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Kissingers langer Schatten: Amerikas umstrittenster Staatsmann und sein Erbe

„Kopfweh in Sachen Menschenrechte“. Zu einem Buch über Kissinger. Von Rupert Neudeck

An einer Stelle dieses Buches  über Henry Kissinger erwähnt der Autor, dass dieser schon 40 Jahre außer einer dienstlichen Verpflichtung – also im ‚Ruhestand‘ ist. Aber da Kissinger ohne Unterlass weitergemacht hat, zeigt das noch mehr, wie unglaublich ereignismächtig seine aktive Zeit als Sicherheitsberater unter mehreren Präsidenten und als Außenminister gewesen ist.

Wenn man das Leben und die Wirkung des Diplomaten und Politikers zusammenfasst, kann man sagen, er kannte nicht die geringsten Skrupel. Er ließ Menschen einfach durch Folter, Papageienschaukel und anderes in der Versenkung verschwinden. Nein, natürlich nicht er hemdsärmelig selbst, aber er lässt es machen.

Was dem Leser auffällt aber nicht dem Autor: es gibt in der Zeitgeschichte zwei 11.09., das erste war in Santiago de Chile, der Putsch und der Mord an Salvador Allende. Kissinger ließ morden, durch seinen CIA oder andere u.U. in den USA ausgebildeten Todesschwadronen. Dann kam der 11.09. 1973 Kissinger hatte bei Nixon darauf gedrängt den demokratisch gewählten aber leider sozialistischen Präsidenten des Landes zu stürzen. Er starb dabei. Auf Chile folgten Coups in Peru und Ecuador. Am 23. März 1976 putschte das argentinische Militär. Im alten Vorhof der USA war bis auf das Furunkel und Geschwür Kuba alles im Griff der USA. Kissinger unterstützte dann die Diktatur in Chile, er empfing den Außenminister. Bis August 1975 hatten die chilenischen Securit Kräfte schon tausende Verfolgter verschwinden lassen. Kissinger widersetzte sich der Bitte des Kongresses, Sanktionen gegen Chile auszusprechen. Er machte sich lustig über seine Mitarbeiter, die mit dem „Kopfweh in Sachen Menschenrechte“ herumliefen. Carjaval, der Außenminister sagte, Chile habe Probleme mit 200 Leuten, die man gerade aus dem Gefängnis gelassen habe. Man habe kein Land gefunden, das ihnen Exil hätte geben wollen. Man sieht, Guantanamo ist noch gar nicht so weit weg. Kissinger daraufhin mit einer unglaublichen Schärfe: „Sie werden wissen, was zu tun ist. Wir können nicht über das hinausgehen, was wir gesagt haben. Haben wir ein anderes Problem zu besprechen?“

