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Deutsche Verlags-Anstalt | Rüdiger Frank "NORDKOREA"

© Deutsche Verlags-Anstalt | Rüdiger Frank "NORDKOREA"

Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates

Das beste Buch über Nordkorea … Kann auch nicht ausreichend informieren. Von Rupert Neudeck

 

Das ist gewiss das beste bisher auf dem deutschen vielleicht sogar europäischen Buchmarkt erhältliche Buch über Nordkorea. Der Autor hat extrem gute Voraussetzungen, um Korea und dann auch noch Nord-Korea zu beurteilen. Am 7. Oktober 1991 saß er gemeinsam mit fünf anderen Kommilitonen im Flugzeug von Berlin nach Pjöngjang. Man habe Witze gemacht im Flugzeug, denn der Tag war gerade der 42. Jahrestag der DDR, die aber schon ein Jahr zuvor das Zeitliche gesegnet hatte. So war auch die Stimmung damals, da die Regime und osteuropäischen Länder schon wie ein Kartenhaus eines nach dem anderen zusammenstürzten. So meinten auch die die Auguren-Journalisten, dass das nur eine Frage von Jahren sei. Aber Nord-Korea lässt sich von der Landkarte nicht wegbekommen.

Der Autor ist ehrlich, man kommt auch wenn man Koreanistik studiert hat und sich im Lande ohne Dolmetscher bewegt, nicht viel weiter als der gelegentliche Besucher; einmal mehr bleiben uns nur Spekulationen. Es ist die Quintessenz, dass man auch Dinge, die vor den eigenen Augen in der Hauptstadt großflächig abgehen, nicht erklärt bekommt. Zum Hundertsten Geburtstag des Staats- und Reichsgründers Kim il-sung sollte eine dreistufige Rakete in den Orbit geschossen werden. Das war groß angekündigt, aber ein Rohrkrepierer. Dieses Mal unter dem neuen Kim Jong-un wurde das Scheitern zugegeben. Aber es deutete sich in der Ikonographie des Regimes eine Änderung an. Denn nur vier Monate nach dem Tod von Kim Jong Il wurde Mitte April 2012 eine ins Unendliche wachsende 20 Meter hohe Statue von Kim Jong- il auf dem Mansudae Hügel in Pjöngjang enthüllt, dem zentralen Ort des Führerkultes wie der Autor sagt. Dazu wurde die Statue des Gründers Kim il- sung zur Seite gerückt und komplett überarbeitet.

Das Gesicht von Kim il-sung wurde älter gemacht und mit einer Brille versehen. Der Mao Look wich einem westlichen Anzug mit Krawatte. Das sollte wahrscheinlich das Vater Sohn Verhältnis in eine Ewigkeitsdimension hineinpromovieren. Autor Frank schreibt: Ein solches machtvolles Symbol wie das Gesicht und den Habitus von Kim il-sung zu verändern scheint riskant. „Wir wissen nicht, wie die Menschen in Nordkorea darüber denken, die Führer und die Ästhetik ihrer Darstellung werden nicht diskutiert“. Es habe im Herbst noch eine Überarbeitung gegeben – Kosten spielen keine Rolle – Kim Jong il trägt nun statt eines westlich geschnittenen Mantels einen Parka.

Der Autor hat keinen Sinn für religiöse Symbolkräfte, auch säkularisiert und pervertiert in der Politik. Deshalb kann er nicht erkennen, dass das Regime aus der Konstitution einer Religionsführerschaft oder Theokratie lebt. Das ist an allem festzustellen bis in den Kindergarten und die Schulen. In jedem Kindergarten gibt es eine Sanktuarium, wo morgens und vor dem Nachhauseweg gebetet wird zu Gott Vater (Kim il-sung) und Gott Sohn (Kim Jong il). Manchmal finden solche Gebete Erhörung. So hat es vor weit über zehn Jahren eine Wundergeschichte in den Medien gegeben, Lehrern soll der Landesgott Kim il-sung erschienen sein und ihnen für den Schulunterricht entsprechende Anweisungen gegeben haben.

