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Putins Welt

Das neue Russland, die Ukraine und der Westen. Schonungslose Analyse Das Russland Putins. Von Rupert Neudeck

Das ist ein bedrückendes Buch. Es zeigt uns, dass die Verheißungen der Demokratie nicht immer aufgehen. Dieses neue Russland begibt sich ‚freiwillig‘ in die Hände eines autoritären Herrschers, dessen Macht wöchentlich größer wird. Seine Machtrituale werden für uns immer lächerlicher, aber nicht für seine Bevölkerung oder auch nur für die Staatsgäste, die da im Kremlsaal aufgereiht werden und warten müssen, bis eine Gold-Bernsteinbesetzte Flügeltür aufgeht und sie einen energischen kleinen Napoleon da hereinmarschieren sehen. Das Buch hat einige Höhepunkte, die bewegend geschrieben sind. Die eine große Geschichte geht um Journalisten als Krieger. Mit 25 Jahren wurde die Journalistin Margarita Simonjan 2005 zur Chefredakteurin von „Russia Today“ ernannt. Dazu erklärte sie: Russia today sei das „Verteidigungsministerium Russlands“ oder des Kreml, „eine Waffe wie jede andere auch“. 

Und erschreckender Weise ist es an der Realität, wenn die Simonjan einem US-amerikanischen Journalisten sagt: „Ihnen glauben die Menschen nicht mehr. Aber sie glauben uns. Sie glauben, dass unser Bild der Welt näher an der Realität ist“.  Die Autorin zitiert die ARD-Korrespondentin Golineh Ataj: „Die meisten Journalisten begreifen sich mittlerweile als Informationskrieger. Sie reden ganz offen über ihre Mission. Und sie sehen auch mich als Informationskriegerin an. Sie drängen mich geradezu in die Rolle der Kriegerin hinein. Ich will aber Journalistin sein! Nicht Kriegerin! Ich werde überrollt von der Spin-Lawine, von der Inszenierungsmaschinerie des Kreml“.

Die Autorin erwähnt die vielen Putin-Trolle, die das Weitere tun in den sozialen Medien, so in der Hacker Gruppe „Anonymus international“. Sie ist mit ihrem Buch ganz klar, am Schluss dieses Kapitels steht eine klare Nutzanwendung für den Leser: „Am Anfang steht eine einfache Erkenntnis: Russlands Informationskrieg ist, was er ist: ein Krieg. Und dieser Krieg wird geführt gegen: jeden von uns“.

Es sind gut geschriebene geballte Kapitel an Information und Erkenntnis und Enttäuschung. Ich möchte als Leser manchmal den Dissidenten und Germanisten Lew Kopelew wieder lebendig werden lassen, der aus Moskau ausgebürgert hier in Köln lebte und der unser bester Ratgeber war. Was würde er zu dieser Wende in seinem Lande sagen? Wie würde er die totale Aushöhlung der Demokratie bewerten und einschätzen? Die Autorin beschreibt eine Runde von mehr oder wenigen Dissidenten-Frauen, die sich in Moskau treffen: Das Ganze geht um das tragische Kapitel „Macht und Ohnmacht der Zivilgesellschaft und der Opposition“. Man hatte sich geschworen, „post Krim“, nach der Einnahme der Krim am 18. März 2014, sich in Moskau zu treffen: vier politisch engagierte  Frauen aus drei Generationen. Man wollte ein Gespräch über die Rolle und Zukunft der russischen Zivilgesellschaft führen.

Eingeladen hatte Ljudmilla Alexejewa, nun 90 Jahre alt. Kein Gespräch ohne ein gutes Essen, versammelten sich die Frauen in ihrer Wohnung am Moskauer Staryi Arbat. Die Gastgeberin hatte alles aufgefahren, daran sollte der Erfolg des Abends nicht liegen. Es waren zwei engagierte Mitgründerinnen der Punkrok-Gruppe Pussy Riot erschienen, die im August 2012 wegen Rowdytum aus religiösem Hass zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt waren, Nadeschda Tolokonnikowa und Marija Aljochina. Sie hatten in der Christus Erlöser Kathedrale die Mutter Gottes um Erlösung von Putin gebeten. Neben diesen beiden jungen Frauen war noch die Autorin des Buches, aber auch eine russische Journalistin erschienen, die den Beruf durchhalten will: Ewgenija Albaz. Sie wurden 2009 Chefredakteurin eines der letzten kritischen Wochenmagazine: New Times.

Sie sagt: Dieses Regime empfinde ich als persönliche Beleidigung. Diese Journalistin setzt auf die Kraft der Aufklärung und auf Menschen mit demokratischem Patriotismus. Dieses System, sagt sie, „beschmutzt die Menschen. Dieses Regime geht davon aus, dass jeder gierig und käuflich ist. Dass niemand Ehre oder Würde empfindet und sein Vaterland wirklich liebt“. Auch die Menschenrechtlerin Alexejewa setzt auf anständige Menschen, die das Recht auf Würde einfordern. „Wie kleine Sterne strahlen sie für uns, sie erheben uns alle“. Die Autorin schreibt am Ende dieses Gespräches wie in einer Weltraumkapsel: „In gewisser Weise war es ein Gespräch wider besseres Wissen“.

