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Jenseits aller Grenzen: Auf den Spuren des großen Abenteurers Ibn Battuta durch die Welt des Islam

Ein zeitgeschichtliches Weltpanorama – Unsere Welt gespiegelt in der von Ibn Battuta. Von Rupert Neudeck

Das ist ein aufregendes Projekt. Der Weltglobetrotter und rasende Reporter des „Stern“ hat sich vorgenommen, die Reiseroute eines Vorgängers aller Journalisten und Weltreisenden nachzugehen. Er hat sich das eine Buch des Ibn Battuta vorgenommen und fährt/fliegt es Kapitel für Kapitel ab. Gleichzeitig gibt er dem zeitgenössischen Leser immer einen großen kenntnisreichen Input in die aktuelle Situation der Stationen von Ibn Battuta. Battuta machte sich als marokkanischer Muslim 1325 auf den Weg von seiner Heimatstadt Tanger nach Mekka und Medina. Dass es dann nach Mekka und Medina noch weitere große Reiseknüpfpunkte geben wird, wusste der große arabische Reisende nicht, aber sie führt ihn bis nach China, Jakarta, Delhi Samarkand Dubai und noch andere Orte. Ausgewählt hat der Autor den Ursprungsort Tanger, dann Kairo und Damaskus.

Dann kommt auch schon das göttliche Mekka und das bezaubernde Shiraz. Dubai und Istanbul sind die nächsten Stationen des Ibn Batutta, woran sich Delhi Samarkand, Male und Jakarta anschließen Aber das ist noch nicht alles – er geht weiter nach Huangzhou in China. Die Reise beendet der Reporter Follath natürlich in Granada, wo sonst?

Sehr gut ineinander verwoben sind die verschiedenen Verkehrswege, die Erich Follath und Ibn Battuta gehen. Höhepunkt der Reise damals wie heute ist Mekka, die Begegnungsstätte aller Muslime, zumindest derer, die sich das leisten können und die in die nationalen Kontingente passen. Die Kontingente richten sich ganz einfach nach der Anzahl der Muslime in dem jeweiligen Land. Pakistanis und Inder und Nigerianer haben größere Kontingente als jedes arabische Land. 2015 wird der Ort umgemodelt nach kapitalistischen Gesichtspunkten, was auch Navid Kermani in einer der stärksten Passagen seiner Friedenspreisrede schon beklagt und verurteilt hatte. Im Zwielicht der Neonlichter wirkt dieses Mekka wie eine Mischung aus Los Angeles und Jerusalem. Mekka wurde zu Mekka-hattan, das islamische Erbe wird nicht bewahrt.

Beispiel: Das Haus der ersten Frau des Propheten wird zu einem Block öffentlicher Toiletten umgemodelt. Für einen Besucher oder Journalisten als Ungläubiger ganz unmöglich nach Mekka zu kommen. Follath schafft es auch nur einen Blick auf die große Hadsch-Metropole von außen zu ergattern.

Follath hatte den Botschafter Prof. Ossama bin Abdul Shoboksahui in Berlin eingeschaltet, der über das Ibn Battuta Projekt begeistert war. Er war ganz optimistisch, dass er durch diplomatische Intervention ein Visum für den Autor bekommen würde. Zwei Schreiben nach Riad wurden nicht beantwortet. Es gab wahrscheinlich politische Gründe. Ende 2001 hatte Follath die kritische Titelgeschichte über das saudische Königreich geschrieben. 2004 nach einem längeren Besuch in Riad und Jeddah einen skeptischen Artikel über die Zukunft des Landes. Egal: Saudi Arabien ist eine zementierte Festung und vergibt keine Touristenvisa.

Nur an einer Stelle geht der Autor auf die Selbstverständlichkeit ein, mit der die potenten Staaten sich eben nicht um die gläubigen Flüchtlinge kümmern: „Politisches Asyl ist am Golf unbekannt, kein einziger Flüchtling erhielt bisher hier einen neuen Pass“. Follath: Die heiligen Puritaner haben es offensichtlich nicht so mit der Nächstenliebe. Obwohl doch soziale Wohltätigkeit als einer der Pfeiler des Islam gilt und die Flüchtlinge Glaubensbrüder sind.