Das Buch informiert bis in alle Facetten des Verfassungstextes, kann aber nur wenig aussagen über die Verfassungsrealität. Das System lebt  von einem totalen Führerkult, dem sich jeder Nordkoreaner in höchster Ehrerbietung unterwerfen muss. Deshalb ist die Philosophie des Systems ganz von der ursprünglichen wissenschaftlichen „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“ Lehre abgekoppelt. Es herrscht neben dem rigiden Führerkult ein wütender Nationalismus. Der ist aber in seinen zeitweiligen P.R. Momenten ganz klug und geschickt. Das System ernährt und erhält jeden Bürger, es gibt keine Steuern, der Staat bietet die Bildung und das Gesundheitssystem kostenlos an. Der Artikel 57 ist durchaus nicht theoretisch gefasst, denn man bietet den smoggeplagten chinesischen Touristen ein Gegenbild mit der klaren, reinen Luft Nordkoreas. Man hat auch alternative Energien eingeführt: Windkraft und Solarenergie, um die Abhängigkeit von Erdölimporten einzuschränken. Bei einer Fahrt durch das Land fallen die zahllosen Solarpanelen auf, die überall auf Fenstersimsen und Balkons angebracht sind. „In einem Dorf habe ich auch einen Wald aus kleinen Windrädern gesehen, eines für jedes Haus. In der Hauptstadt Pjöngjang findet man Solarzellen an einer wachsende Zahl von Straßenlaternen.“

In dem Landkreis Onchon hatte 1998 das US-Institut Nautilus eine größere 15-kw-Windkarft Anlage installiert, die weiter arbeitet. Manche Paragraphen sind natürlich nur Makulatur. So garantiert Art 68 die Religionsfreiheit, aber Religionen sind bis auf wenige führer-fromme Kirchen ausgerottet. Es heißt auch, dass Religionen nicht missbraucht werden dürfen, fremdländische Einflüsse ins Land zu lassen. Immer wieder muss der kundige Autor gestehen, dass er es nicht weiß, es gibt nur Spekulationen.

Ganz ausführlich beschreibt er das Massenspektakel, das gewinnbringend für das System besonders für neugierige ausländische Besucher im Arirang Stadion eingeführt wurde. Das kann er beschreiben, aber es ist wie der Film von Leni Riefenstahl „Triumph des Willens“, den man bewundern kann, aber trotzdem nichts über die Unterdrückungssysteme, die Gefängnisse, die inneren Zensur-Blockaden der Menschen Aufschluss erhält. Interessant ist, dass sich das Regime den Platz bezahlen läßt von den Besuchern: Der Autor zahlte 150 Euro, es gibt auch Sitzplätze für bis 300 Euro. „Wenn man bedenkt, dass ein Tabletcomputer Samjiyion 180 Euro kostet und Einheimische für ein Ticket nur 25 Cents zahlen, ist das ein stolzer Betrag“. Das ist noch mal die hymnische Theaterdarbietung im Stadion mit Kindern und Frauen (auch in Miniröcken) die besonders wirkungsvoll angezogen sind und wie Olympia in Hofmanns Erzählungen wie eine aufgezogene Puppe agieren. Und da das Tausende sind, die im Gleichklang reagieren, ist das ein großes nachdenklich machendes Erlebnis. Es scheint diese Form von choreographierten Massenbewegungen aber auch etwas Gemein-Koreanisches zu sein. In Südkorea unter dem Diktator Park Chubng-hee gab es ebenso derartige Vorführungen wie etwa bei der Eröffnung der Olympiade in Seoul 1988.“

Die beiden wichtigsten Kapitel für den politisch interessierten Leser und vielleicht auch Abgeordnete im Bundestag sind die über die Wirtschaftszonen in Nordkorea und die Wiedervereinigungsaspirationen und Ängste. Dabei ist es sehr von Vorteil, dass der Autor immer wieder als ehemaliger DDR-Bürger schreibt. Er kennt die Perspektive des Ossi und will einiges von dem, was die Ossis selbst mit uns arroganten Wessis erlebt haben, für die bevorstehende Wiedervereinigung zwischen Nord und Süd vermeiden. Unter der Führung des neuen großen Vorsitzenden Kim Jong-un hat Nordkorea schon einige Neuerungen erlebt, die man vor zwei-drei Jahrzehnten nicht für möglich gehalten hat. So gibt es einen handy Anbieter in Nordkroea und man zählt zwei Millionen Besitzer von Mobiltelefonen.

