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In Afrika: Reise in die Zukunft

Afrika nach dem 11.September 2001 – Und nach dem Ende des kalten Krieges. Von Rupert Neudeck

Endlich ein Buch, das uns sagt, dass es Afrika so nicht gibt, wie wir es uns vorstellen und wie alle Ministerien des Äußeren und der Kooperation es weiter betreiben. Es gibt die Länder Nordafrikas, die man besser zum Arabischen Halbinsel Bereich zählen und zuschlagen sollte, da gehörten sie in jeder Weise mehr hin denn nach Afrika, und in dem Gewusel der 49 Staaten südsaharisch gibt es noch genügend gewaltige Unterschiede. Kein Land Europas hat sich bisher in ein Land und ein Volk Afrikas so verliebt (und vice versa), dass daraus eine lebenslange Partnerschaft und heftige Zusammenarbeit geworden ist. Kein Land hat das bisher gewagt, weniger aus Feigheit, als aus bürokratischer Bequemlichkeit.

Am Schluss wird es sensationell. Perry lässt dem Westen nichts durchgehen. Den sagenhaften Aufstieg Chinas als Großmacht und sein Eingreifen in Afrika wertet er ganz anders als die meisten Diplomaten, Helfer, Unternehmer usw., die sich in Afrika auskennen. „Fast ohne Ironie“ würden westliche Geschäftsleute u.a. China des „Imperialismus“ beschuldigen. Die Chinesen schnappten sich die Bodenschätze, förderten die Korruption. Ohne Scham erklärt der Präsident der Europäischen Investitionsbank, die chinesischen Banken „kümmern sich nicht um soziale Fragen und Menschenrechte“. Was die westlichen Banken ja ohne Unterlass tun.

Das Geschäftsmodell Chinas hat enorme Vorteile: Sie sind anders. Es gibt keine Schulden. Die Chinesen kommen und berechnen den Wert unserer Bodenschätze. Die Afrikaner sagen dann: Wir reservieren das für euch. „Bringt Geld!“ Und die Chinesen bringen Geld. Und sie machen gleich Krankenhäuser, Verkehrsinfrastruktur, Schulen, Straßen.

Und dann kommt noch dazu: dass unter den vornehmen Pinkels der IWF und Weltbank und Kreditanstalt für Wiederaufbau natürlich die Haltung des Weihnachtsmannes immer noch überwiegt. 2007 stand der IWF kurz vor der Gewährung eines Kredits von 5 Milliarden US Dollar – nah Jahrelangen (!) Gesprächen darüber, dass Angola das Geld auch richtig einsetze. Plötzlich sagte die andere angolanische Seite, sie brauche das Geld nicht mehr. China hatte ihnen einen zinsgünstigen Kredit und Tauschgeschäfte, Infrastruktur gegen Erdölkonzessionen im Wert von 5 Mrd. US-Dollar angeboten. Der IWF Banker knirschte noch Jahre später, weil der Deal an einem Wochenende unter Dach und Fach gebracht wurde, wo die Expertenmafia sowie ihren Entertainments nachgeht.

Perry ist die Generation nach Karl-Heinz Böhm, Harry Belafonte und  Bob Geldof. Er beginnt die Hungertragödie Afrikas nicht mehr mit der 1983ff in Äthiopien, sondern der 2011 in Somalia. Er macht mit einem Skandal bekannt, den er immer noch nicht begreifen will. Die US-Regierung verweigerte den Somalis südlich von Mogadishu humanitäre Hilfe, weil sie Al Shabaab austrocknen und killen wollte. Darüber sind vielleicht 200.000 Somalias gestorben, obwohl die Lagerhäuser voll bis unter die Haarkrause waren, das ist eine der Tragödien, auf die der Autor in seinem Buch mehrmals zurückkommt.

Perry ist auf Grund seiner Erfahrungen in Somalia zu einem Gegner der Internationalen Hilfe geworden, die zu „einer riesigen globalen Industrie von beispielloser institutioneller Macht und Reichweite geworden ist. Und damit hat er Recht. Es gibt aber eine Spaltung der großen globalen Industrie und von kleinen ausdrücklich nicht staatlichen NGO’s, die weiter Menschen  in Afrika gerecht werden wollen. Aber er hat trotzdem Recht. Diese globale Industrie umfasst „die Vereinten Nationen, die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds, Teile des Pentagons und anderer ausländischer Armeen, hunderte ausländischer Entwicklungsministerien, Tausende ausländische Botschaften und Zehntausende ausländische Hilfsorganisationen mit mehr als 600.000 Mitarbeitern – die zusammen für ein Welthandelsvolumen von 134,8 Milliarden US-Dollar stehen“.