Das Buch hat aber auch lange Kapitel, in denen meinungsstark die Entwicklung Russlands im geopolitischen Weltspektrum beschrieben wird, aber man vermisst die Korrespondentin In Moskau dabei. Man würde auch gern wissen, wo denn Grenzen der Berichterstattung schon damals waren, aber dazu erfährt der Leser nicht viel. Die Kapitel: Außenpolitik – Putins Welt und „Die Ukraine, Russland und der Westen – an die Grenzen“, geben vieles wieder von dem, was wir aus den diplomatisch-politischen Händeln auch wissen. Aber das Lokalkolorit der Autorin, die mit Sitz in Moskau so lange Jahre seit Beginn des Endes der Sowjetunion für Russland zuständig war, fehlt in den Kapiteln. Natürlich möchte der neugierige Leser auch etwas über einen nicht unbekannten Deutschen wissen, der sich gleich nach seiner Kanzlerschaft nach Moskau und Gazprom verabschiedete und die Interessen, ja, von wem nunmehr vertrat?  So ganz lebendig wird das Buch wieder im letzten Kapitel “Deutschland und Russland – Enttäuschte Erwartungen“.

Wenn Sprache ein Schlüssel wäre für das Verstehen eines Landes, dann müsste Putin ein Deutschland-Versteher sein. Die Autorin vergleicht ihn mit einem Helden aus einer sowjetischen Fernsehserie. Max Otto von Stirlitz. Stirlitz versuchte als SD-Mann die Nazis in den letzten Kriegsmonaten davon abzuhalten, mit den USA einen Separatfrieden zu machen. Stirlitz war ein Guter Deutscher. In der Logik des kalten Krieges gab es „gute Deutsche“. Putin wurde 1985 als Hauptoperativbevollmächtiger in der KGB Residentur Dresden stationiert. Aber auch in der DDR lebte dieser Putin in einer sowjetischen Welt, hatte Kontakt nur zu Stasi Leuten.

Gloger hat beobachtet, dass Merkel und Putin manchmal russisch verhandeln, manchmal deutsch und manchmal werden dabei die Dolmetscher kritisiert. So in jener elendig langen Nacht in Minsk im Februar 2015. Putin konnte sich den billigen Witz erlauben, seinen schwarzen Labrador durch den Raum laufen zu lassen, Merkel beschnüffeln und sich dann zu ihren Füßen zu legen. Ungehörig in jedem Fall, aber auch kleinkariert. Was das Feld zwischen Russland und Deutschland beherrschte, jedenfalls auf deutscher Seite, waren Magische Worte, die Politik im besten Fall anzeigen, im schlechten ersetzen sollten. Nach dem Georgienkrieg wurde das magische Wort „Modernisierungspartnerschaft“ erfunden, es ist für die enttäuschten Beziehungen ganz schwach, aber es hält die Position, weil es keine andere Magie gibt. Doch es gab noch das schöne und magische Wort Congagement, also eine Strategie der Einhegung. Aber es sind alles hilflose Versuche, in einer Lage eine Politik zu versuchen, in der nur die Feuerwehr und der Sicherheitsrat sich bemerkbar machen dürfen. Da Putin haargenau weiß was er will, er ist geradezu ein „politisches Tier“, seine Instinkte kennen die Schwächen des Westens und deshalb wäre es gut, der Westen würde mal Stoppzeichen setzen und über diese Stoppzeichen nicht nur lange Reflexionstraktate beginnen.

Einer, der ganz miserabel behandelt wurde, weil er für den Großherrscher aus dem Kreml nicht wichtig genug war, ist der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel gewesen. Im März 2014 flog er nach Moskau. Putin empfing ihn in seiner Residenz in Nowo Ogarjowo. Putin sprach die meiste Zeit deutsch. Aber er sprach die ganze Zeit. Putin schimpfte besonders auf Janukowitsch, der gerade aus der Ukraine geflogen war. Vollidiot hieß eines der Worte, die er für den Präsidenten übrig hatte. Nach Ende des Gespräches erfuhr Gabriel beiläufig, dass auf der Krim ein Referendum beschlossen war.

Das Lächerliche hat Putin auch nicht seine überbordende Popularität gekostet. Die Autorin berichtet über eine zweiteilige Dokumentation des russischen Staatsfernsehens im April 2015 mit Jubelbilanz. In dem Film gab es auch eine lange Sequenz von einer Pilgerfahrt des Waldimir Putin auf dem Berg Athos, dem heiligen Ort der griechischen und also auch der russischen Orthodoxie. „Man zeigte Putin am Steuer eines kleinen Geländewagens, offenbar fuhr er selbst“ Ein Maultier lief eine Weile neben dem Wagen, stets auf Augenhöhe mit dem Präsidenten. Diese Begegnung mit dem Maultier auf dem heiligen Berg kommentierte im Film ein Mönch: Diese Begegnung müsse ein „Zeichen Gottes“  an den Präsidenten gewesen sein: „Der Präsident- ein Mensch, bescheiden einer göttlichen Bestimmung dienend.“

Katja Gloger „Putins Welt – Das neue Russland, die Ukraine und der Westen“

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Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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