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Europa im Erdölrausch

Erdölrausch ausgeschlafen? Zu einer Studie über Energie, erneuerbare und nicht-erneuerbare – von Rupert Neudeck

2009 ‚feierte’ die industrielle Förderung von Erdöl ihren 150. Jahrestag. Das Erdöl und der Erdölkonsum haben viel zu unserem heutigen Reichtum in Europa beigetragen. 1945 am Ende des zweiten Weltkrieges lag der Erdölverbrauch global bei 6 Mio. Fass (a 150 Liter). Im Jahre 2012 steigerte sich der globale Tagesverbrauch auf 88 Mio. Fass – das entspricht 44 Supertankern. Das Buch ist keine Anklage aber eine klare Analyse: wir sind im Erdölrausch. Der Autor beschreibt sich als einen, der lange im Rausch gelebt hat.

Auch sein Leben wurde durch den Rausch geprägt. Heute, so schreibt er vorneweg und das bekräftigt er in einem glänzend recherchierten Buch – sei er davon überzeugt, „dass wir das Erdöl verlassen sollten, bevor es uns verlässt.“ Dafür brauchen wir einen Bewusstseinswandel. Er möchte gern, „dass wir Menschen immer mehr die erneuerbaren Energien ausbauen, deren Effizienz fördern und Konflikte ohne Gewalt lösen“.

Je mehr sich der Autor dem Ende seiner Recherchen zuwendet, je dramatischer sind seine Appelle. „Es ist Zeit den Erdölrausch zu beenden“. Im 18. (von insgesamt 20) Kapitel schreibt er: Er habe dieses Buch geschrieben und seinen Kinder gewidmet, die noch im Vorschulalter sind, „damit sie dereinst verstehen, wie stark der Erdölrausch war und wie stark er die Weltgeschichte beeinflusste“. Jetzt, wo dieser Rausch ausklingt, wie der optimistische Autor meint, sei die Lage für die 7 Milliarden Menschen einzigartig. „Noch nie haben diese 7 Milliarden Menschen gemeinsam auf der Erde täglich 44 Supertanker Erdöl konsumiert und dann erlebt, dass dieser Rohstoff ein Fördermaximum erreicht und knapp und teuer wird.“.

Viele unserer Zeitgenossen befänden sich weiter im Erdöl- (oder jetzt auch im Erdgas-) rausch und hoffen nur, dass diese Knappheit noch 10 oder 20 Jahre aufgeschoben werden kann. „Apres nous le deluge“, wie die Franzosen sagen: „Nach uns die Sintflut“. Andere aber seien dabei, aus dem Rausch aufzuwachen und suchen neue Möglichkeiten im Bewusstsein, dass Krisen auch immer Chancen sind.

Der Autor zitiert die britische Zeitschrift Economist, die im August den zutreffenden Titel „the oiloholics“ in Anlehnung an den „alcoholic“ prägte. Die USA brauchen 20 Mio Fass Erdöl pro Tag, China schon 9 Millionen Fass pro Tag mit aufsteigender Tendenz. Die EU braucht 15 Mio. pro Tag

Die Fragen sind riesengroß. Wie sollen Indien, China, Südafrika, Indonesien und Brasilien den Wohlstand von uns Europäern erreichen, den sie natürlich alle ersehnen, wenn gerade jetzt das Öl knapp und teuer wird. Wir haben für die Kriege, die geplant werden, tödlichere Waffen denn je. Wir können aus großer Distanz töten, besitzen biologische, atomare und chemische Kampfstoffe – nicht nur Nordkorea und Baschar al Assad. Wir sind in der Lage Bahnhöfe und Einkaufshäuser innerhalb von Sekunden in Schutt und Asche zu legen.

Der Autor traut sich von Ressourcenkriegen zu sprechen, denn die westliche Welt hat uns mit dem Irak-Krieg gezeigt, dass man davon sprechen muss. Nach dem 11.09.2001 wurde das OPEC Land Irak in einem Angriffskrieg verwüstet, der nicht von der UNO genehmigt war. Der Irak besitzt aber nach Saudi Arabien und dem Iran die drittgrößten Erdölreserven der Welt.

