Putins Kalter Krieg
Wie Russland den Westen vor sich hertreibt. Superwaffe: Unberechenbarkeit – Das Ende aller Sicherheit. Von Rupert Neudeck
Das ist das Buch eines Journalisten, der nicht zu einer der Kategorien, rechts oder links gehört, sondern der einen erschreckenden Prozess beobachtet und berichtet. Wir hatten noch unter Gorbatschow und Jelzin ein Gefühl, die schaffen das schon, die werden, wie es im gloriosen Programm von Gorbatschow angedeutet war, den Weg zur Demokratie ebnen, zu einer demokratischen Verfassung.
Jetzt haben wir einen Präsidenten, der vor Habgier und imperialer Ungeduld auch mal einen Fehler machen kann. Man erfährt Dinge, die in der Regelberichterstattung nicht vorkommen. Alle Ideen Putins, Machtvertikale, die Diktatur der Gesetze – ein Slogan, mit dem er damals 2000 angetreten war, finden sich in den Werken von Iwan Iljin. Im Herbst 2005 wurde Iljins Leiche aus der Schweiz nach Moskau überführt und mit Putin im Moskauer Donkskoj Kloster beigesetzt. Es wurde hilflos versucht, eine neue Ideologie zu gründen. Es gab drei Kernelemente der künftigen Putin Garde: der Neoimperialismus, die religiöse Legitimierung und eine neue geopolitischen Begründung durch das Eurasiertum. Die Sowjethymne wurde einfach wegen der Kontinuität übernommen, aber alles Kommunistisch Marxistische wurde wegretouschiert und stattdessen mit religiösen Inhalten (=“Unserer heilige Mutter Russland“) aufgefüllt. Es gab, von dem Geheimkreis hatte man auch kaum erfahren, den Isborsker Klub, ein Salon eher, gegründet im September 2012 in einem Dorf in der Nähe von Pskow. Die Gründung ist verbunden mit dem Ministerpräsidenten Dmitrij Rogosin, der für die Rüstungsindustrie tätig ist, sich aber auch um Ideologie kümmert.
Putin hat den großen Vorteil, ihn interessiert das große Geld nicht wirklich, schon gar nicht seine Vermehrung. 2011 konnte man im Kreml noch Angst bekommen – später eher nicht. Es fand am 10. Dezember 2011 eine Reisedemonstration der Opposition statt, also aller nicht zugelassener Parteien. Die Teilnehmer riefen Gerechte Wahlen und „Nieder mit Putin“. Das löst bei Sklavenseelen um den Machtapparat bebende Angst hervor, zumal die politische Polizei nicht dabei ist das zusammen zu knüppeln. Am 24. 12. 2011 wiederholte sich das Spektakel, wahrscheinlich sogar größer, 150.000 Menschen auf dem Sacharow Platz in Moskau. Die Führung um Putin kann nur in Verschwörungen denken, nicht in der Anerkennung von authentischen Bewegungen.
Alles, was auf der Welt schlecht steht, ist von den Amerikanern angerichtet, in Moskau nennt man das die farbenen Revolutionen. In der Ukraine wurde die Farbe Orange ausgewählt, in Serbien schon gelb, egal, die Völker können das nicht, man muss es ihnen machen.. Dass es authentische Menschen wie Nawalny und Boris Nemcow geben würde, konnte man nicht wissen. Man weiß überhaupt nicht von ehrlichen Menschen. Es gab bestimmt Wahlfälschungen, aber das war nicht so entscheidend. Das Tragische war die alte Neowrossija Stimmung, die Putin verbreiten ließ im Kampf gegen die Ukraine und die Mehrheit war im Siegestaumel wie schon bei der Annexion.
Markus Wehner hat schlicht Sorge um den Westen, weil er nur langsam dazu gebracht wurde, die Gefährlichkeit von Putin wahrzunehmen, der auf dem Wege ist, Kriege (oder Ähnliches in ihren Ländern) anzufangen. Deshalb heißt das zweite Kapitel: Krieg dem Westen. Russland und die Farbigen Revolutionen. Der Autor beschreibt die unglaublichen Verwicklungen um die Annexion der Krim, um das dauernde selbstbewusste Lügen von Putin. Wahrscheinlich wird das die schlimmste Entwicklung werden im Konzert der Mächte: Man wird sich auf ein Wort Putins in gar keiner Weise mehr verlassen können.