Der Autor beschreibt, wie man auch in Nordkorea jetzt entgegenkommenden Passanten ausweichen muss, die gebannt auf das Display ihres Telefons blicken. Es haben sich auch die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung verbessert, ein Wort, was in den 90er Jahren verpönt war. Es gibt im Fernsehen Kochsendungen und eine multimediale Koch-App für Tablet-Computer. Es bildet sich langsam eine neue Mittelklasse, was wahrscheinlich für die wirtschaftliche Zukunft ganz besonders wichtig ist. Als ehemaliger DDR-Bürger beeindruckt ihn, in einem Geschäft 2012 plötzlich Bananen zu sehen, aber keine Schlangen von wartenden Käufern. Das Obst war zu teuer. Das Problem sei also nicht mehr das Angebot, sondern das den Nordkoreanern fehlende Geld. Die Mittelschicht sei nicht die Oberschicht, die weiter ganz abgeschottet ist und deren Luxus man nicht sehen darf. Er fragt sich das, was sich alle Besucher und humanitären Arbeiter in Nordkorea fragen: Ist damit das Land nicht auch Keimzelle für Unruhen, Unzufriedenheit und Aufstände? Wie oft haben wir uns das gefragt, als wir 1995 ff in Nordkorea gearbeitet haben. Auch in dem Sinne, ob man uns die Kollaboration mit dem Regime vielleicht mal vorwerfen wird?

In der Wirtschaft sieht der Autor die Strahlkraft der Vorbilder China und Vietnam, die es ja auch geschafft haben, die Privatisierung an staatliche Muster zu binden und staatlichen Betrieben die nötige Effizienz durch klare Fesseln zu verpassen. Es gibt nach Meinung des Autos wie in China so auch in Nordkorea einen staatlich kontrollierten Liberalismus. Der Staat ist erst mal der wichtigste Agent. Der entwickelt mit einer hochqualifizierten Bürokratie eine wirtschaftspolitische Vision, die auf der Förderung strategischer Industrien beruht. So kann der starke Staat dann private Firmen disziplinieren. Das effizienteste Mittel der staatlichen Lenkung der Wirtschaft ist aber das staatlich kontrollierte Finanzsystem. Die inländischen Banken bleiben die einzige Finanzierungsquelle. Die vergeben Kredite primär an solche Unternehmer, „die die strategischen Vorgaben des Staates erfüllen“.

Im Kapitel über die Reform: „Ein Schritt vorwärts, zwei zurück“ gibt der Autor Einblick in wirkliche wichtige Reformvorhaben. Kim Jong- il habe sich Januar 2001 schon an das eigene Volk gewandt. Und gesagt: „Wir sollten permanente Anstrengungen unternehmen, die in der Vergangenheit geschaffene Landschaft umzuformen, um den Anforderungen der neuen Zeit gerecht zu werden“. Es wurden wirklich aus Hongkong Computer TV, Videorecorder und Automobile importiert. In einer Textilfabrik wurden Anzüge von den Näherinnen mit dem Label „Made in Italy“  produziert. Aber es gab in der Führung Angst nach dem Ende der Sowjetunion und Osteuropas. China hatte 1978 seine Reformen begonnen. Nordkorea setzte jetzt 2002 an. Der von den USA angeführte Westen war an einer Unterstützung der chinesischen Reformen interessiert, auch um Moskau in Schwierigkeiten zu bringen. Doch unter der Administration war das alles das Reich des Bösen. Die japanische Regierung wurde von der US-Regierung zurückgepfiffen. Der Autor sagt: „Ich möchte nicht so weit gehen zu behaupten, dass die USA die Nordkorea Reformen bewusst verhindert hätten. Geholfen hat Washington aber definitiv nicht“. Bei China waren es auch über eine Milliarde potentieller Kunden. Bei Nordkorea nur 25 Mio Einwohner – das zählt für kapitalistische Gemüter und Regierungen auch.

Und Nordkorea hat auch mittlerweile Zugang zu alternativen Energien. Sonnenkollektoren findet man auch außerhalb der Hauptstadt auf vielen Balkonen und Vorgärten. In Pjöngjang fallen – so der Autor – entlang des Taedong Flusses die mit Solarzellen arbeitenden Straßenlaternen auf. Die Nachfrage nach Elektroenergie habe schwer zugenommen. Denn in den Haushalten nehmen die Stromfresser zu, als da sind Klimaanlagen und Heizöfchen. Es gibt wieder „siktang“ (=Restaurant) und Sangjom (=Geschäfte) in den Straßen der Hauptstadt.

Wichtiger für ein Aufblühen des gesamten Koreas wäre eine Verbesserung der Beziehungen zu den USA. Aber das scheint in weiter Ferne. Im Grunde ist die Anerkennung durch die führende Technologiemacht der Welt ein inniges Ziel, wie es das für Vietnam lange Zeit auch war. Gegenwärtig ist nicht zu erkennen, dass dieses Ziel in absehbarer Zeit erreicht werden kann.

Rüdiger Frank „Nordkorea – Innenansichten eines Totalen Staates“

Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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