‹ Zurück zur Übersicht

© Sonnenseite

Unsere Zukunft – Ein Gespräch über die Welt nach Fukushima

Ein Buch-Gespräch zwischen Klaus Töpfer und Ranga Yogeshwar.

Es ist das zweite Mal, dass der C.H. Beck Verlag das für einen konservativ gestrickten Verlag geglückte Wagnis eingeht, ein Buch zu veröffentlichen, dass kein richtiges Buch ist. Nach dem fulminanten Erfolg des Buchgespräches zwischen Helmut Schmidt und dem jüdisch-amerikanischen Historiker Fritz Stern kommt der Verlag mit einem aufregenden Gespräch zwischen dem vergleichsweise jungen indisch-luxemburgisch-deutschen Naturwissenschaftler und Fernsehmoderator Ranga Yogeshwar und dem ex-Bundesminister, UNEP Driektor in Nairobi und in jedem Fall elder Statesman Klaus Töpfer heraus: „Unsere Zukunft“.

Das Buch hält die Versprechen, die es aussendet. Da sind zwei Kenner und Könner, die sich über den Zustand der Welt Gedanken machen. Der Grabspruch von Hölderlin „Non coerceri maximo, contineri tamen a minimo divinum est“– könnte man lateinisch sagen. Sie kümmern sich nicht nur um die ganz großen Linien, weil sie ja auch wissen, dass unsere Zukunft nur gerettet wird, wenn wir alle in diesem Prozess einbezogen werden. Es ist die fruchtbare Begegnung zweier Generationen, zweier Herkünfte, zweier Altersklassen, alles ideal, um ein produktives Ergebnis zu erhalten.

Der jüngere hat die Frömmigkeit der Fragen, der Ältere verfügt über mehr Politik-Praxis. Yogeshwar stellt die Demokratie frage: „Ermöglichen die Spielregeln des politischen Establishments den richtigen Raum oder brauchen wir nicht andere Ebenen, unabhängig von Wahlkämpfen, Talkshows, Prognosen, Wahlbarometern?

Töpfer antwortet mit der Ethikkommission, die nirgendwo rechtlich verankert war. Auch sein Kollege Heiner Geißler kam nicht über eine Wahl zum Mediator nach Stuttgart. Das zeigt, wir müssen unsere Demokratie weiter entwickeln. So nach reiner Lehre und Westminster reicht es nicht.

Töpfer hat seine Afrika Erfahrung und berichtet, wie der preußisch-deutsche Politiker da baden gegangen ist beim „Palavern“ oder dem, was die Somalis, als sie noch ihren Staat hatten, „pastoral democracy“ nannten, Hirtendemokratie. Der Deutsche Professor ist ein gewandter Global-Kenner. Immer hat er gleich aus seinen unendlichen Reisen die Beispiele aus den USA und Asien zur hand. Ranga Yogeshwar hat Indien nicht vergessen, wo sich die vielleicht bessere, menschenfreundlichere Alternative anbahnt zu China.

Der Jüngere ist näher dran an den radikalen Fragen. Was ist mit dem Fliegen? Was mit dem Auto, in das ja doch alle wieder einsteigen? Der ältere kennt die Langsamkeit politischer Überzeugungsprozesse: „Solche Transformationsprozesse werden ihre Zeit brauchen“, muss er dem ungeduldig Jüngeren oft sagen. Der jüngere ist näher an der Katastrophe, in der wir ja schon drin sind, Fukushima und Tschernobyl.

Es sind gute nachahmenswerte Beispiele für das, was wir alle spüren: Du musst Dein Leben ändern, kommt es aus allen acht Kapiteln heraus. Das siebte heißt auch noch „Konkret“, aber das Gespräch geht nie um metaphysische oder sonstige Hypothesen. Gau, wie Katastrophen uns verändern, das Eingangskapitel macht klar, wir müssen die Katastrophen als Chance begreifen. So wie wir Deutschen die größten Nutznießer von Fukushima geworden sind dank einer beherzten Kanzlerin. Der Konsum muss sich ändern. Nicht das Elektroauto, meint Yogeshwar, sondern das Elektrofahrrad, 300.000 in Deutschland verkauft: „Sie sind nicht nur auf ältere Menschen zugeschnitten, die physisch nicht mehr in der Lage sind, kräftig in die Pedale zu treten“. Auch viele jüngere entscheiden sich für ein solches Elektrofahrrad als Alternative zum Auto.

Eines sind sie nicht, sie sind überhaupt nicht in Gefahr, Savonarolas zu werden also Dunkelmänner, die uns die Untergangsgefahren an die Wand malen. Der auch nicht mehr so junge TV-Mann ist von dem täglichen Erstickungstod im Autoverkehr entsetzt, und verweist auf die Alternativen. Da ist der lebenssatte Töpfer wieder optimistischer: Der erinnert sich, was man noch Schlachten schlagen musste, um Straßen in der Stadt zur Fußgängerzone zu machen: Die Einzelhändler haben auf den Barrikaden gestanden, weil sie meinten, die Kundschaft würde ihnen wegbleiben. Heute sei es genau umgekehrt. Heute fragen die geradezu ob man aus ihrer Strasse nicht eine Fußgängerzone machen könne.

Aber, es bliebt wahr, wir müssen weg vom Auto, wir müssen zu gesünderen Formen der Mobilität, wir müssen weg von der Kernkraft, wir müssen weg von den Abfallbergen,. Wir müssen zu der Frage von Albert Camus kommen, dass wir eine neue Form von Glück brauchen. Yogeshwar variiert Albert Camus, ohne ihn zu nennen: „Wie viel CO2 braucht ein Mensch zum Glück? Wie viel CO2 muss er ausstoßen um zufrieden zu sein?“

Die Film- und Fernsehmedien betrügen die neuen Milliarden Menschen und halten die Entwicklung zum westlichen Lebensstil für unumkehrbar. Wieder sind die Rollen umgedreht. Der jüngere ist skeptisch. Als er sein Gymnasium in Luxemburg machte, war Europa viel mehr als eine ökonomische Idee, ging weit über einen Finanzausgleich hinaus. Aktuell sind die jungen Menschen nicht zu einer Revolte bereit. Aber er gehe davon aus, dass das nicht so bleiben wird. Jugendarbeitslosigkeit sei ein schwelendes Feuer, das durchaus zu brennen anfangen kann.

Der Sperber am Anfang und am Ende, lebensnah. Das Gespräch fand in Yogeshwars Wohnung statt und ein Sperber flog ihnen an die Scheibe und war verletzt. Die Tochter von Töpfer, Tierärztin, wurde angerufen, dieser verletzte Sperber bringt alle einander näher. “Bei der Suche nach einer Lösung entwickelt sich Zusammengehörigkeit, wir fühlen uns nicht nur dem Tier sondern untereinander verbunden“.

Töpfer steigt nach dem letzten Gespräch in ein Flugzeug nach Japan. Yogeshwar erinnert sich an seinen letzten Langstreckenflug. Ein älterer Herr, nicht Töpfer, saß neben ihm, er konnte seinen Sicherheitsgurt nicht zusammenkriegen, Ranga half ihm. Die Stewardess fragte ihn: „Are You together?“ Der alte Mann musste lachen: „Aren’t we all together?“

Das Buch muss man gelesen haben, um in unserer Zeit mit weniger Konsum, weniger CO2, weniger Luxus, weniger Fliegen und Autofahren weiterzukommen. Es lohnt sich.

Quelle

Rupert Neudeck 2011Grünhelme 2011

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren