Gemeinsam auf dem Acker: Solidarische Landwirtschaft in der Schweiz
Die Landwirtschaft ist nicht industriell. Sie ist ganz anders: solidarisch, ökologisch. Von Rupert Neudeck
Das ist die sanfte nach der gewalttätigen Revolution. Es ist vielleicht eher eine Revolte. Wir haben irgendwie gesehen, dass wir an den Riesen-Netzwerken und Verschiebebahnhöfen der Bürokratie nicht vorbeikommen. Also, wer die Welt an seiner Stelle ändern möchte, der beachte erst mal die Bestimmungen, Regulationen, Gesetze. Das Schlußkapitel dieses sehr informativen und auffordernden Buches über die solidarische und damit nicht-industrielle Landwirtschaft in der Schweiz endet mit sehr praktischen systemimmanenten Aufforderungen: Das rechtliche Umfeld muss der beachten, der sich ein CSA Projekt vorstellen und verwirklichen möchte. CSA ist die Zauberabkürzung für eine kleine Rebellion gegen die Supermärkte und die globalisierten Frachtverschiebung von Lebensmittel aus Südamerika nach Zürich.
CSA: „Community Supported Agriculture“. Es werden die Gesetze aufgeführt. Wie das Raumplanungsgesetz, das Landwirtschaftsgesetz, das Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht und das Bundesgesetz über die landwirtschaftliche Pacht. Die Autoren wissen, was jeder auch weiß, der Augen hat zu sehen: Die Landwirtschaft verliert ihr ganz Eigenes, sie verliert ihren Boden in der Natur, wenn sie als Industrie funktionieren soll. Die Autoren nennen das, was sie vorstellen in vielen Beispiele solidarische Landwirtschaft. Was ist der Unterschied? Die Landwirtschaft pflegt Lebewesen. Während eine Fabrik rund um die Uhr produzieren kann, sind Pflanzen und Tiere an Tages- und Jahreszeiten gebunden. Es gäbe nur eine Weizenernte im Jahr und meist auch nur eine Kuh pro Kalb. Tiere und Pflanzen sind auf die begrenzten Ressourcen der Natur, Wasser, Erde, Sonne angewiesen. Darum sind sie nicht im industriellen Sinne effizient.
In der Schweiz gibt es vier große Milchfirmen auf der einen, 23.000 Milchproduzenten, kleine Bauern also, auf der anderen Seite. Wenn der Preis sinkt, produziert der Michbauer nicht weniger, sondern mehr Milch Denn er muss ja seine Einnahmen halten. Die Beschäftigung mit Essen und Landwirtschaft – das ist auch eine Botschaft des Buches – kann auch politisch machen. Zum Beispiel dann, wenn Stadtbewohner ihre Lebensmittelversorgung überschauen, und sehen, dass der Bedarf den Rahmen von „Urban Gardening“ sprengt. Die Fragen, was ist eine gute Tierhaltung, welche Strukturen sind für die ökologische Versorgung einer Stadt sinnvoll? sind auch politische Fragen, Viele dieser Initiativen laufen als CSA. Das heißt eine bestimmte Gruppe von Menschen, Bürgern, Konsumenten verpflichtet sich, bestimmte Nahrungsmittel aus dieser nicht industriellen Landschafts- Genossenschaft zu kaufen und zahlt auch im Voraus schon, damit der Hof oder die Genossenschaft tüchtig weiterarbeiten kann.
