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Knaus Verlag München | Wolfgang Herles: Die Gefallsüchtigen

© Knaus Verlag München | Wolfgang Herles: Die Gefallsüchtigen

Starke Medien-, schwache Politik-Kritik

Starke Medien-, schwache Politik-Kritik. Zu einer schön-frechen Streitschrift von Wolfgang Herles. Von Rupert Neudeck

Das ist einer, der meint es radikal. Er hat auch allen Grund dazu, mit dem Erscheinen des Buches ist er pensioniert worden. Nun hat er so viel an produktivem Ärger angestaut, dass er eine nicht endende Philippika auf die Sender, eben die öffentlich-rechtlichen geschrieben hat. Das Buch will es nicht unter einer „Kultururrevolution“ haben, die der Autor am Ende fordert. Die Mängel des Programms sind nicht der Werbung anzulasten, sondern dem „Quotendruck, der täglich 24 Stunden lang das Programm beeinflusst.“  Trotzdem plädiert Herles für einen Werbeverzicht beim Gebührenrundfunk. Denn damit würde die Notwendigkeit entfallen, Quoten zu messen, um Reichweiten zu belegen. „Mit einem Verzicht auf die Quotenmessung würde eine Kulturrevolution in den Sendern eingeleitet“.

Das ist Mut, den Herles aufbringt, nun kann er sich den leisten, er sei jetzt gerade vom Sender pensioniert worden. Herles beschreibt die Geschichte eines Verrats, oder eines Substanzverlusts. König Fußball beherrscht die Sender, da haben nicht mal die Nachrichtensendungen Platz. „Je mehr Fußball läuft, desto mehr Fläche für Information und Bildung geht verloren“ Der Autor macht aber nicht halt bei einer bloßen Zustandsbeschreibung: Er fragt, ob die Programmmacher „überhaupt kein Schamgefühl mehr haben?“ Sie lassen den Fußball das gesamte Programm über laufen und dominieren und unterstützen auch noch den Korruptionswettlauf der FIFA mit ihren hochkriminellen Figuren. Für jeden, der Nachrichtensendungen für essentiell hält, sind die Ausgaben in den Halbzeitpausen ein Ärgernis.

Er beschreibt das System der Wahrsagerei, das dem Quotenwahn zugrunde liegt. Herles sagt ohne Zögern: „Der Glaube an die Quote ist zum Wahn geworden“ man muss sich das mal ansehen: Die Gesellschaft für Konsumforschung hat 5640 Haushalte mit insgesamt 10.500 Personen mit GfK Metern ausgerüstet. Die Identität dieser 5640 Haushalte muss natürlich streng vertraulich bleiben. Diese Haushalte repräsentieren die gesamt 70 Mio deutscher Zuschauer ab dem 3. Lebensjahr. Ausländer sollen erst ab 2016 ins Panel einbezogen werden. Das heißt auch: Jede Person repräsentiert damit 7000 Menschen-Zuschauer. „Die Auserwählten müssen sich, wenn sie mit dem Fernsehen beginnen, es unterbrechen oder beenden, per Tastatur an und abmelden. Die zuverlässige Handhabung kann nicht überprüft werden“. Natürlich ist das verräterisch. Ich besinne mich, das die Zuschauerforschung schon vor 40 Jahren mitbekam, dass Menschen, die an diesen Apparat angeschlossen waren, meinten, sie würden in Ihrem Auswahlverfahren beobachtet. Und die deshalb das damals noch existierende Bildungsfernsehen einschalteten. Für diese privilegierten Zuschauer ist fernsehen etwas mit Bedeutung und Wirkung, denn sie bestimmen ja die Quote. Dieser Effekt mag sich mit der Zeit abnutzen, aber es bleibt der Geruch von Wahrsagerei über dem Quotenwahn.

