Unterwerfung
Zu Michail Houellebeqs Buch „Unterwerfung“ – Ein zwiespältiges Buch. Von Rupert Neudeck
Ja, die Nachbemerkung in dem Buch ist wichtig und nötig. Denn der Universitätsbetrieb in Paris und damit an der Sorbonne im tiefsten Zentrum des zentralistischen Frankreich wird in dem sog. Roman so gut geschildert, dass man sich passagenweise wie in einem gut geschriebenen Sachbuch vorkommt. Aufsehenerregend natürlich der Zeitpunkt, wie vereinbart zum Erscheinungsdatum zogen die drei-vier Verbrecher mit den Kalaschnikoffs am 7. Januar mitten in Paris in die Redaktionsräume des Satiremagazins Charlie Hebdo und ermordeten, säbelten elf Redakteure einfach nieder. Das wirkte, wenn es nicht unmöglich wäre, fast wie P.R. vereinbart. War es natürlich nicht.
Dieser Eindruck des guten Sach-Romans (wenn man das mal so deutsch nennen kann) wird allerdings jäh unterbrochen von langen Passagen, in denen sich der Pariser Skandalautor einer fast pornographisch-erotischen Lust widmet, die eigene sexuelle Libertinage genüsslich ausführlich, ja und auch eben porno-mäßig auskostet. Dazwischen treten dann aber auch die aktuellen und real regierenden Charaktermasken der Zeitgeschichte auf, wie Francois Hollande, Francois Mitterand, Manuel Valls, Angela Merkel, Marine le Pen, Saudi Prinzen ohne Namen, aber leicht zu identifizieren. Auch das Bestiarium der Universitätsbereiche, die alle den philosophischen und philologischen Fakultäten entnommen sind, sind reale Figuren der französischen Geistesgeschichte der letzten 100 Jahre, Charles Peguy, eben jener Huysmans, über den der Autor in seiner Fiktion promoviert oder gar habilitiert gewesen sein möchte, Bloy, Bernanos. Kurz, es marschiert da alles auf.
Die Konstruktion ist natürlich berückend: Sich vorzustellen, die Saudis übernehmen den alten Laden Europa und auch die Sorbonne und haben mit dem ersten muslimischen Präsidenten Ben Abes einen regelrechten Coup gelandet – das hat schon etwas. Und man spürt, es liegt an der Grenze von der Fiktion zur Realität. In den letzten Gesprächen mit ehemaligen Kollegen, nach denen die Hauptperson oder der Autor schon aus der Universität entlassen wurde, erklärt: Die Katholische Kirche sei nicht mehr in der Lage sich dem „Sittenverfall entgegenzustellen. Die Homoehe, der Schwangerschaftsabbruch oder die Frauenarbeit seien unmissverständlich und entschieden abzulehnen.“
Und man kann es nicht mehr übersehen: Nach dem es einen solchen Grad an abscheuerregenden Verwesung erreicht habe, „sei das abendländische Europa nicht mehr fähig, sich selbst zu retten“. So wenig, wie der gebildete Autor hinzufügt, wie das das antike Rom im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung vermocht habe. Der massive Zustrom – und da koinzidiert dann das Buch mit den Wahnvorstellungen der von unbekannter Hand geführten Demonstranten der sog. „Patrioten“ Europas, die vor der „Islamisierung des Abendlandes“ in Deutschland warnen – von Einwanderern werde dem „alten Kontinent die Aussicht auf ein neues goldenes Zeitalter eröffnen“. Und diese Einwanderer seien zum größten Teil Moslems.
Und dann lässt der Autor prophetisch seinen Hauptakteur sprechen, Robert Rediger, der mittlerweile eine Frau Mailak für die Küche hat, und ein junges studentisches Ding von 15 Jahren Acha für alles andere. Rediger beklagt, dass die alte christliche Kultur nach und nach an Boden verloren habe, Kompromisse mit dem Rationalismus geschlossen und verzichtet habe, sich die irdische Macht zu unterwerfen. „Auf diese Weise sei sie einfach zugrunde gegangen. Warum das alles? Das bleibe im Grunde ein Geheimnis. Gott habe es so entschieden“.
Eines muss man dem Autor lassen, wenn ich mal die leise Degoutanz der ausschweifend geschilderten sexuellen Praktiken beiseite lasse: Das Buch ist auf seine Art glänzend geschrieben. Jemand wie der Autor fährt in der Zeit der Muslimischen Präsidentschaft und der Inbesitznahme aller Bildungsinstitutionen des alten Europa durch die Saudis im Thalys von Paris nach Brüssel, um dort noch alte Hinterlassenschaften seines Vergleichsautors Joris-Karl Huysmans zu suchen. „Im Bordrestaurant des Thalys hatte man jetzt die Wahl zwischen einem traditionellen Menü und einem Halal Menü“. Das war die erste Veränderung, die er an Brüssel wahrnahm, einer Stadt, die er am Rande des Bürgerkriegs erlebte. Denn dort war auch die Muslimische Partei Belgiens an die Macht gekommen. In England, Holland und Deutschland gehörten die muslimischen Parteien bereits Regierungs-Koalitionen an, aber Belgien war nach Frankreich das zweite Land, in dem eine muslimische Partei die Macht errungen hatte“.
Das ist den bisherigen Kritikern, die nur auf die politische Botschaft gesetzt haben, entgangen, oder sie finden es beiläufig normal, dass jemand seine Wirkung einfach dadurch steigert, dass er sich stilisiert als jemand, der die Sonntage einfach durchvögelt.