Wehner eröffnet uns ein Panorama, das noch weitere Merkwürdigkeiten aufweist, die uns nicht den Eindruck vermitteln, dass wir es mit einem Staat zu tun haben. Es scheint mehr eine Sicherheitsarchitektur, Geheimdienste, die Polizei, die Propaganda in den vom Putins total beherrschten Stäben sollen beherrschbar werden. Manchmal gleitet die Propaganda aus und man ratscht an einer großen diplomatischen Affaire entlang. Ich fürchte, wir alle haben den Zusammenhang dieses Falles noch nicht voll geschluckt. 2016 meldet der größte Staatssender Russlands von einer angeblichen Vergewaltigung des 13 Jahre alten Mädchens Lisa F. aus einer russisch deutschen Familie. Das Mädchen sei von wem, natürlich von drei arabischen Männern entführt, dreißig Stunden festgehalten worden, bevor man sie auf die Straße geworfen habe. Keine Silbe davon ist wahr.
Ich meine, dass es sogar zu einer diplomatischen peinlichen Intervention von Außenminister Lawrow kam. Aber die falsche Geschichte hat schon in Russland ihre Runden gemacht Es wurden Videos präsentiert, die die Unwahrheit immer noch steigerten. Es wurde eine Falschmeldung über eine Vergewaltigung eines Kinder gebracht, von vielen Kreml Medien in höchsten Tönen verbreitete. Es war schon so weit, dass 700 Russlanddeutsche vor dem Bundeskanzleramt gegen die Flüchtlingspolitik protestierten.
Was ist dieses in die Unendlichkeit ausgegossene Land Russland, das aus allen Kategorien fällt. Es hat mit der Aufarbeitung der Stalin und Gulagzeit immer noch nicht begonnen. Es nimmt Kontakt mit denen auf in europäischen Ländern, die bei uns den schlechtesten Leumund haben. Dass Marie le Pens Front National einen Kredit über 9 Millionen bekommen hat, hat ihr in Frankeich nicht geschadet. Marie le Pen muss natürlich nach His Masters Voice sprechen, wie anders. Die Krim Annexion ist völlig in Ordnung. Neun Monate nach dem Lob der Krim Annexion bekam sie oder die Fron National einen Kredit der First Russian Czeck Bank.
Was ist das für ein Gebilde? Die alten Attribute für Staaten, die nicht mehr richtig funktionieren, fassen auch nicht. Bananenstaat wäre eine viel zu niedliche Bezeichnung.
Wehner sagt kategorisch: die Russlandpolitik des Westens muss spätestens mit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ukraine einer völligen Neubewertung unterzogen werden. Das ist gar nicht so einfach, denn Putin kann in der Außenpolitik immer wieder neu seine neue Superwaffe, die Unberechenbarkeit einsetzen. Beim Resümee des bisherigen Standes des Ukraine Konflikts spricht er von einem „Gefrierzustand“. Das scheint ihm nicht so falsch, vielleicht unter den bescheidenen Möglichkeiten, den Konflikt einzudämmen, die beste Möglichkeit. Es gab in den Beziehungen viele Blütenträume. Der Petersburger Dialog wurde 2001 begründet, hat sich aber bis heute nicht zu einer lebendigen Begegnung von Menschen aus der Zivilgesellschaft ergeben.
Die Putin Seite stellt sich das mit der Zivilgesellschaft so vor, dass sie handverlesene Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche, altgediente Uni-Funktionäre und ausgewählte Kulturvertreter wie den Putin Freund und Dirigent Walerij Gergijew auswählt. Die deutsche Seite ist nicht weniger einfallslos. Wehner beklagt die Tatsache, dass es wenige wirkliche langjährige Russland Experten im Parlament gibt. Immerwährend sind die Vertreter des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft Eckardt Cordes und der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maiziere. Maiziere sei aber bekannt dafür gewesen, dass er jeder Konfrontation mit der russischen Seite aus dem Wege ging. Wehner schließt mit der unausweichlichen Frage: wo bleibt das Positive, gibt es auf etwas zu hoffen? Wehner will mit gutem Gespür auch darauf hinweisen, dass Länder wie Estland, Litauen, Lettland sich darauf verlassen, dass im Zweifelsfall des Angriffes von dem Bündnis massiv gedroht wird.
Wehner hat am Schluss zehn Thesen, die jemand, der sich aufgerufen fühlt, im Bundestag Russland Experte zu werden, gut auf die Pinnwand vor ihm heften sollte. In der These 89 heißt es: „Trotz des harten Kurses muss der Westen Geduld haben, ohne falsche Nachsicht zu üben. Russland leidet unter seinem post-imperialen Syndrom. Es ist wie ein pubertierender Junge, der den Halbstarken gibt um seine eigene Unsicherheit und seine Minderwertigkeitskomplexe zu überspielen“.
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