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Israel: Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates

Israel – nie ein Ende – Zu einer bemühten Form, den Staat Israel noch mal zu beschreiben. Von Rupert Neudeck

Das Buch ist für beide Lesergruppen: einmal für die, die die Herkunft des Staates noch einmal sehr konzentriert erfahren möchten. Aber auch für diejenigen, die sich um dieses Israel sehr große Sorgen machen. Im einem der Schlusskapitel beschreibt der Autor das ausufernde Leben der Charedi in Jerusalem und damit auch einen Teil des Verlustes der bisher dominierenden Säkularität des Staates. Aber dieser Verlust wird ganz ausdrücklich nicht diskutiert, außer im Fall der israelischen Dame, die im Flieger von Los Angeles nach Tel Aviv nicht neben einem Rabbiner-Mann im Flugzeug sitzen sollte und die jetzt dagegen vor Gericht gegangen ist. Zu Beginn der neunziger Jahre machten die Ultraorthodoxen noch drei Prozent der jüdischen Bevölkerung, 2008 waren es bereits 9 Prozent. Demographische Prognosen sagen uns, dass dieser Prozentsatz 2025 bei 21 Prozent und 2050 bei 30 Prozent liegen könnte. Die innere Herausforderung für die israelische Bevölkerung ist immer noch grandios. „Ein Großteil der ultraorthodoxen Juden wird weder zum Wehrdienst eingezogen noch trägt er zur Wirtschaftskraft des Landes bei, sondern geht, durch staatliche Unterstützung begünstigt, dem Thora- und Talmud- Studium nach“.

Der Sprengstoff, den solche Verhältnisse auf Dauer bilden, ist natürlich unheimlich stark, bislang wird fast alles unter den Teppich gekehrt. So wurde in der alten Regierungskoalition ein Gesetz verabschiedet, das vorsieht – unter vorsichtigen Klauseln, einen Teil auch dieser Gruppe zum Militär einzuziehen. Der Sprengstoff ist ein doppelter. Viele Ultraorthodoxe stehen dem Zionismus kritisch gegenüber. Das hat seinen Grund darin, dass es die Auffassung gibt, dass ein jüdischer Staat nur auf göttlichem Wege und nicht durch menschliches Handeln wiederhergestellt werden kann. So gehörten, wie Brenner schreibt, von Anfang an orthodoxe Juden zu den entschiedenen Gegnern der säkular geprägten zionistischen Bewegung.

Das einzige, was ich an dem Autor und dem Buch überhaupt nicht verstehen kann, ist eine Absichtserklärung: Dieses Buch beschäftige sich nicht mit der äußeren Bedrohung Israels und all seinen inneren Konflikten, auch nicht mit dem arabischen Bevölkerungsteil Israels. Wie soll das gehen? Es reicht ja schon die inneren Konflikte in der jüdisch-israelischen Gesellschaft zu beschreiben. Es könnte ja sogar sein, dass die inneren Konflikte zu einer wirklichen Zerreißprobe für Israel führen.  Ich frage mich nur, wie soll das gehen, ein Buch über Israel zu schreiben, ohne die äußeren und inneren Konflikte zu behandeln, die oft kurz vor der Explosion stehen.

Liest man das Buch, kommt man in die unglaublich reiche intellektuelle Welt, in der diese Diaspora ja nur so sprühte. Dass sie schon mit furchtbaren Pogromen verbunden war ist auch richtig. Man hat als Leser nur das Gefühl, dass Theodor Herzl, Arthur Schnitzler, der deutsche Unternehmer Walter Rathenau, fiktionale und dokumentarische Literatur spielen in „Altneuland“ von Theodor Herzl eine gleichgroße Rolle. Dr. Geyer soll wohl ein jüdisches Spiegelbild des antisemitischen Bürgermeisters Dr. Lueger sein. Wer kann Mitglied der neuen Gesellschaft sein? Nur Juden, das ist dann wieder Ausdruck ihrer Exklusivität. Herzl schließt in der „Neuen Gesellschaft“ den muslimischen Araber Reshid Bey ebenso selbstverständlich ein wie den protestantischen Preußen Kingscourt und lässt den Protagonist Littwack  die Mission der Juden so beschreiben. „Und darum sage ich Euch, dass Ihr daran festhalten sollt, was uns groß gemacht hat: am Freisinn, an der Duldung, an der Menschenliebe. Zion ist nur dann Zion!“

Von Herzl stammt auch die Formel von dem Siebenstundenland, was einfach als soziale Utopie bedeuten sollte, dass in dem künftigen Gemeinwesen niemand mehr als sieben Stunden am Tage arbeiten wird. Das Siebenstundenland, das Wunderland, der Musterstaat. Dieses waren Herzls Visionen eines Judenstaates. Und jetzt kommt noch mal die Grundbezeichnung des Modells: Herzls Modell war ein zutiefst universalistisches. Für den Agnostiker Herzl spielte das partikular Jüdische nicht die zentrale Rolle. Es sollte gewiss auch gebetet werden und Rabbiner geben. Doch all dieses sollte für Herzl von symbolischer Bedeutung sein. Der erste Zionistenkongress wurde dann nach Basel einberufen, nach Anfragen, ob man das auch in München oder in Wien oder wo immer machen könne. Aus Gründen einer damaligen Political correctness konnte man nur in Basel landen.