In Shiraz kam damals der marokkanische Reisende in Kontakt zu den beiden großen Dichterfürsten: Saadi und Hafiz. In Shiraz gibt es jetzt ein Hafiz Mausoleum. Follath berichtet von seiner überraschenden Erfahrung, dass die junge Bevölkerung unglaublich aufgeschlossen sei gegenüber USA und Europa. Deutschland gelte als besonderer Freund. Alle Studenten wußten von der besonderen Nähe von Goethe zu Hafiz. Goethe sah nicht viele als sich ebenbürtig, Hafiz aber doch: „Und mag die ganze Welt versinken!/Hafiz, mit Dir, mit dir allein will ich wetteifern/ Lust und Pein sei uns, den Zwillingen gemein!“

Dem Autor gelingen wunderbare und eindringliche Hauptstadtporträts, meist Porträts von Megacities, die der Reisende aus dem 14. Jahrhundert so noch nicht erahnt hatte. Es ist damit auch die Summe eines reichen Reporterlebens, das der Autor Follath lieber beim Spiegel als beim „stern“ verortet sieht. Aber es gibt keine Metropole, die er nicht mehrmals im Laufe der Jahrzehnte besucht hat, in der er zu einem Interview mit dem Staatspräsidenten oder einer geheimnisvollen Geschichte eines verschollenen Deutschen unterwegs war.

So bei der Reise des Ibn Battuta in die Malediven, die der Reporter Follath komplettiert mit einer Reise, die er mit einem Fotografen in die Malediven unternahm: Sie wollten einen verurteilten Mörder am Ende der Welt finden, natürlich, weil das ein skurriler Deutscher war. Der deutsche Student Joachim Bloem hatte in der maledivischen Hauptstadt Male seine Freundin unter dem Einfluss von Drogen erstochen.

Er erhielt die Höchststrafe: Ausschluss des Verbrechers aus der menschlichen Gesellschaft. Aussetzen auf einem unbewohnten Inseleiland abseits jeder Kultur und Zivilisation. Der Autor bekommt heraus, wo ungefähr in der riesigen Inselwelt sich der Student befindet. Sie können eine Yacht chartern zu einer entfernten Insel im Fulhadhoo Atoll, der Verbannungsinsel. Die Reporter sind enttäuscht, denn herankommend erleben sie den Studenten nicht als jemanden, der sich wahnsinnig freut. Auch als sie ihn begrüßten nach der Landung, bleibt Bloem der große Deutsche, der sich artig für die mitgebrachten Bücher und Toilettenartikel bedankt. Er soll, so erfahren sie, auf eine Insel verlegt werden, wo es ein kleines Dorf mit Fischerfamilien gibt. Diese Geschichte nimmt Follath zum Anlass ein Porträt der 1196 Inseln zu schreiben, wie wir es bisher noch nicht hatten.

Was man erfährt als Aktualität: dass der sympathische Mohammed Nasheed, der einen so guten Eindruck auf die Bundeskanzlerin bei seinem Besuch in Berlin machte und auch auf den Berater der Kanzlerin, den Prof. Hans Joachim Schellnhuber, schon wieder verhaftet wurde, am 23. Februar 2015. Das zeigt, wie weit die Verhältnisse auf dem Atoll noch von einem Rechtsstaat entfernt sind. Er soll einen Staatsstreich geplant haben.

Drei Wochen dauert der Schauprozess, der mit einem harten Urteil endet: dreizehn Jahre Haft. Es ist ein Vademecum in Weltpolitik geworden, gebrochen in Hauptstädten, die uns Europäern noch was zeigen werden. Alle Städte, die der Reporter aufsucht, sind Hauptstädte von Staaten, die nicht zu den Vetomächten des Sicherheitsrates der UNO gehören. Die uns aber noch mal mit ihrer Kraft und jugendlichen Frische in unserer westlichen Wehleidigkeit und Eingebildetheit den Marsch blasen werden.

Man kann das Buch nicht zusammenfassen. Jedes Kapitel beginnt mit der erzählten Geschichte, die der marokkanische Weltreisende Ibn Battuta auf dieser Phase seiner Weltreise erlebt hat. Das findet der Autor eben in der Lektüre der Rihla des mittelalterlichen Autors, das allein ist schon faszinierend. Dann gibt es meist einen Schnitt und Follath beschreibt, was aus der Stadt, der Megacity noch geworden ist. Ibn Battuta war eben der Weltreisende, weil er auf Grund seiner Herkunft und Reputation immer gleich Kontakt zu dem Herrscher der Stadt oder des indischen Großreichs bekam.

