporter: Mit ISAF Augen bewaffnet. Von Rupert Neudeck
Das ist das erste Buch, das offenlegt, wie ein Reporter arbeiten muss, der nach Afghanistan geht, nicht um über Afghanistan, sondern über die Bundeswehr in Afghanistan zu berichten. Das Titelbild soll dieses Bild noch mal falsifizieren. Im Gegensatz zu dem, was der Autor da beschreibt, heißt es im Untertitel „Ein Kriegsbericht aus Afghanistan“, obwohl der Autor die über 200 Seiten ohne Mühe darauf bestehen kann, dass es dort keinen Krieg gibt, sondern eher das Gegenteil.
Das Gegenteil ist nicht Frieden, sondern das Bemühen von „Aufständischen“, die u.a. wollen, dass ausländische Waffenträger, ISAF und US-GI’s aus dem Lande verschwinden. Allein schon, weil es denen allemal besser geht als allen Afghanen und auch als allen afghanischen Soldaten und Polizisten.
Der Autor gibt Auskunft über die Zeiten, die er 2010 und 2011 in den drei Feldlagern Kunduz, Mazar i Sharif und Fayzabad verbracht hat und wie er die Amerikaner gebeten hat, ihn mal mitzunehmen. „Embed“ war er, ja, deutsch heißt das tatsächlich: „Eingebettete Recherchereisen“. Arrangiert werden muss das bei der bürokratisch tickenden Bundeswehr nicht etwa vor Ort, sondern beim „Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam“, das einzig Frappierende ist daran, dass dazu viel Papier gehört.
Das Buch ist deshalb besser als viele Räuberpistolen von Ex-Soldatinnen und Soldaten, die jetzt hier mit martialischen und manchmal rührseligen Buchberichten dröhnen, weil es ehrlich ist. „Solange ich mich in den Lagern der Bundeswehr und ihrer Verbündeten aufhielt, schlief ich in den Betten, die mir vom Militär zur Verfügung gestellt wurden. Ich ass mit den Soldaten und war auch sonst in logistischer Hinsicht von ihnen abhängig“.
Und dann fügt er noch hinzu, Gipfel der Ehrlichkeit: „Ich habe diesen Krieg vor allem mit den Augen der ISAF-Truppen gesehen.“
Die Ehrlichkeit verdichtet sich allerdings nicht zu einer Kritik an der Politik, die hier riesige Institutionen mit Waffen und Waffensystemen aufbaut. Da fehlt, wie ja der deutsche Wehrbeauftragte erkannt hat, nur noch der Leopard Panzer, bei dessen Ankunft die Aufständischen vor Angst sich in die Hosen machen würden. Der Autor bleibt im Konsens mit der ihn fütternden Bundeswehr, obwohl er schon hart an der Grenze einer Grundsatzkritik steht.
Denn der Platz Kunduz wurde gewählt, weil er der sicherste in Afghanistan ist. Bitte nicht lachen, haben wir unseren Afghanen gesagt, als wir ihnen das in dem Dorf Totechi in der westafghanischen Provinz Herat erzählten, weil sie uns zu Recht sagen: Aber wenn das doch ein sicherer Platz ist, muss man den doch nicht mit Soldaten einnehmen und besetzen. Zwar staubten auch hier die Straßen in Kunduz, schreibt der Autor, „aber der Krieg war weit entfernt.“
Das Lager war damals (2004) noch in der Stadt. Die Soldaten nannten Kunduz damals ‚Bad Kunduz’. Und wenn man später wagte, in Gegenwart von Fallschirmjägern ‚Bad Kunduz’ zu sagen, riskierte man eine ordentliche Tracht Prügel.
Da ist zum ersten Mal angedeutet, wenn auch verschlüsselt, dass die Bundeswehr selbst diese zunehmende Unsicherheit und Gefahr immer mehr geschaffen hat – durch ihre Anwesenheit und auch Passivität. Es hat natürlich nichts genützt, dass man bei selbsterzeugter größerer Unsicherheit mit dem Lager aus der Stadt Kunduz herausging und auf einem Hügel für 5 Mio Euro – Geld spielt ja keine Rolle – ein neues baute. Der Autor hat auch das Zeug eines Kabarettisten.
