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Kampf gegen die Armut

Wie bekommt man die Armut aus der Welt? Ein Buch über die vielen Wege zur Armutsbekämpfung. Von Rupert Neudeck

In der unübersehbaren Flut von Literatur über den Sinn von Entwicklungshilfe im allgemeinen, von Hilfe im ökonomischen Marktgeschehen im besonderen, von state-building und Armuts-Bekämpfung, kommt dieses Buch in einer gewissen Unschuld daher. Die Unschuld bedeutet: Die Autorin kapriziert sich auf das, was in den Büchern und Statistiken, den Papieren der weltweit agierenden NGOs steht, in den Evaluierungsteams, die seit Beginn dieses neuen Zweiges der Politik nicht müde werden, uns mit Tonnagen an Ergebnissen zu füttern. Meist sind es Ergebnisse, die dafür sprechen, das Unternehmen Entwicklungshilfe weiterzuführen wie bisher.

Allein die Herkunft des Buches ist symptomatisch für einen merkwürdigen Krankheitszustand. Es gibt in Frankreich am College de France mittlerweile eine „Wissenschaft für Armutsbekämpfung“ („Savoirs contre Pauvrete“) und dort werden Vorlesungsreihen und neue Lehrstühle ausgelobt, die sich mit allem befassen, was man wissenschaftlich akademisch messen, zählen und in die Koordinaten solcher Seminare und Bücher bringen kann. Esther Duflo ist bereits über eine aufregende Studie gemeinsam mit ihrem Kollegen Abhijit Banerjee bekannt geworden zum Thema Entwicklungs-Hilfe.

Jetzt systematisiert die Autorin ihre Forschungsergebnisse. Es sind zwei wuchtige Teile. Im Ersten geht es um die Frage, wie die zwei Säulen gesellschaftlicher und menschlicher Entwicklung vorankommen, die für jedes Land der Welt den Anschluss an die Moderne und die globalisierte Weltwirtschaft bedeuten. Es geht um die Verallgemeinerung von Bildung, Schulen, aber auch weiter dann um Eliteschulen. Und es geht um die Förderung von Gesundheitssystemen. Das Spannende für den deutschen Leser in dem Buch.

Indien ist trotz seines Status einer neuen Technologie- und Atom-Macht ein verflucht schlecht entwickeltes Land geblieben. Ob es damit gleich weiter in den Rang eines Landes geraten sollte, auf den die Hilfsagenturen von Regierungen, Kirchen und westlichen Völkern Zugriff haben sollten, ist dann eine andere Frage, die das Buch aber nicht stellt. Es parallelisiert  Entwicklungen in Indien (hier oft der Staat Uttar Pradesh) und Afrikas Ländern, manchmal auch Lateinamerika.

Der zweite Teil geht um die Problematik und die Erfolge der Mikrokredite. „Die Mikrofinanz gelänge es, den Ärmsten der Armen zu relativ hohen, aber immer noch niedrigeren Zinsen als denjenigen, welche die Wucherer verlangen, Geld zu leihen“. Sie sei – so das Buch – auf jeden Fall ein „faszinierendes Beispiel für eine institutionelle Innovation, bei der ein neuer Markt entsteht, in dem man neue Lösungen für ein altes Problem findet: Die Asymmetrie der Informationen auf dem Kreditmarkt“.

Das Buch hat den Vorteil, dass es die grassierende neue Verachtung der Mikrokreditinstitutionen nicht mitmacht, sondern durchaus zu differenzieren versteht. Es besteht auch darauf, das Modell des Mikrokredits, wie es sich am Vorbild von Mohammed Yunus entwickelt hat, also der Grameen Bank, „kanonisch“ zu nennen, auch um es gleich abzutrennen von vielen anderen, z.T. auch Profit und Börsensüchtigen Mikrokredit Unternehmungen.

Das Buch behandelt die aktuellen Fragen der Mikrokredit-Formate und Banken. Der Effekt des Mikrokredits kann auch negativ sein, „nicht zuletzt weil die Aufforderung um jeden Preis zurückzuzahlen, manche in die Verzweifelung treibt. Die Regierung vom indischen Bundesstaat Uttar Pradesh hat den Selbstmord überschuldeter Bauern dazu benutzt, auf die Gefahren des Mikrokredits hinzuweisen. Ob sie völlig Unrecht hat, fragt die Autorin?