Herles wird nicht müde zu betonen, dass dieser Wahn immer mehr die Programmgestaltung, auch der Neben- und Spartenprogramme beeinflusst. Auch bei ZDF Info und Phoenix sitzen mittlerweile „Quotenjunkies“. Die Zahlen könnten vielleicht eine relative Größe für die Festlegung der Werbeeinnahmen bilden. „Für werbefreie Programme außerhalb der Werbezeiten sind Quotenmessungen überflüssig“. Ganz ins Eingemachte steigt Herles bei den Kulturmagazinen und ihrer Verbiegung, da hat er ja nun besondere Erfahrungen gesammelt. Der Fußball verändert nicht nur das Programm des gerade übertragenden Senders. Er verändert auch den fußballlosen Sender. Denn er kontert mit einem zusätzlichen Krimi. Sonderprogrammierung. Täglich laufen dutzende Krimis in allen Programmen. 2014 hat das ZDF allein 452 (!) Krimis ausgestrahlt. „Ein Drittel der Primetime zwischen 20.15 und 22 Uhr wurde allein mit Krimis gefüllt“.

Diese Monokultur der Krimis deutet auf Substanzverlust hin, das ist das Wort, unter dem Herles die Verluste der Fernsehkultur subsumiert. Man könnte als jemand, der die Entwicklung des Fernsehens mitbekommen hat, als es noch das Fernsehen war, nostalgisch und retro-romantisch werden. Es gab mal ein ganz anderes Fernsehen, das sich schon den Platz unter den Kultur- und Kunstmedien erobert hatte. Ein Name taucht in einem verhuschten Zitat bei Herles auf: Günter Rohrbach im Vierscheibenhaus im WDR, der wirkliche Anstifter von Kino und Fernsehspielkultur, wie wir ihn nachher nicht mehr erlebt haben. Rohrbach wird von Herles zitiert: „Es sind nicht die schwierigsten Filme, denen die Zuschauer ausweichen sondern die schlechten.“ Wenn man die Substanzverluste zusammenfasst, ergibt sich ein katastrophales Urteil. Das Fernsehen und sein Programm verbiegen den ästhetischen Geschmack und verramschen alles in einem Einerlei. Überall wird nur noch gerankt, schreibt er. Der eigentliche Skandal besteht in der Suggestion, die jeweilige Promiparade habe irgendeine Gültigkeit. Man kann nicht Goethe gegen die Geschwister Scholl konkurrieren lassen. Oder Friedrich den Großen und Alice Schwarzer für den größten deutschen Pionier. Es kommt, so Herles, nicht auf das Ergebnis an, weil das Spiel der Unterhaltung dient. „Wenn aber das Ergebnis egal ist, dann ist es auch egal, ob es manipuliert wird.“

Seit Gert von Paczenskys Philippika und seit den neueren Büchern von  Lutz Hachmeister gab es nie mehr eine solche frontale ungeschützte und unbeeindruckte Kritik des Programmbetriebes, der selig in sich selbst rotiert. Dass er dabei noch im Handstreich auch das Gebäude der privaten Sender zusammenstürzen läßt, macht die Analyse nur glaubwürdiger. „Auf Verflachung, Sensationsgier, Moralgetöse und Promigestöber kann sich der Zuschauer bei den Privaten verlassen.“ ARD und ZDF behaupten weiterhin, unvergleichlich besser zu sein als der Müll der Privatsender. Dabei müssen sie, so Herles, „nicht einmal rot werden vor Scham.  Nur auf welchem Niveau halten sie Abstand?“

Es ist ein nonkonformistischer Essay, der als Streitschrift daherkommt. Der Autor legt sich an, wo er kann, wozu ist er jetzt pensioniert. Er tut es auch lustvoll, nicht griesgrämig, das macht seine Streiterei auch lustvoll zu lesen. Dazu hat er als jahrzehntelanger gut bestallter Gebührenfernseh-Angestellter eben einiges zu sagen. Immerhin war er im politischen Programm, machte auch mal eine politische Debattensendung, wurde dann aber – wie man dem Buch entnehmen kann zu Recht – als zu frech und riskant in die Kultur abgeschoben. Er durfte das Blaue Sofa auf der Buchmesse machen und die „Aspekte“. Das ist aber alles nichts, was das Medium beherrscht.