Das Buch ist realistisch, es ist nicht nur gegen Maschinen. Auch die Biolandwirtin nimmt der Milchkuh das Kalb weg, braucht Maschinen und pflanzt für das Tafelobst Niederstammbäume, weil die Ernte vom Hochstammbaum zu aufwendig ist. Mit Ihrer Natur und Saisonerfahrung kann die Landwirtschaft auch noch mehr bringen, als die industrielle Wirtschaft bringt, nämlich ein neues Verhältnis zur Mutter Erde und zur Natur. Der Landwirt wird zitiert mit dem Satz: „In dem Moment gewinnt die bäuerliche Weltsicht, da sie von der Auslöschung bedroht ist“. Die ersten Erfahrungen mit solcher Landwirtschaft wurden 1988 in Deutschland gemacht am Buschberghof in der Nähe Hamburgs. Dabei spielte der Landwirt Trauger Groh eine große Rolle, der Landwirtschaft lebte auf dem Buschberghof bei Hamburg, einem nach anthroposophischen Regeln arbeitenden Hof. Der ex Besitzer, der mit dem Betrieb nicht mehr klarkam, hatte in den 60er Jahren den Betrieb einer gemeinnützigen Gesellschaft vermacht. Trauger Groh wanderte 1980 in die USA aus. Eltern von Kindern einer Waldorfschule in New Hampshire baten ihn, für sie Gemüse anzubauen. Gemeinsam kamen sie dafür die Kosten der Produktion auf. So wurde Temple Wilton Community Farm gegründet. Es war der Vorläufer für das erste CSA Projekt in Deutschland.
Das Buch enthält ein Gespräch mit einer Rechtsanwältin, die auf den Wust von juristischen Bestimmungen und Gesetzwerken aufmerksam macht. In der Schweiz, sagt sie, ist der Erwerb von Landwirtschaftsland nur Selbstbewirtschaftern vorbehalten – also Menschen, die einen Hof selber bewirtschaften können. Dieses Selbstbewirtschaftungsprinzip ist das konsequenteste Bollwerk gegen „Landgrabbing“. Es verhindert, dass in der Schweiz Unternehmen im großen Stil Land Wirtschaftsland kaufen können, wie das in vielen anderen Ländern, zumal Afrikas geschieht.
Das Buch berichtet das über diese funktionierenden solidarischen Projekte, z.B. les Jardins de Cocagne und Folgeprojekte, Im Kanton Genf. Dort werden die Kühe mit der Hand gemolken wie auch die Schafe. Und der, der das tun will, sagt: „Das geht fast nicht, denn die heutigen Milchschafe werden für die Melkmaschinen gezüchtet. Ihre Zitzen sind winzig“. Die Industrie bringe einen ganzen Erfahrungsschatz zum Verschwinden. Wörtlich: „Unsere Hybridhühner legten keine Eier, bis ich einen Sack Standardfutter aus dem Handel kaufte.“ Das finde er beängstigend. Es werde jahrelange Forschung brauchen, um die Systeme wieder an die Höfe anzupassen. Es sind auf diesen Höfen meist multiethnische Teams. Ein Praktikant aus Deutschland, ein Genossenschaftler aus Spanien, eine Gartenkraft ist aus Polen. Diese Höfe ernähren sich von den Abonnements derer, die mit ihren Nahrungsmitteln beliefert werden.
So berichten die beiden Autoren über eine Vielfalt solcher Initiativen, die über selbstverursachte Schwierigkeiten doch immer auch an ein Ziel kommen, weil es für die Menschen, die dort arbeiten eine wirkliche Lebensalternative ist zu dem Leben eingelullt in Werbung, Glitzerkram, Maschinen, die uns demnächst auch noch das Autofahren ersparen wollen. Da gibt es selbstbewusste und begeisterte Menschen, die Anstrengungen nicht scheuen, wenn sie dafür mit dem ganzen Leben, Geist, Gewissen und ihrer Leidenschaft hinter dieser Arbeit stehen. Die Autoren beschreiben die Genossenschaft Ortoloco, in Dietikon Zürich, auch ein Unternehmen, das mit der Leidenschaft von Menschen für ihre eigene Arbeit gewachsen ist. Die „Femmes solidaires sans Frontieres“ (Solidarische Frauen ohne Grenzen) sind in Renens im Waadi angesiedelt und sind ein richtiger Frauenverein. Die Genossenschaft „Le Clef des Champs“ arbeitet im Jura schon seit 33 Jahren. Eindrucksvoll das abenteuerliche Leben von Anni und Maja Monnot in der Genossenschaft Chrutose. Diese Frauen arbeiten mit den Tieren und arbeiten noch weiter mit ihren Händen. Nach dem Frühstück kommen die beiden in die Ställe. Die Ziegen, die sonst nur Gras und Heu bekommen, drängeln sich auf der hölzernen Rampe. Vorsichtig öffnet Maja den Schieber und läßt fünf Tiere in den Melkstand. Maja melkt von Hand. Wenn sie jedes Euter zweimal am Tag in der Hand hat, spürt sie am besten, wie es den Tieren geht“.