„Tatsächlich, so antwortet sie sich, sei es theoretisch möglich, dass der Mikrokredit für seine Kunden schlecht ist, und es sei dringend notwendig, auf diese Frage eine wahrheitsgemäße empirische Antwort zu geben“. Die Autorin kommt zu einer ausgewogenen Erklärung am Schluss des Kapitels: Der Mikrokredit sei weder Wucher noch ein Allheilmittel, sondern erfülle ganz einfach seine Funktion: potenziellen Unternehmern, die vom Kreditmarkt abgeschnitten sind, die Möglichkeit zu eröffnen, ein Projekt zu realisieren. „Aber da nicht jedermann zum Unternehmer geboren ist, kann der Mikrokredit keine Universallösung sein“.

Auch die Ausweitung auf die Versicherung, Dürre-, Ernte oder Krankenversicherung trifft die Ärmsten in den betroffnen Ländern merkwürdig, weil die Versicherung ein Vehikel eines wohlsituierten reichen Landes ist. Das Konzept der Versicherung ist auch nur in unseren Breiten zu verstehen. Die Versicherung wird wenig in Anspruch genommen und am Jahresende klagen die Versicherungsbeteiligten ihr Geld zurück, weil sie nicht krank waren.

Das ernsteste Kapitel am Schluss: Wie kann man gegen Korruption vorgehen? Und Korruption ist nicht nur das Verschieben von sieben Milliarden US-Dollar von Staatschef Mobutu vom Kongo-Zaire, sondern ist schon alles das, was jedem Autofahrer oder LKWfahrer in Indonesien, oder im Kongo, in Kenya wie in Tansania blüht. Überall gibt es Schutzgelderpressungen.

Die Autorin benennt das Übel der kleinen Korruption, die genauso das Gemeinwohl stört und ihm schadet. Um nämlich Schmiergelder zu amortisieren, haben die Frachtunternehmer ein Interesse daran, den LKW so stark wie möglich zu überladen, obwohl die Schäden, die den Strassen zugefügt werden, sich mit steigendem Gewicht erheblich vergrößern. Die Korruption führt nicht nur dazu, dass Gelder fließen, „sie schadet auch dem Gesamtwohl insgesamt“.

Das Manko, dass diese Korruptionsseuche nur eine Nebenrolle in der Bekämpfung von Armut in dem Buch spielt. Armut und elende Verhältnisse von Indien bis Uganda, von Peru bis Bangladesh können nur durch gute und vorbildliche Regierungen aufgehoben werden. Durch Staatslenker, die zu ihrem Volk gehen können, ohne durch Hundertschaften einer Republikanischen oder Präsidentengarde geschützt und abgetrennt zu sein,. Diese Forderung  kommt aber am Ende des Ersten Hauptteils erst unter ferner liefen, so zusagen wie ein allgemeiner tröstender Schlusssatz.

Es gibt lange Kapitel um den Segen der mit Insektiziden imprägnierten Moskitonetze, um Präventivbehandlungen bei einer Bevölkerung, die nicht auch nur ein Mal im Leben eine Akutbehandlung genießen durfte, um Impfkampagnen gegen Masern. Es sei wichtig, sich längerfristig um Aufklärung zu bemühen. „Hier ist die Glaubwürdigkeit der Regierung ein kritischer Punkt, da die Information ohne weiteres angenommen werden muss.“ Doch würden die Regierungen dazu neigen, ihre eigene Glaubwürdigkeit zu verspielen, in dem sie sie dazu benützen, unrealistische Ziele zu verfolgen. Da erwähnt die auf Indien konzentrierte Autorin die massive Zwangskampagne der Sterilisierung in Indien. Das scheint mir der Kern der Problemlösung zu sein.

Wenn man sich nur eine Sekunde vorstellt, was aus afrikanischen Ländern geworden wäre, würden sie einen Thomas Sankara (Staatschef von Burkina Faso, 1983 bis 1987) gehabt haben, der eine Massenmobilisierung der ländlichen Bevölkerung mit einer Impfkampagne, einer Alphabetisierungskampagne betrieb, die nur deshalb so erfolgreich war, weil der Präsident von Burkina Faso einer von Millionen war und sich mit seinem stolzen Volke identifizierte.

Aber das war bisher das Los solcher ganz auf das Gemeinwohl konzentrierter Staatslenker: Er wurde ermordet. Er kam aus der Armee, wurde populär, fuhr nur einen Renault 2Chevaux, machte den Fehler auch mit der Sowjetunion Beziehungen zu haben und diese nicht von vornherein abzulehnen, wurde bei einem Putsch ermordet. Der der bei den Putschplänen dabei war, führt das Land bis heute, 2013.

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

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