Reichtum ohne Gier
„Die Wirtschaft muss kleinteiliger werden, um wieder kreativ und innovativ zu sein,“ Sarah Wagenknecht.
„Es ist Zeit, sich vom Kapitalismus abzuwenden“, sagt Sahra Wagenknecht. Wie das konkret aussehen kann, erklärt sie in Ihrem Buch „Reichtum ohne Gier“. Denn der Kapitalismus ist längst nicht mehr so innovativ, wie er sich gibt. Bei der Lösung der großen Zukunftsfragen – von einer klimaverträglichen Energiewende bis zu nachhaltiger Kreislaufproduktion – kommen wir seit Jahrzehnten kaum voran. Für die Mehrheit wird das Leben nicht besser, sondern härter.
Es ist Zeit für eine kreative, innovative Wirtschaft mit kleinteiligen Strukturen, mehr Wettbewerb und funktionierenden Märkten, statt eines Wirtschaftsfeudalismus, in dem Leistung immer weniger zählt, Herkunft und Erbe dagegen immer wichtiger werden.
Sahra Wagenknecht fordert
- eine andere Verfassung des Wirtschaftseigentums,
- die Demokratisierung des Zugangs zu Kapital und
- die Entflechtung riesiger Konzerne, deren Macht fairen Wettbewerb und Demokratie zerstört.
- Talent und echte Leistung zu belohnen und Gründer mit guten Ideen ungeachtet ihrer Herkunft zu fördern.
Mit ihrem Buch eröffnet Wagenknecht eine politische Diskussion über neue Eigentumsformen und die vergessenen Ideale der Aufklärung. Sie legt eine scharfsinnige Analyse der bestehenden Wirtschaftsordnung vor und zeigt Schritte in ein demokratisch gestaltetes Gemeinwesen, das niemandem mehr erlaubt, sich zulasten anderer zu bereichern.
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Was verstehen Sie unter Reichtum?
Sahra Wagenknecht: Ein materiell gutes Leben, finanziell sorgenfrei. Aber das genügt nicht. Reichtum schließt die Freiheit zu freier Zeit ein: Zeit für Liebe, Freundschaften, Natur und Kultur. Viele Millionen zu bunkern, Besitztümer als Statussymbole anzuhäufen, das ist für mich das Gegenteil von Reichtum, das ist armselig.
Mit dem Kapitalismus wurde uns viel versprochen: mehr Wohlstand, mehr Innovation mehr Freiheit. Doch mittlerweile besitzen die reichsten 1 Prozent der Weltbevölkerung mehr als alle anderen auf der Welt lebenden Menschen zusammen. Und weder Fleiß noch Qualifikation noch Zweit- oder Drittjobs garantieren den meisten ein einigermaßen sicheres Leben. Der Kapitalismus löst seine Versprechen nicht ein. Was wäre für Sie eine geeignete Alternative?
Sahra Wagenknecht: Wir müssen den Wirtschaftsfeudalismus überwinden, der ökonomische Macht in der Hand von Familiendynastien konzentriert und der Oberschicht leistungslose Millioneneinkommen sichert, weil sie wie der alte Adel andere für sich arbeiten lässt. Es muss endlich eingelöst werden, was schon die Aufklärung gefordert hat: dass die Perspektive eines Menschen von seinem Talent und seiner Lebensleistung statt von seiner Herkunft abhängt. Der Schlüssel dafür ist eine andere Verfassung des Wirtschaftseigentums.
Kapitalgesellschaften stehen in Ihrem Buch in der Kritik. Haben wir uns zu sehr an die beschränkte Haftung für Wirtschaftseigentum gewöhnt?
Sahra Wagenknecht: Ja, leider. Der typische Akteur des Kapitalismus ist nicht der Unternehmer, der mit Power und Ideen seine Firma aufbaut, sondern der Anleger, der vor allem Rendite sehen will. Echte Unternehmer gibt es ohne Kapitalismus, eine Demokratisierung des Zugangs zu Kapital würde sie unabhängig machen von der Vorherrschaft der Kapitalgeber. Die beschränkte Haftung ist eine Rechtskonstruktion im Interesse der Anleger: Sie garantiert ihnen vollen Zugriff auf die Gewinne eines Unternehmens, während die Haftung auf den ursprünglich investierten Betrag beschränkt bleibt. Das ist ein Widerspruch in sich und es motiviert, möglichst viel Geld aus einem Unternehmen herauszuziehen. Alle echten Marktwirtschaftler von Adam Smith bis Walter Eucken waren Gegner der beschränkten Haftung.
Warum akzeptieren wir ein Leben, das deutlich schlechter ist, als es sein könnte?