Das Politische des Romans, der auch nur bedingt einer ist, denn er beschreibt auch die vorweggenommene Welt von Tout Paris 2017 ff, ist klug beobachtet. Die Macht der Front Nationale und der Marine le Pen sind nur noch zu brechen mit dem Sieg einer muslimischen Partei, die sich mit den anderen bürgerlichen Parteien verbindet. Der Autor versteht es, die Realität seines Frankreichs durch das Einkaufsverhalten, Koch- und Ernährungsrezepte, aber auch durch die Bespiegelung des Politik-Personals deutlich werden zu lassen. Nur schrammt er dabei an einer Beschreibung des Alltags der real existierenden Politik haarscharf vorbei und erreicht den Roman und die Fiktion nur bedingt. Die Verfolgung oder die gefühlte Verfolgung der Juden beschreibt er sehr realistisch, allerdings muss er dazu natürlich mit einer französischen Jüdin berauschend elektrisierende Erotikabenteuer haben, die er mit Behagen beschreibt.
Die Dramatis Personae der Politik sind echte Führer des politischen Betriebes. Auch die deutsche Bundeskanzlerin kommt vor. Das liest sich dann so. Beim Wahlkampf 2017 ging Marine Le Pen zum Angriff über. Sie wirkte wach und frisch zurechtgemacht und wird vor dem Pariser Rathaus gefilmt, man konnte fast sagen, „sie war hübsch. Nach der Wende von 2017 musste sie gedacht haben, man habe als Frau wie Angela Merkel auszusehen, um an den Gipfel der Macht zu gelangen. Und so machte sie die Ehrwürdigkeit der deutschen Bundeskanzlerin bis hin zu ihrer Frisur und dem Schnitt ihrer Blazer nach“. Aber an diesem Morgen im Mai 2020 versprühte sie nur so den revolutionären Elan. Wenn das Buch nicht dauernd von der Gier des Autors nach Frauenärschen durchschossen und unterbrochen wäre, könnte es durchaus als intelligente politische Satire gelesen werden. Die Übersetzung ist manchmal merkwürdig. So wenn die Übersetzer die katholische Soziallehre und ihre Prinzipien als „Distributismus“ einordnen, was eigentlich auch nach der zitierten Enzyklika von Papst Pius XI nur den Begriff „Subsidiarität“ verdient.
Die Zeit der großen Autoren ist vorbei, sie sind noch Objekt der literaturwissenschaftlichen Forschungen an der Uni, aber sie bilden kein Vorbild mehr, Auch die Zeit der großen Autoren der Nachkriegsautoren wie Albert Camus und Jean Paul Sartre sind vorbei. Der Autor ist gegen Leon Bloy, den Heinrich Böll und die Linkskatholiken so verehrten. „Bloy war die ultimative Waffe gegen das 20. Jahrhundert und seine Mittelmäßigkeit, seine engagierte Dummheit, seinen klebrigen Humanitarismus“ gewesen. „Gegen Camus und Sartre, gegen all die Hanswurste der engagierten Literatur, aber auch gegen diese widerlichen Formalisten, den Nouveau Roman und diesen ganzen folgenlosen Quatsch“. Und dann steigert er sich noch einmal im Hass und der Abneigung gegenüber den viel berühmten und zu Recht bekannteren Autoren. „Gut, jetzt bin ich fünfundzwanzig. Sartre, Camus und alles, was mit dem Nouveau Roman zu tun hat, kann ich immer noch nicht ausstehen.“ Die Katholiken hat er auch in Verdacht, dass man sie nicht mehr brauche.
Das Buch beschreibt – wahrscheinlich gar nicht unrealistisch, wie der saudischen Machtübernahme, exemplarisch dargestellt an den neuen saudischen Besitzern der Festsäle der Sorbonne und der Universität und Bildungseinrichtungen allgemein, kein Widerstand entgegengesetzt wird. Zwar galt die widerstandslose Art, sich unter „die Fuchtel der neuen saudischen Leitung zu begeben, als gewissermaßen schändlicher Akt, sozusagen ein Akt der Kollaboration“, aber es lief. Man war im Kreise der Kollegen unter sich und fast alle konvertierten. Die Kollegen sind nunmehr unter dem islamischen Präsidenten Ben Abbes verheiratet. Ben Abbes hatte als Präsident geschickt mit dem Libanon und Ägypten verhandelt. „Zu Libyen und Syrien, wo Ben Abes seine persönlichen Freundschaften mit den Muslimbrüdern vor Ort wiederbelebt hatte, seien erst Kontakte geknüpft worden“. Der Autor landet noch einen Coup, den man nur für Frankreich und die Frankophonie verstehen wird. Der muslimische Präsident Ben Abbes hatte mit dem EU-Beitritt arabischer Länder das sprachliche Gleichgewicht in der EU zugunsten Frankreichs verschieben können. „Sie werden sehen, es wird einen Richtlinienentwurf geben, der darauf abzielt, das Französische neben dem Englischen zur gleichberechtigten Arbeitssprache der EU-Institutionen zu machen“.
Und die für die säkularisierte Elite europäischer Länder einzig vergnügliche Folge scheint die Vielehe zu sein. Deshalb fragt das Autorenich den neuen Minister: „Wieviel Frauen darf ich haben?“ Die Antwort: Er könne ohne Probleme drei Frauen haben, aber natürlich sei er dazu nicht verpflichtet.
Allerdings gipfelt das so realistische Tableau in Frankreich in einer total unrealistischen Konstruktion. Denn bis heute gibt es in ganz Europa keine muslimische Partei. Aber, so sagt sich vielleicht der Autor und mancher Leser: Was noch nicht ist, kann ja noch werden.
Michel Houellebecq „Unterwerfung“ Roman