Es sind herrlich freche Sottisen auf den eigenen Laden, die aber wahrscheinlich alle hart an den Nerv gehen. Wenn man sich klar macht, dass sich ARD und ZDF mit allem, was sie im Schweif ihres Gefolges mittragen, als Staatsinstitutionen umso mehr aufspielen, als sie es nicht zu sein behaupten. Too big to fail, sagt Herles, gelte aber nicht bis zum jüngsten Tag. Der Grund für das Fortbestehen von ARD und ZDF liege weniger am Zweck, als an der Trägheit der Institution. nach dieser Logik wäre die Pensionskasse die beste Lebensversicherung des ZDF. Ist es ja wohl auch.

Es fehlen die großen Knaller, die früher noch das Fernsehen als eigene mächtige journalistische Instanzen auszeichneten. Was ein Dieter Gütt sich an Verärgerung der höchsten politischen Gralshüter leistete, kann sich heute nur noch im Abglanz darstellen. Dass es Dieter Hildebrandt mühelos schaffte, den Intendanten des ZDF mit den Notizen aus der Provinz so lange zu verärgern, bis er aus dem Sender flog und Asyl bei der ARD bekam, war eben auch eine große Leistung, die für Lebendigkeit sprach. Wenn man sich vorstellen könnte, die ARD/BR wären aus der Berichterstattung ausgeschieden, als Seehofer den Möchtegern-Napoleon aus Ungarn eingeladen hatte, wäre das auch noch mal ein Lebendigkeitselixier-Beweis gewesen. Das Buch ist auch eine Summe dessen, was sich der Autor alles in seinem Verdruss und seiner Frustration in den letzten 20 Jahren aufgeschrieben hat. Richtig zu sich selbst kommt das Buch im dritten Teil, betitelt: Die Seichtigkeitsspirale. Der zweite Teil „Konformismusfalle“ bereitet darauf vor, aber der erste Teil gehört eigentlich weniger dazu: „Zerrspiegel“. Denn da läßt Herles auch das alles aus sich heraus, was er als politischer Redakteur und als Moderator des heute-journals gern gesagt hätte.

So wenn er seine Meinung sagt zu den großen Skandalen, wie dem Fall Dieter Hoeneß, wie dem Fall Middelhoff, dem Fall des kurzfristigen deutschen Bundespräsidenten Wulff, des Falles eines Möchte gern-Bauherrn-und Bischof namens Tebartz van Elst. Das ist gefährdet, weil er da manchmal Dinge sagt, die einfach so nicht stimmen. Z.B. hat er nicht begriffen, dass der Fall des Bischofs Tebartz deshalb so skandalös war, weil er als Nachfolger von jemandem kam, der unglaublich vorbildlich in persönlicher Lebensführung das Bistum geführt hat, des Bischofs Franz Kamphaus. Herles schreibt sehr imperativisch: Das Verhängnis des Bischofs Tebartz  war nicht sein Mangel an Führungsqualitäten, sondern der Umstand, dass der neue Papst Franziskus unerwartet Bescheidenheit als moralisches Kriterium eingeführt hatte“. Der Papst kam erst später in die Debatte. Der Bischofsbubi Tebartz war ein Geschöpf von Papst Benedikt XVI. der ihn aber nicht mehr auszuhalten hatte.

Richtig sind die Beobachtungen, dass die Bildmedien ganz besonders auf Empörungs-Skandale gehen. Das könnte ein eigenes Buch geworden sein, denn solche Empörungen werden von den besten Journalisten aller Medien produziert. Es gibt dabei regelrechte Totschlagrituale. Es werden Büros mit entsprechenden Inquisitionsabsichten gegründet, an denen Festangestellte nichts anderes zu tun haben als gutwillige Politiker bei irgendeinem kleinen Jugend- oder Studienversehen aufzulauern. Das ist nicht nur Schadenfreude und Neid, das ist auch das Ende einer selbstverständlichen bürgerlichen Haltung, die wir in Zukunft noch schmerzlich vermissen werden: Anstand. Der erste Teil passt nicht zum dritten, ist aber in sich auch wieder interessant. Im übernächsten Kapitel des ersten Teiles ist Herles auch ein typischer Journalist, der mit dieser Frau Kanzler nicht fertig wird.

