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Kunst und Natur – ein Widerspruch?

Auch künstlerisches Tun in der Natur steht vor dem grundlegenden Problem der Beeinträchtigung oder Zerstörung der Natur. Wie damit umgehen? Ein Buch über das Gesamtwerk eines der großen naturliebenden Künstler unserer Zeit zeigt eine Antwort. Eine Rezension von Udo E. Simonis

Natur und Kunst. Grundsätzlich können sämtliche Naturphänomene Auslöser oder Thema künstlerischer Arbeit werden, vom winzigen Lebensraum eines Käfers auf einem Blatt bis zur Bahn der Sonne bei der Tagundnachtgleiche. Da gilt es, eine Auswahl zu treffen. Nils-Udo fand sie sehr früh, vor vierzig Jahren, in spektakulären Natur-Installationen und Pflanzungen, in der begleitenden Fotografie und in der Malerei.

Auch künstlerisches Tun in der Natur steht vor einem grundlegenden Widerspruch – der Mensch und das von ihm Gemachte steht außerhalb der Natur. Wo immer der Mensch auftaucht und mit allem was er tut, bringt er  Zerstörung hervor; sie versehrt worauf sie hinweist, die Reinheit und Unversehrtheit der Natur. Wie damit umgehen? Nils-Udo sieht den Antrieb seinen Arbeiten in dem immer wieder neuen, wenn auch vielfach vergeblichen Versuch, das Unvermeidliche zu überlisten. Man darf, so sagt er, die Natur nicht mit irgendwelchen Artefakten oder vorgefertigten Objekten möblieren wollen. Die Natur selbst muss der Gegenstand künstlerischer Aktivitäten sein. Worin besteht die List?

Der zentrale Aspekt seiner Arbeit ist die Pflanzung. Nils-Udo  inszeniert seine Werke ausschließlich mit natürlichen Materialien wie Zweigen, Blüten und Blättern; es können auch, allerdings eher selten, Steine und Marmor sein. Die meisten seiner Arbeiten existieren  deshalb nur temporär, sie sind vergänglich, geschaffen in der Natur, mit der Natur und für die Natur. Vergängliches aber will festgehalten sein, zumindest auf Bildern. So wurde die Fotografie zu einer permanenten Arbeitsbegleitung des Künstlers – und über die Jahre wurde er zu einem Meisterfotografen. Jahreszeiten-Bilder wurden zu einem Markenzeichen, zwei zu unterschiedlichen Jahreszeiten von einem identischen Kunstwerk gemachte Aufnahmen. Das aber gelingt nicht in allen Fällen. Seine filigranen Kunstwerke erleben die zweite Jahreszeit zumeist nicht – ein weiterer Grund, sich in der Fotografie zu vervollkommnen.

Nils-Udo ist aber auch ein Maler, und das schon von Kindheit an. Doch der Durchbruch, seine „eigentliche Malerei“ begann erst, so sagt er selbst, vor etwa zehn Jahren. Das von Menschen Gemachte, die künstlerischen Artefakte in der Natur haben ihn im Grunde immer gestört; er malt auch keine Landschaften, er möchte in den Kern der Dinge vordringen – in die Natur selbst. Abstrakte Malerei könnte da der geeignete Weg sein. Doch da nichts vollkommen und endgültig ist, sucht sich bei ihm jedes gemalte Naturphänomen einen eigenen Weg der Gestaltwerdung.

Es gibt daher keinen durchgängigen „Stil“, jedes Thema findet sich einen eigenen. Verglichen mit der jeweils präzise gefassten Thematik seiner Arbeit in der Natur und den Möglichkeiten der Fotografie, ist die Malerei für Nils-Udo dennoch (oder gerade deshalb) „die eigentliche, sensationelle neue Freiheit“. Wirklich verstehen werde man seine Malerei, so meint der Künstler selbst, aber erst in der Zusammenschau mit seinen Arbeiten in der Natur.

Das künstlerische Werk von Nils-Udo zu präsentieren, ist Uwe Rüth, dem früheren Direktor des Skulpturenmuseums Marl und Kurator des Waldskulpturenwegs Wittgenstein in herausragender Weise gelungen. Er hat bekanntes wie bislang unveröffentlichtes Material  zusammengestellt, sorgfältig gegliedert und gibt so mit 216 Abbildungen einen breiten Überblick über das Gesamtwerk.

Da sind zum einen die großformatigen, schwergewichtigen Arbeiten – wie Das Nest 1978 in der Lüneburger Heide, Das Nest 2005 auf der Bundesgartenschau in München, Das Nest 2008 im Valle di Sella, oder der Quarzit Monolith Stein-Zeit-Mensch von 2001. Da sind zum anderen die großartigen filigranen Arbeiten –  wie die Sonnenskulptur im Schwarzwald von 1979, das Wasserhaus im Wattenmeer von 1982,  Ohne Titel von 1986 (mein Lieblingswerk), Calumets im Indischen Ozean von 1990, das Winternest im Chiemgau von 1996, der Herbstspiegel in Aachen von 1999,  Ohne Titel 1999 (mein zweitliebstes Werk). Und dann ist da die Malerei als sinnliche Poesie – wie Herbstspiegel von 2004, Winterlicht von 2006, Longoses von 2007, Loin du Chateau von 2010 und viele schöne Bilder mit Ziffern aber ohne Namen.

Mit der seit den 1960er Jahren gewachsenen Sensibilität für die Schäden an der Natur und die Beschädigung der Umwelt versuchten viele Künstler, Zeichen zu setzen. Nils-Udo fand hier sein eigenes, multiples  Arbeitsfeld: die Kombination von Pflanzung und Natur-Installation, von Fotografie und Malerei. Er durchstreift als suchender Wanderer die Landschaft und formt eigenständige, aber naturidentische Formen und Bilder, die dem jeweiligen Ort eine einzigartige Ästhetik geben. Auf diese Weise bringt er, so sagt es der Herausgeber passend, ein Stück des „Geheimnisvollen“ zurück, das verloren schien, und betont so die Ursprünglichkeit und den Eigenwert der Natur.

Nils-Udo ist im Chiemgau lokal verankert, ist mit seiner Arbeit aber ein echter Kosmopolit; seine Werke sind in vielen Ländern der Welt entstanden. Er ist, nach zahlreichen Ausstellungen und Präsentationen, in Frankreich und in Japan bekannter als in Deutschland, doch das könnte sich nun, nicht zuletzt wegen dieses Buches bald ändern. Dem Herausgeber und dem Verlag ist zu danken, die das Material liebevoll aufbereitet und zu etwas Besonderem gemacht haben – einer Hommage an einen großen Künstler unserer Zeit und zu einem Schmuckstück über Kunst und Natur.

Quelle

:: Udo E. Simonis 2012 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik amWissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Kurator der Deutschen Umweltstiftung

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