Perry ist gleichzeitig ein Optimist, wenn man die Wachstumsraten der afrikanischen Länder sieht. Dann könne man leicht Sambia im Jahre 2050 auf dem Stand der Republik Polen sehen. Das jährliche Wirtschaftswachstum in Afrika ist seit 2003 doppelt so hoch wie der Weltdurchschnitt. Wenn „Afrika an diesem Weg festhält, wird der Anteil der als absolut arm eingestuften Afrikaner von der Hälfte im Jahr 1990 auf ein Viertel im Jahr 2030 sinken. Man erfährt biographisch nur Bruchstücke. Der Autor war Afrika Korrespondent des Time Magazines und jetzt von Newsweek, lebte für ganze Jahre in einigen Städten, Hauptstädten Afrikas, die sich für den Europäer eignen zum Wohnen. So lebte er in Kapstadt für eine nicht im Buch angegebene Zeit und wohl auch in Äthiopien.

Manche meinen wir, so sagt er an einer Stelle: „Afrikaner hungern wie Russen trinken, Araber streiten und Italiener singen“. Manchmal – das ist der Inhalt des ersten Kapitels – wird eine Hungersnot gemacht. Bei der Verfolgung von 3000 Guerillas hatten die USA und ihre somalischen Verbündeten unter Mithilfe westlichen Hilfsorganisationen nahezu drei Millionen Menschen in eine Hungersnot gestürzt. Dieses Kriegsverbrechen seien gleich hinter Kambodscha und Ruanda einzuordnen. Westliche renommierte Organisationen waren mitbeteiligt an dem politischen Coup, u.a. Oxfam. Zu Recht empört sich der Autor über diese furchtbare Entgleisung von Hilfsorganisationen auf Anweisung der US-Regierung.

Der Autor erkennt die Hilflosigkeit der Bemühungen der UNO und des Westens, Somalia, ein erster failed state, wieder auf die Beine zu helfen. Die Regierung wird ausgehalten und hat mit der Bevölkerung so viel zu tun wie Gustav mit Gasthof: Gar nichts. Diese Regierung hält sich aus verständlichen Gründen lieber in den vornehmen Hotels in Kenya als in Mogadiscio auf. Es fehlt bei der UNO immer ein Erfolgs-Check, diese sog. Regierung hat bisher nur internationale Gelder verprasst. Es geht bis heute in Afrika um die Frage UBUNTU oder liberale westliche Demokratie. In vielen Ländern gibt es Gleitbewegungen, aber auch Entgleisungen. Dass ein Staatschef in Uganda wie Yoweri Museveni sich nach 1986 zum fünften Mal wiederwählen lässt und das auf Lebenszeit, ist eine Entartung der Diktatur. Das gleiche gilt für Robert Mugabe und Eduardo dos Santos in Angola.

Es geht in dem Buch in großen Kapiteln nicht um ganz Afrika, deren 53 Staaten niemand kennen kann. Es geht um Somalia, den Süd-Sudan, die Zentralafrikanische Republik, Uganda, Ruanda und den Kongo, Simbabwe, Guinea Bissao und Mali, dann Nigeria, am Schluss im Zweiten Teil noch einmal um die Sorgenkinder: Somalia, Kenya, Uganda. Der Dritte Teil beschreibt, wie sich Afrika zwar noch nicht emanzipiert hat und deshalb noch immer eher abgehängt wirkt. Aber der rasende Erfolgstrip Chinas in Afrika, über den wir Europäer so wütend waren und noch immer sind, belehrt uns eines anderen. Das Buch hat keine Fotos, was wahrlich nicht schadet, es hätte aber einige Anmerkungen durchaus für den neugierigen Leser verdient gehabt.

Perrys Buch ist wahrscheinlich das erste von vielen westlichen, zumal US-amerikanischen Büchern, das sich ganz den Standpunkten der Afrikaner zu eigen macht. Perry unterhält sich offenbar stundenlang mit dem Präsidenten von Ruanda, Paul Kagame, der vielleicht wie kein anderer sich der eigenen Würde der Afrikaner im Weltverbund bewusst ist. In dem ganzen Desaster, das sowohl die UNO wie die NGOs angerichtet hatten, hat Kagame gute Karten. Perry sagt ihm, Kagame, er wolle ihn nicht als Heiligen zeichnen, aber „ich frage mich, wie Sie die jüngste Presseberichterstattung bewerten, die Sie als Tyrannen darstellt“. Darauf Kagame: „Ich will kein Heiliger sein. Das versuche ich nicht einmal. Es würde mich nur von meinen Pflichten abhalten. Wenn ich mich darauf konzentrierte, ein Heiliger zu sein, täte ich am Ende nichts von dem mehr, was ich tun müsste“.