Er beschreibt, dass in dem Feldlager ein Vertreter des Auswärtigen Amtes saß, der ihm sagte: „Wir machen signifikante Fortschritte. Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle geht seit etwa einem halben Jahr zurück.“ Alles falsch. Mit der Sicherheit ging es soweit bergab, dass die ISAF-Soldaten von ihren Regierungen bis 2014 zurückgeholt werden. Nicht wegen irgendwelcher genuin afghanischer Gründe, sondern weil es zu viel ausländische ISAF-Soldaten sind, die sterben. Wie soll man sicherheitsrelevante Vorfälle in einem Land messen, in dem man in einem Feldlager wie in einer deutschen Stadt lebt. Es gibt kein landesweites statistisches Amt, das irgendetwas aufzeichnet.
Aber wie gesagt, das ist wenigstens ein Journalist, der mal klar macht, dass er von der Bundeswehr lebt, der es auch ansagt, wenn er ihre Sprache übernimmt. Z.B. heißt eine Begegnung mit einer Dorfbevölkerung bei der Bundeswehr: „Gesprächsaufklärung“. Aufklärung sucht man bei der Bevölkerung, weil die im riesigen Feldlager ja nichts zu suchen hat. Und den Übersetzer oder Dolmetscher nennt man auch nicht so, das ist bei der Bundeswehr der „Sprachmittler“.
Es sind Beobachtungen, die greifen. So bei der Militärseelsorge oder bei der handbackenen Art, wie die afghanischen Soldaten sich bewegen. Wenn die US-GI’s ein verdächtiges Pulver finden, wird das im Labor mit aufwendigen Tests untersucht. Afghanen schmecken eine Prise der Substanz. „Wenn es eine salzige Note hat, dann kann dies ein Hinweis auf Ammoniumnitrat sein, ein Stoff, der für Sprengsätze verwendet wird.“
Der Autor geht im Feldlager Kunduz in eine improvisierte Kirche, „Gottesburg“. Der Pfarrer begrüßt ihn. Er hat keine Dienstgradabzeichen, aber trägt eine Uniform. Seine Antworten na ja waren Mathematik, nicht Philosophie. Der Autor stellt zwei sinnvolle Fragen. Wie ist es mit dem Gebot: Du sollst nicht töten? Antwort im PRT-Feldlager Kunduz: In der Bibel stehe: Du sollst nicht morden. Jeder Soldat, der das hier tut (=Morden), „begeht ein Verbrechen.“
Na ja. „Kann man seinen Feind in Afghanistan lieben?“
Da sagt der Pfarrer: „Mich überfordert das“. Wenn da ein Amokläufer kommt, da muss ich einfach sagen, „da stehe ich hinter zurück, das kann ich nicht. Aber der Anspruch sei dennoch richtig. Denn sonst fällt man in ein „Wie du mir, so ich dir“ zurück.
Der Pfarrer sagt in Uniform mit Kreuz: „Ich mag dieses Land“ – obwohl er nur in der Kaserne ist, ich bin zum 9. Mal hier. Aber das gehe ihm doch in Deutschland genauso, wenn jemand in meine Kaserne kommt und „meine Leute abballert, dann habe ich Schwierigkeiten, ihn zu lieben.“ Der Pfarrer hatte – so schreibt der Autor – gar nicht begriffen, worum es ihm ging.
Das Buch ist angestrengt literarisch gearbeitet – mit winzigen Zwischenkapiteln die die Normalität deutschen Lebens zeigen sollen. Und zwischendurch hat er dann auch die üblichen Sprüche drauf, Vorurteilssprüche, die uns Europäern aber gut gefallen. „Nein, es hatte keinen Sinn, in diesem Land mit dem rationalen Denken anzufangen. Dafür hätte man sich auf irgendetwas oder irgendwen verlassen müssen“.
Das eben macht Militär und Abschließung unmöglich, weshalb das alles ein gescheitertes sinnlos Geld verschleuderndes Unternehmen ist.
Quelle
Rupert Neudeck 2011Grünhelme 2011