Das Regime wusste Bescheid: Dieser Kreis von 200 Leuten musste über Folter, Mord verschwinden. Man erwartet, dass sich der altersweise (heute 92 Jahre) Kissinger noch mal läutert. Aber er hat ganze Völker in den Ruin gerissen, das besondere war die totale Zerstörung und Bombardierung Kambodschas über vier Jahre. Wo man hinpackt, ist man über die Radikalität der sofortigen Härte der US-Außenpolitik  entsetzt, die Kissinger anweist. Ganz gleich, wo immer unter der Weltmacht Opfer leiden, z.B. als unter Ronald Reagan US-amerikanische und französische Soldaten in Beirut stationiert sind, geschieht tatsächlich das Majestätsverbrechen: Zwei Autobomben explodieren und 299 US- und französische Soldaten, die dort als Teilnehmer einer Blauhelm Mission agieren, werden ermordet. Kissinger: “Ich befürworte keinen Rückzug amerikanischer Truppen“, er würde sofort einen israelisch-US- amerikanischen Militärschlag befehlen, um Syrien zu bestrafen. Wo immer man hinpackte, in aller Welt, die USA mussten im Zweifelsfall an jedem Ort der Welt sich sofort mit aller Macht gegen jeden Gegner stellen und jeden Bürger der USA herausholen. In Kambodscha wurde das Bombardieren des Landes und seine letztendliche Zerstörung über vier Jahre sogar ohne den Kongress begonnen. Gefragt, ob er nun so etwas Komisches wie „Schuldgefühle habe – nachdem Pol Pot am 15. April 1998 gestorben war, antwortete Kissinger: Nein, sagte Kissinger. Nordvietnamesische Truppen sind zuerst einmarschiert und hätten kambodschanische Bereitstellungsräume benutzt, um US-Soldaten zu töten. Und nun kommt so ein Satz, der dem Leser die Schuhe aussieht: „Vielleicht reicht meine Phantasie nicht aus, aber ich kann die moralische Frage nicht entdecken, die hier im Spiel ist“. Immer ging es darum, dass sich die USA verteidigen müssen. Da Kissinger bei der ZEIT in Hamburg – also dem Eliten-Blatt der Deutschen – dieses Interview gegeben hat, fügt sich gleich die Frage an, wie kann es sein, dass es immer noch so viel öffentlich bekundete Freundschaften (Helmut Schmidt, Marion Gräfin Dönhoff) gibt.  In gewisser Weise parallelisiert der Autor Pol Pot und Kissinger. Der erklärte, er empfinde keinerlei Reue. Ein paar Tage vorher hatte ihn ein Journalist noch gefragt, ob er wegen der Verbrechen, die er selbst am kambodschanischen Volk begangen habe, Reue empfinde. Immerhin wurden mehr als eine Million Kambodschaner nach der Machtübernahme 1975 in Phnom Penh ermordet und umgebracht. Nein, sagt er: „Mein Gewissen ist rein. Wir mussten uns verteidigen.“

Das Buch behandelt so alle Themen des Diensthabenden Kissinger bis 1977 wie die des Kissinger, der auch seine Firma gründet: „Kissinger Associates“. Es ist putzig zu sehen wie der allmächtige Herrscher der USA von dem kleinen Herrscher des Karibikstaates manchmal lahmgelegt wird. Castro hatte in einer sensationellen Operation kubanische Streitkräfte nach Angola beordert, die den Kampf gegen die Südafrikanische Armee aufnehmen sollte. Kissinger ist immer fasziniert und möchte fast ausspucken, wenn es nicht gelingt, ein Land in den Schwitzkasten zu bekommen,  das wie Angola nur 8 Millionen Einwohner hat. Bei Vietnam gibt es das Wort von Kissinger, dass die USA gar nicht den Krieg in Vietnam verlieren können, handele es sich ja doch um eine viertrangige (S. 102)  Macht. Kissinger saß aber nun in der Klemme, Castro behandelte man ja bis zum Besuch des Papstes und Obamas auf Kuba wie möglichst einen nicht existierenden Banausen. Jetzt hatte er sie – die USA und Kissinger – mehr als im Schwitzkasten. Kissinger überlegte fieberhaft: Wenn sie Kuba angriffen, würde das als bloße Reaktion gelten. Man würde sagen, die mächtigste Nation der Welt sei von einem kleinen Inselstaat an der Nase herumgeführt worden.

Die offizielle Doktrin des Staates USA ist das genaue Gegenteil aller bisherigen Versuche, Europäische Politik zu bestimmen. Er gierte geradezu, in Lateinamerika nur mit den miesesten Diktaturen zu tun zu haben. Er hatte sie auch fast alle zusammen, denn er entblödete sich nicht, sich an der Gründung der Operation Condor zu beteiligen. Das war ein Verbund von Todesschwadronen in Lateinamerika, den USA und Europa. Bei den berichteten Verhandlungen in Südamerika scheint es noch schrecklicher zu laufen. An der Stelle in dem Buch, in dem der Autor den Chronisten der Kambodscha Tragödie zitiert, da macht Greg Grandin noch mal den Versuch zu Ungunsten von Kissinger: Kissinger führte keinen heroischen Churchill Krieg, um die Nazis, die Roten Khmer davon abzuhalten, die Macht zu ergreifen. Denn durch die Ausweitung der Luftschläge wollte er die Roten Khmer nicht etwa gezielt von der Macht fernhalten, sondern helfen sie an die Macht zu bringen. Man kann in Bezug auf die Zerstörung Kambodschas und andere Aktionen des US-Außenministers sehr wohl von einer verbrecherischen und von dem Begründer einer solchen Politik als einem Verbrecher sprechen. Der Autor tut das nicht, aber man kommt lesend assoziativ sehr schnell an dieses Attribut. Ein BBC-Interviewer stellte Kissinger die Frage, auch wieder zu Kambodscha: „Fühlen Sie sich verantwortlich?“ „Ich fühle mich genauso verantwortlich, wie Sie sich für den Holocaust verantwortlich fühlen sollten, weil sie Hamburg bombardierten.“