Das Buch gibt einen umfassenden und realistischen Einblick in die gewaltige Umpolung unseres Lebens, das ja ohne Energie, ohne Strom, ohne elektrisches Licht, ohne Heizung, ohne warme Dusche, ohne Durchlauferhitzer, ohne Kaffeemaschine nicht mehr zu denken ist. Das Buch zitiert an einer Stelle den offenherzigen und erschreckenden Satz von Paul Wolfowitz, einer der scharfen Hunde im bigotten Kabinett des George W. Bush, damals stellvertretender Verteidigungsminister.

Als der 2003 bei einer Konferenz in Singapur gefragt wurde, warum eine Atommacht wie Nordkorea anders behandelt werde denn der Irak, und welche Rolle der Kampf um Energiereserven spiele, antwortete er ganz offen: „Der wichtigste Unterschied zwischen Nordkorea und Irak liegt darin, dass wir beim Irak aus wirtschaftlicher Sicht einfach keine Wahl hatten. Das Land schwimmt auf einem See von Erdöl“. Die Kontrolle der Erdölreserven am Golf sei wichtig für die Sicherung der globalen Dominanz der USA.

Der Autor ist nicht sicher, er kann nur hoffen, dass wir von der 6.000 Watt- zur 2.000 Watt- Gesellschaft vorstoßen. Das kann nur durch Effizienzgewinne und erneuerbare Energieträger gelingen. Der Umstieg könne nur gelingen, wenn es einen Paradigmenwechsel gibt, „der noch nicht eingesetzt hat“. Nach den vier nicht erneuerbaren Energieträgern – Erdöl, Erdgas, Kohle, Uran – gibt es jetzt sechs erneuerbare Energieträger: Sonne, Wasser, Wind, Biomasse, Biogas, Erdwärme.

Unsere Sucht nach Öl zu durchbrechen, ist eine der großen Herausforderungen, der unsere Generation gegenüberstehen wird“, sagte der US-amerikanische Präsident Barak Obama.

Erdöl ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. „Selbst Könige hatten vor 400 Jahren in Europa nicht ein annähernd so komfortables Energieangebot, wie es heute praktisch alle Europäer mit großer Selbstverständlichkeit genießen.“. Aber: produziert werde das Öl nie. Es lagert seit Millionen von Jahren im Boden, es ist sozusagen ein Geschenk der Erde. Die Firmen wie ExxonMobil, Shell, BP und Chevron, die es schafften, die Verarbeitung und den Verkauf zu kontrollieren, sind zu den machtvollsten und reichsten Konzernen der Welt aufgestiegen.

Es gäbe aber auch eine Schattenseite des Verbrauchs von Erdöl. In vielen Ländern habe Erdöl die herrschenden Regime korrumpiert. In Angola, Saudi-Arabien, Nigeria sind kleine Oberschichten entstanden, deren Reichtum und Konsum nicht mehr zu begreifen sei, während die Mittel- und Unterschicht verarmt und unterdrückt wird.

Was die meisten Menschen nicht wissen: Nicht nur Kohle, nicht nur Atomstrom, auch Erdöl wurde mit rund 200 Mrd Dollar pro Jahr deutlich mehr subventioniert als die erneuerbaren Energien. Der Autor sagt am Schluss sehr klar: Für die Zukunft sei es klar; „dass die erneuerbaren Energien stärker und die fossilen und atomaren Energien weniger subventioniert werden, denn nur dann kann die Energiewende gelingen“.

Der Autor weiß nicht, ob die Energiewende erreicht wird. Er weiß aber: „Wenn der Energieverbrauch pro Kopf tief ist und die Energie zu 100 Prozent auf erneuerbaren Quellen erzeugt wird, ist die Energiewende vollzogen“. Allerdings muss er hinzufügen: Derzeit gibt es noch kein Land der Welt, das sich zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien versorgt.

Was die Länder Mitteleuropas angeht, so liegt Österreich bei der Entfaltung der erneuerbaren Energien vorne. 2008 lag es mit einem Anteil von 27 Prozent vor der Schweiz (19 Prozent) und Deutschland mit 12 Prozent. Aber hinter Norwegen mit 43 Prozent, Schweden mit 32 Prozent und Lettland mit 32 Prozent.

Daniele Ganser  kann am Schluss dieses faszinierend informativen Buches nicht schlüssig sagen, ob die Energiewende gelingen wird. Aber er hofft es. Oder erwarten uns, unser Kinder und Enkel Ressourcenkriege, Klimawandel und Wasserknappheiten? Allein die Frage sollte geringer sein als die Hoffnung, dass die Wende gelingen kann.

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

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