So wie das deutschen Intellektuellenblatt ZEIT jede Woche das Ende der Kanzlerin beschreibt und damit das Eingeständnis liefert, nichts zu wissen („Weiß sie, was sie tut?“, ZEIT vom 25.09.15), so macht es auch Herles. Er attestiert moralinsauer der Kanzlerin,  dass ihre Macht ihren Sinn verliert, „wenn sie zum Selbstzweck wird und die politischen Ziele verloren gehen“. Dann hat er weitere neun Stileigentümlichkeiten herausgebracht, die disqualifizieren: So nur als Beispiel, Merkel nehme Umfragen wichtiger als eigene Überzeugungen.

Der Autor führt aber dann im dritten Teil seinen eigenen  wichtigen Kampf gegen den online-Journalismus, der eigentlich keiner ist. Und macht überall Konformitätsdruck aus, ganz gleich aus welcher Richtung er kommt. Manche Journalisten verwechseln Recherchieren mit Googeln. Man sollte die „Digitale Streitkultur nicht überbewerten“. Wie wenig repräsentativ das Netz sei, zeigten Auswertungen, wonach das Netz als Auffangbecken der Unzufriedenen auftaucht. Entrüstungsstürme (neudeutsch shitstorms) werden nicht mehr ausgehalten. Selbst Großfürsten der Meinungsmacht knicken ein. Als der stellvertretende Chefredakteur von „Bild am Sonntag“, Nicolaus Fest seiner Meinung über den Islam freien Lauf ließ, mit Worten wie: „Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle“. Da gab es einen Shitstorm und die Chefin von N. Fest, Marion Horn entschuldigte sich für den „Eindruck der Islamfeindlichkeit“. Womöglich, sagt Herles, hätte man den Artikel von Fest nach dem „Charlie Hebdo“ Anschlag in Paris akzeptiert. Dann hätte er zur Stimmungslage gepaßt.

Ähnliches bei kleinerem Anlaß im Westfalen-Blatt. Eine Redakteurin hatte einem Leser zugestimmt, dem bei dem Gedanken nicht wohl war, seine zwei Töchter bei einer schwulen Hochzeit als Brautjungfern auftreten zu lassen. Erst zeigte der Chefredakteur Mut und Widerstand, dann aber ließ er erklären, sich von der Autorin zu trennen. Herles sagt zu Recht: Die Meinung der Autorin ist nicht verboten und auch kein homophober Exzeß, „der in einem Atemzug mit Rassismus und Antisemitismus zu nennen“ wäre.

Die Wucht des Angriffs aber geht auf das Fernsehen, genauer das gebühren-steuer-finanzierte Fernsehen von ARD und ZDF. Und noch genauer auf das ZDF und den Lerchenberg. Wer einmal in dieser Weltraumkapsel Lerchenberg mit der großen Auffahrt gewesen ist, weiß, dass eine Regierungsbehörde gegenüber dem größten Fernsehsender Europas klein und mikrig aussieht. Zwischendurch meldet Herles, was man so nie mitbekommen hätte, weil es für die meisten ZDF-Redakteure auf dem Berg total egal ist: Das ZDF hat seine Bibliothek abgeschafft. „Sie sei zu teuer und raumverschlingend. Müssen Fernsehredakteure unbedingt auch noch Bücher lesen?“ Kurz vorher hat Herles noch festgestellt, dass auch und gerade im digitalen Zeitalter Bücher schon deshalb nicht von gestern sind, „weil sie in dem automatischen Konformismus aus dem Netz entgegenwirken“.

Wolfgang Herles „Die Gefallsüchtigen – Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik“

Quelle

Rupert Neudeck 2015 Grünhelme 2015

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