Das ist natürlich eine unglaublich absurde Antwort. Bekanntlich waren ja die Nationalsozialisten weit vor den Luftangriffen auf Hamburg an die Macht gekommen. Der große Unterschied zu Kambodscha: Die Roten Khmer kamen nach der Bombardierung Kambodschas an die Macht. Sie begannen Ihren Massenterror n a c h Kissingers Luftoffensive.

Es ist ein in den Ergebnissen erschütterndes Buch, obwohl es nicht mal auf Vollständigkeit der Verbrechen setzt, die im US-Namen getan wurden. Wir erfahren etwas über das Unglück in Bophal, aber auch über das die Bevölkerung nicht nur in Vietnam, sondern auch in Kambodscha verunstaltende und auf Jahre mit Erbkrankheiten belastende Elend des Dioxin Agent Orange, das bis heute bei den Opfern nicht annähernd Genugtuung erfahren hat. Ganze Laubwälder in Vietnam aber auch in Kambodscha sind dabei verseucht worden.

Das Buch ist in ausgesprochen hieroglyphische Kapitel eingeteilt, denen man nur einen bestimmten chronologischen Rahmen ansieht. Aber auch nicht viel mehr. Die Kapitel haben geradezu apokryphe Überschriften, die der Leser manchmal bei Ende des Kapitels erkennen kann. Klar sind „Anti-Kissinger“ (Nr. 5) und Kissingerismus ohne Kissinger. Das Hauptthema ist zu Recht die Orgie an Rechtslosigkeit, die sich Kissinger leistet mit den Bombenangriffen auf Kambodscha: Diese Angriffe waren illegal in ihrer Konzeption, irreführend in der Umsetzung und völkermörderisch in ihrer Wirkung. Niemand kann sie bis heute rechtfertigen und da sie von einem Verantwortungsträger durchgezogen wurden, würde es durchaus berechtigt sein, ihm wegen Kriegsverbrechen auch vor einen Internationalen Gerichtshof zu stellen.

De größte Gefahr bestand und besteht für Kissinger in der Hybris. Ihm war alles möglich. Er war so gebildet, dass er bei seinem ersten Gespräch mit Mao sich mit diesem über Philosophie austauschte. Als diese sich in Peking 1973 trafen, stellte Mao eine Frage nach Hegel. Der chinesische Chef wollte wissen, ob er das berühmte Hegelsche Diktum richtig übersetzt hatte: „Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit“? Sie unterhalten sich weiter über den Einfluss von Feuerbach, dass Karl Marx den Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt habe. Mao: Was für ein Denker sind Sie? Sind Sie Doktor der Philosophie? Kissinger (lacht): Ja. Mao: Ja, wollen Sie mir dann nicht eine Vorlesung halten.

Wer nur Erfolge hat, wer alle Positionen, die er erringen will, bekommt, ist durch Hybris stark gefährdet. In der großen Rede, die sein Mitarbeiter Daniel Ellsberg hält, ist wahrscheinlich genau diese Hybris ausgedrückt. „…dann werden Sie (so spricht er seinen Chef an) vergessen, dass es irgendwann eine Zeit gab, als Sie sie nicht besaßen, und Sie werden sich nur noch der Tatsache bewusst sein, dass sie diese geheimen Informationen besitzen und die meisten anderen nicht….und dass all diese anderen Menschen Dummköpfe sind“.

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Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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