Dieser Hof wird unterstützt von der Schweizer Bergheimat, die jetzt auch mit zinslosen Darlehen hilft. Anna und Maja wirtschaften hier zu zweit, aber das Netzwerk ist natürlich größer. Sie haben hetzt oft für Wochen und Monate eine junge Bäuerin auf der Suche nach einem eigenen Hof, einen Waldorfschüler aus Deutschland, eine Managerin mit Sehnsucht nach einem konkreten Leben mit praktischer Arbeit. Keine Woche vergeht, ihn e dass jemand vorbeikommt. Viele arbeiten auch mit. So der Nachbar und Handwerker Rocky aus Wolhusen, der seit 20 Jahren bei Heuen den Ladewagen fährt, als wäre es sein eigener Hof. Jeden Sommer helfen ganze Familien. Freunde haben die Güllegrube gebaut, den neuen Laufstall für die Ziegen. Ein anderer Bauer bringt für die Monnots im Herbst den Mist aus. So gehört zur solidarischen Landwirtschaft auch die Solidarität mit der Landwirtschaft. Das Wichtigste, diese beiden Frauen sind das Gegenteil von wehleidig. Wenn jemand sagen würde: Sie lebten bescheiden, wehren sie sich: „Das stimmt überhaupt nicht! Ich habe sehr hohe Ansprüche ans Leben! Und Maja ergänzt: „Ich kann doch nichts dafür, dass meine Hobbys nichts kosten!“
Das Buch hat diese Erzählungen über den leidenschaftlichen und genügsamen Weg von Menschen, die ein richtiges Leben führen wollen. Das ist offenbar nicht mehrheitsfähig. Was mir auch ein wenig fehlt ist die Frage, aus welchen Motiven sich diese Menschen so ganz in eine aufreibende, aber erfüllende Arbeit hineinbegeben.
Es ist kaum die Religion. Es sind anthroposophische Motive, es sind auch Motive aus der großen Umweltbewegung, die aber für viele immer abstrakter wird. Interessanterweise erwähnen die Autoren bei den beiden Frauen die Liebe zu Friedrich Nietzsche. Es geht in dem Buch noch um die Genossenschaft Agrico in Therwil, um den Verein Soliterre Region Bern. Weitere Kapitel in dem Buch behandeln den Verein Terre ferme, der in Yverdon im Waadt gegründet wurde, und über die Genossenschaft Conprobio, im Tessin im Cadenazzo.
Das Buch eignet sich auch für alle, die etwas Ähnliches in Deutschland vorhaben. Das Schlusskapitel gibt Anweisungen, was man dabei zu beachten hat. Man kann es in der Regel nicht alleine machen, braucht für ein so großes Unternehmen eine Gruppe. Wichtig ist für die Schweiz wie für Deutschland das juristische Umwelt. Dann geht es um die Identifizierung der Produkte für die Nachbarschaft wie für die Bodenbeschaffenheit. Es geht um die Abgrenzung von bezahlter und von unbezahlter Arbeit.
Wieso ist es so schwierig, die Welt davon zu überzeugen, dass die Landwirtschaft nicht nur nicht industriell ist, sondern auch nicht industriell werden darf?