Glänzend, wie Follath beim Kapitel über Jakarta der Übergang gelingt. Battuta ist von dem damaligen Jakarta noch nicht beeindruckt, es ist ein Provinznest. „Und nichts deutet darauf hin, dass aus der Inselwelt Sumatras, Javas und der angrenzenden Inseln einmal der Staat mit den meisten Muslimen weltweit werden könnte“. Das ist zeitgeschichtlich das für den Leser spannendste Kapitel in einem Panorama von spannenden. Follath lernte im Herbst 2013 den Gouverneur der Region Joko Widodo kennen, der seit einem Monat Jakarta, die unbeherrschbare Metropole, leitet.

Der Mann ist als Politiker zu Recht nur mit einem anderen Namen zu vergleichen: Nelson Mandela. Jokowi fährt an einem x-beliebigen Tage durch die Slums seiner Stadt, ohne Blaulicht und Sicherheit. Jeans-T-Shirt, Baseballmütze. Er hat sich mehrere Büros der Stadtverwaltung vorgenommen, in denen die Beamten zu spät kommen. Er macht sich Notizen, alles sehr zur Freude der Bevölkerung. Den schlimmsten Arbeitsverweigerern droht Entlassung. Er hört zu und kann verstehen, weil er sich als jemand gibt, der aus der Masse der kleinen Leute kommt. Außerdem haben die Leute hier noch nie einen wichtigen Politiker erlebt, der bei ihnen im Armenviertel auftaucht.

Kurz: dieser Jokowi wird Kandidat für die Wahl des Präsidenten, er gewinnt die Wahl am 20. Oktober 2014 und wird als neuer Präsident vereidigt. Das Land wird uns noch beschäftigen, es ist das größte islamische Land, das aber seine Toleranz pflegt. Es gab Versuche der al Qaida und vom IS, die sind aber gescheitert. Der neue Gouverneur von Jakarta Ahok geht als gläubiger Christ sonntags in die Kirche und abends zum Fastenbrechen in eine jeweils andere muslimische Gemeinschaft.

Über die exzellente Schriftstellerin Laksmi Pamuntjak erfährt man auch von der Hölle der Kommunisten Verfolgung durch Staatschef Sukarno. Die Schriftstellerin glaube an den sanften Islam. Die größte Gefahr sei nicht der religiöse Fundamentalismus, sondern das Auseinanderdriften von Arm und Reich. Immerhin muß man auch bei uns wahrnehmen, dass aus dem riesengroßen Inselreich (13.000!) weniger Kämpfer nach Syrien oder in den Irak gezogen sind als aus Deutschland.

Follath fragt sich nach der langen Ibn Battuta Nachreise: Wieso bei uns der Islam auf Gewalt reduziert sei, auf die gefährliche Religion? Und warum es bis heute im Islam keinen Martin Luther gibt. Dazu zitiert er noch mal Navid Kermani, der ja den Gesamtzustand seiner Religion, jedenfalls der religiösen Kultur sehr drastisch beschrieben hat: „Was wir erleben ist der völlige Niedergang einer religiösen Kultur, es sind die Zuckungen seines Gequälten, eines Siechenden. Die Terroristen sind nicht Ausdruck der Stärke, sondern der kollossalen Schwäche des Islam in unserer Zeit“.

Der Autor möchte hoffnungsvoller sein, aus seinen Erfahrungen an diversen Orten. U.a. in Granada, wohin Ibn Battuta noch mal im Auftrag des Dschihad reist. Denn der Mann, auf den die Muslime in Granada ihre Hoffnungen setzen, ist Ahmad Gross, ein Deutscher, der erst 1989 zum Islam konvertiert ist und in Granada sogar die Nonnen des benachbarten Klosters zu Nachbarschaftsfesten einladen kann. Alle diese Leute wie Kermani bis Gross sagen immer das Gleiche, aber bringen damit die Realität des islamisch angehauchten Islam nicht aus der Welt. Dieses Dilemma bleibt, auch wenn der Autor nicht so pessimistisch ist und die Verbindungen hoffnungsvoller sieht. Dank Ibn Battuta und seiner Reise.

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Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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