Perry beschreibt wie keiner vor ihm, wie nutzlos die Anwesenheit von UN-Blauhelmen sein kann und ist wie im Kongo. Die Anwesenheit von 19.000 Blauhelmsoldaten seit 2012 und jährliche Kosten von 1,4 Mrd. US-Dollar hat im Sinne der Befriedigung des Kongo nichts gebracht. Das ist ja auch kein abstraktes Ziel, sondern ein konkretes. Als der Rebellenangriff der sog. M23 Milizionäre begann, kämpfen die UN-Blauhelme nicht. Hinter den Palisaden der Mauern des Stützpunktes in Kiwanja stehen mehrere Reihen weißer LKWs, Panzer, Krankenwagen, gut gepflegte Blumengärten um die Offiziersmesse. Auf der Mauer ist sichtbar der Wahlspruch der Sikh-Soldaten: „Nische kar apni jeet karoon“. Zu deutsch: „Mit Entschlossenheit werden wir siegen.“

Die UNO taucht ab in ihre Feldlager, die gut geschützt sind für sie selber, die Flüchtlinge werden nicht geschützt. „Sie lassen uns nicht herein, selbst wenn es Kämpfe gibt. Sie schauen nur zu, wie hier einer nach dem anderen getötet wird“.

Perry weiß auch, dass die Entwicklungshilfe vielleicht in den 50er und 60er Jahren den Afrikanern in greifbarer Form zugute kam. Aber ansonsten machen die UNO-Agenturen Zahlenspiele. 1960 betrug die Entwicklungshilfe für Afrika 596 Mio. US Dollar oder etwas mehr als zwei US-Dollar pro Afrikaner jährlich. In den folgenden 50 Jahren verdoppelte sich die Summe und erreicht 2013 mehr als 50 US-Dollar pro Afrikaner und Jahr.

Die UNO profitiert, sie unterhält die größte Fluggesellschaft in Afrika mit 250 Flugzeugen allein für ihre sog. Friedenseinsätze. Das Geld wird auch für die Hilfsorganisationen selbst ausgegeben. „Zuweilen kann der Eindruck entstehen, die Hilfe wäre nichts anderes als ein von Hilfsorganisationen erdachtes Programm zu deren Bereicherung und Wohlleben“. Die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen gehören zum Obersten einen Prozent Afrikas. Wenn man das Gedränge in den besten Restaurants von Maputo bis Mauretanien sieht, fällt es einem schwer zu behaupten, die Hilfe komme mehr den Afrikanern als den Helfern zugute.

Ich fürchte, man muss den Weg mit Perry zu Ende gehen, der ein Weg klassischer Entmythologisierung ist. 2013 bekam der Autor in Goma heraus, dass ein mittlerer UN-Manager in Goma ein steuerfreies Einkommen von 75.000 bis 301.443 US-Dollar hat, einen Wagen im Wert von75.000 US-Dollar; eine Erschwerniszulage von 23.250 US-Dollar, Zuschüsse für die Anmietung einer am See gelegenen Villa bis zu 10.000 US-Dollar, Heimflüge in der Business Class und Schulgeld für eine unbegrenzte Zahl von Kindern.

Zusammengefasst: für einen UN-Mitarbeiter belief sich das Gesamteinkommen auf nahezu eine halbe Million US-Dollar. Damit verdiente er mehr als der US-Präsident und auch die meisten Menschen auf der Erde. Als Perry einmal mit dem Fotografen nach Goma zurückkam, sah er wie ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation auf dem Kivusee Wasserski fuhr, hinter einem Rennboot, von dem starke Rockmusik herüberwehte.

Das Buch ist eine neue Version von Bartholomäus Grill: „Ach Afrika“. Es nimmt all das neue auf, was Grill noch nicht in seinem Buch hatte. Beide verdienen weiter nacheinander gelesen zu werden. Es zieht Bilanzen in dem Postapartheid Staat Südafrika. Wie das Monopol des ANC als Befreiungsorganisation verhängnisvoll ist für einen ordentlichen Rechtsstaat, zeigt Perry: Präsident Zuma und die ANC-Klasse hält Ihre Bewegung für über dem Gesetz stehend und wichtiger als die Verfassung. Wie soll in einer solchen Welt Korruption sich verflüchtigen.

Zuma sagte dem Autor auf die Frage, ob er für das Präsidentenamt sich bewerben und rennen würde: „Ich kann nicht rennen. Das System, dem wir folgen, rennt niemals.“ Der innere Kreis des ANC bestimme, wer zum Präsidenten bestellt werde. Die Folge: Im ganzen Land security estates. Mit 411.000 angestellten Sicherheitsleuten, deren Zahl doppelt so hoch ist wie die der Polizisten. Das security estate, so Perry, sei das Lager des 21. Jahrhunderts. Der Zweck wie bei allen Lagern: Die Abschottung gegenüber den anderen.

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Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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