Sahra Wagenknecht: Der wichtigste Stabilitätsanker des Kapitalismus ist, dass viele keine attraktive Alternative zu ihm sehen, weil nach Alternativen nur in der Vergangenheit gesucht wird. Das ist auch der Trick der Kapitalismus-Verteidiger: Sie fragen, wo denn schon mal ein funktionierendes Gegenmodell verwirklicht wurde. Das ist eine unsinnige Frage. Geschichte besteht nicht in der Wiederkehr vergangener Ordnungen, sondern im Entstehen von Neuem. Hätte die Menschheit immer nur in Angriff genommen, was sich bereits in der Vergangenheit bewährt hat, würden wir heute noch in Höhlen hausen.
Sie schreiben: »Wir brauchen keine Räuberbarone, die auf drei oder vier Kontinenten produzieren lassen und sich jeweils die Orte mit den billigsten Löhnen und niedrigsten Steuern aussuchen können. Die Giganten zerstören echten Wettbewerb.« Heißt das konsequenterweise Schluss mit Ikea, H&M und Co?
Sahra Wagenknecht: Ja, denn riesige Konzerne zerstören Wettbewerb und Demokratie. Die Wirtschaft muss kleinteiliger werden, um wieder kreativ und innovativ zu sein. Es ist doch eine uniformierte Ödnis, dass heute die Fußgängerzone in allen europäischen Großstädten nahezu gleich aussieht und wir im Supermarkt überall die gleichen Produkte finden. Die Entflechtung von Unternehmensgiganten und die Verhinderung von Marktmacht ist eine alte liberale Forderung. Die heutigen Liberalen sind leider zu feige und zu konzernhörig geworden, um an dieser Tradition festzuhalten.
Was haben Sie gegen »Faulbären«, die Reichtum erben statt erwirtschaften?
Sahra Wagenknecht: Jeder Mensch sollte nicht nur ein Recht auf Arbeit, sondern auch ein »Recht auf Faulheit« haben: im Sinne eines Anspruchs auf Muße und Freizeit. Eine Wirtschaftsordnung allerdings, in der viele trotz Leistungsstress und Zweitjob zu wenig verdienen, um anständig leben zu können, während andere dank ererbter Millionenvermögen ein luxuriöses Leben führen, ohne jemals irgendetwas zu leisten, hat keine Zukunft. Die höchsten Einkommen im Kapitalismus sind nicht Einkommen aus Arbeit, sondern leistungslose Einkommen aus Vermögen.
Sie fordern offene Märkte und intensiven Wettbewerb. Das klingt für viele nicht nach der Forderung einer Linken. Was halten Sie dagegen?
Sahra Wagenknecht: Natürlich gibt es Bereiche, in denen Märkte nichts zu suchen haben: bei Grundbedürfnissen wie Gesundheit oder Bildung ist es völlig inakzeptabel, die Qualität der Versorgung von der individuellen Zahlungsfähigkeit abhängig zu machen. Ein zunehmend von privaten Anbietern dominierter Wohnungsmarkt macht das Grundrecht auf Wohnen zum Spekulationsobjekt. Auch Geld ist ein öffentliches Gut, ein deregulierter Finanzmarkt ist nichts als eine organisierte Abzocke und Gaunerei. Aber in der normalen kommerziellen Wirtschaft sind funktionierende Märkte ein unersetzliches Mittel, um Unternehmen auf Kundenorientierung, Produktivität und Innovation festzulegen. Und wir sollten den Neoliberalen nicht auf den Leim gehen: Sie reden von Markt, Wettbewerb und Eigenverantwortung. In Wahrheit sind die Ergebnisse ihrer Politik wachsende wirtschaftliche Machtkonzentration, weniger Wettbewerb und mehr Abhängigkeit.
Wie können wir die Gier überwinden?
Sahra Wagenknecht: Indem wir die wirtschaftlichen Strukturen überwinden, die Einzelnen die Chance geben, sich zulasten anderer schamlos zu bereichern. In einer Ordnung, in der man nur noch durch eigene Arbeit und eigene Leistung reich werden kann, sind Gier und Rücksichtslosigkeit kein Erfolgsrezept mehr.
Sahra Wagenknecht ist promovierte Volkswirtin, Publizistin und Politikerin, Mitglied der Partei Die Linke, für die sie auch im Bundestag sitzt und im Europäischen Parlament war. Sie ist Vorsitzende der Linksfraktion, war von 2011 bis 2015 Erste Stellvertretende Vorsitzende, von 2010 bis 2014 Stellvertretende Parteivorsitzende.