Ein anderer bedeutender Jude der damaligen Jahre war Dubnow. Wie Herzl 1860 geboren, wurde er in eine religiöse jüdische Familie hineingeboren. Er entfernte sich von der Religion, ging 1890 nach Odessa auf der Suche nach Sonne wie nach intellektueller Anregung. 1897 war auch für Odessa ein Wendepunkt. Auch dort waren die Nachrichten vom Basler Zionistenkongress angekommen. Wie Herzl sah Dubnow die Juden als eine Nation. Wie der Bund sah er die Zukunft der Juden aber in ihrer europäischen Heimat.

Die Frage, die man sich stellt – aus geschichtlicher Rückschau – vielleicht nicht allein: weshalb haben die Juden in der Zeit der überbordenden Pogrome in Osteuropa und des Antisemitismus in Europa nicht für die USA als ihr Rückzugsterritorium votiert. Immerhin war es für zigtausende, vielleicht hunderttausende von europäischen Juden einfacher, sich die USA als Zukunft vorzustellen denn die arabische Wüste…! Es gab in den USA die Bewegung Forverts, die für die Aufnahme von Massen notleidender jüdischer Menschen als Alternative die USA an Stelle von Altneuland-Palästina stellten. Aber – „Selbst wenn sich zwei Millionen Juden hier niederließen, es wäre noch keine Lösung der Judenfrage.“

Die spannendste bis heute nicht wirklich gelöste Existenzfrage des Landes ist die Frage: Wer ist Jude im jüdischen Land? Es ist unter den Bedingungen der schwindenden Säkularität des Staates und der Zunahme der Orthodoxen keine lösbare Frage. Sie wird sich wohl immer neu stellen müssen. Ben Gurion hatte damit zu kämpfen, selbst in der eigenen Familie: Sein Sohn Amos hatte eine nichtjüdische Frau geheiratet. Heute muss man zur Heirat nach Zypern fliegen, um die Ehe gültig zu machen. Die erste gemeinsame Tochter von Gurions Sohn und dessen Frau wurde vom Rabbinat nicht als jüdisch anerkannt, da ihre Mutter bei einem nichtorthodoxen Rabbiner übergetreten war. Ein Knessetabgeordneter feixte damals: Nach geltender israelischer Rechtslage sei der Enkel von Nikita Chruschtschow (damals sowjetischen Regierungschef, dessen Sohn eine jüdische Frau geheiratet hatte) jüdisch, die Enkelin von Ben Gurion dagegen nicht jüdisch.

Der Autor beschreibt mit vollendeter Gründlichkeit die intellektuellen Kämpfe, die es in Berlin (Zeitschrift Die Zukunft), in Wien, in Paris damals gegeben hat. Es gab 1896 den Paukenschlag „Der Judenstaat“, der wirklich ins Kontor schlug. Einer derer, die sich gegen Herzls Programm mit einem eigenen Manifest wandten war der Politiker und Geschäftsmann Walter Rathenau. Der Geschäftsmann war der Vater Emil Rathenaus, der Gründer und Generaldirektor der mächtigen allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft. Rathenau schrieb: “Die überwältigende Mehrheit der deutschen Juden hat nur ein einziges Nationalgefühl: das deutsche. Mögen andere ein Reich in Palästina begründen: Uns zieht nichts nach Asien.“

Was auch wichtig ist: Um die Jahrhundertwende hatte sich die Berufsstruktur der Juden nicht so an die Umwelt angepasst, wie es die Aufklärer forderten. Die dominanten Berufe der Juden unterschieden sich nach den Ländern. In Saloniki gab es jüdische Hafenarbeiter, in Amsterdam und Antwerpen Diamantenschleifer, im Elsass und in Süddeutschland Viehhändler. Überall waren Juden im Bereich des Handels über- und in der Landwirtschaft unterrepräsentiert. Auch hier wollte der Zionismus, der Ur-Zionismus den Typus des neuen Juden schaffen. Statt Händler sollten die Juden die normalen Berufe auf der Leiter der Berufsangebote üben oder wahrnehmen.

Es gibt weiter unverbunden die Haltung der eisernen Sammlung aller Juden im jüdischen Staat Israel. Das geschieht seit Jahrzehnten in Israel durch den Schriftsteller A.B. Yehoshua. Es gab immer wieder Millionen andere, die das für sich nicht reklamieren wollen und können. Die Vertreter der Einzigartigkeit des Staates Israel war auch für die Zerschlagung und Auflösung der Diaspora.

Ben Gurion war der festen Überzeugung, dass sich der Anteil der Orthodoxen und ihre zahlenmäßige Stärke im Staat langsam zurückgehen würde. Aber darin sollte er sich heftig geirrt haben. Der Autor hat neben dem großen Beispiel der äthiopischen Falaschas, also der schwarzen Juden alle möglichen anderen Stämme aufgelistet, von deren jüdischer Orthodoxie und Rechts- und Glaubenstreue niemand Genaues weiß. Der Autor kennt die modernen Fälle von Asylbewerbern, die in Israel sich darum bemühen, im Lande Asyl zu erreichen.  Aber die Eriträer sind mittlerweile als authentische Flüchtlinge mit viel Geld nach Uganda und Ruanda ausgeflogen worden. Es gibt auch an die 200.000 Personen aus dem Ausland, die sehr beliebt sind als kurzfristige Arbeiter, zumal im häuslichen Bereich. Es gäbe aber schon DZO Analysen, die zwar keine Übereinstimmung zwischen den MIZO und den Menschen im Nahen Osten erkennen lassen. Aber auch die Mizo Juden müssen nach Meinung des sefardischen Oberrabbiners einen formalen Akt einer weiteren Konversion vollziehen. Genau das, was man den Falaschas auch aufdrängen wollte, die aber wegen der politischen Umstände von Operation Moses eben auch wieder die Lieblinge israelischer Politik, Luftwaffe, usw. wurden

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Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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