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Verdun 1916: Urschlacht des Jahrhunderts

Verdun – und warum der Krieg danach kein Ende fand?  Zu einem Buch über die Urschlacht des 20. Jahrhunderts – Von Rupert Neudeck.

Von heute aus ist das Geschehen um die Urschlacht nicht mehr zu verstehen. Da werden dauernd die Toten, zehntausende von Toten gezählt, auf Grund der Einschlagskraft der Kanonen und weiterer zur damaligen Zeit üblicher Hochrechnungen und Schätzungen. Am 4. März 1916  gibt der General Schmidt von Knobelsdorf preis: Der Aderlass beim Feind betrage 63.000 Mann, will sagen Tote, eine absichtliche Übertreibung. Bis zum 24. Februar 1916 haben die französischen Truppen vor Verdun etwa 24.000 Mann verloren, die deutsche Zahl, wohl genauer, betrage bis zum 29. Februar 25.363 Mann. Das sind Zahlen, die wir von heute nicht mehr im Kopf aushalten. Heute zählt man für über zehn Jahre „Feindkontakt“ 53 Tote, wovon einige auch gar nicht im sog. Feindkontakt waren und das gilt als das Höchste der Gefühle, mehr würde die Welt nicht zulassen. Und dieser Schmidt von Knobelsdorff musste an den Erfolg glauben, wenn er einmal den Erfolg nicht mehr verkünden konnte, wäre alles zu Ende gewesen.

Deshalb erklärt er im Hauptquartier: „Die Welt hat so etwas noch nicht gesehen, und ein Kampf von dieser Größenordnung ist noch nie dagewesen. Und er tröstet sich damit: Die Verluste des Feindes seien noch viel größer „und die können es weniger aushalten wie wir“. Am Maas-Westufer kommen die Schlesier zum Einsatz, viele davon polnisch sprechend-. Es ist kalt im März, einmal schneit es sogar. Auf dem Hügel mit dem Namen Toter Mann (frz. Le Mort Homme!)  liegen sich die beiden Parteien dicht gegenüber. Ein Rekrut berichtet: „Ich bin zum Wild geworden, das der Jäger beobachtet. Ich bin außer Atem… Ein schrecklicher Geruch dringt alsbald zu mir. Ich kauere auf einem Stück Menschen, der halb im Schlamm steckt. Der Stoff der Feldbluse hat die Farbe der Erde und ein paar Einzelheiten der Ausrüstung weisen darauf hin, dass es ein deutscher Soldat ist.  Zwischendurch am 2. März taucht ein Oberst Charles de Gaulle auf im Fort Douaumont. Er soll sogar in einem Schützengraben in deutsche Gefangenschaft geraten sein. Das wurde später absichtlich verunklart, denn in Gefangenschaft zu geraten war gegen die Ehre eines Offiziers. Petain, damals Oberbefehlshaber, hält den Hauptmann de Gaulle für tot.

Das Buch ist auf seine berichtende, Chronistenpflicht ablegende Weise glänzend geschrieben. Nur ganz selten, meldet sich der Autor – Historiker zu Wort, wie am 16. März 1916 aus der Präfektur Mezieres. Als der General Otto von Schjerning, Chef des Sanitätswesens, vermutet, dass der Grund für das „Verbluten“ des Gegners die betonierten Unterstände sind. „Unsere artilleristische Wirkung“ sei viel durchgreifender, weil die „französischen Verschanzungen und Unterstände betoniert“ seien. Die Splitterwirkung führe zu höheren Verletzungen und Todesraten als bei den deutschen Truppen. Da kommt es an dieser Stelle einmal so zum Ausdruck: Diese Antwort zwingt auch den widerstrebenden Historiker auf das Feld des Psychologen. Im großen Hauptquartier sei auch der Wunsch der Vater des Gedankens.

Als z.B. der Kaiser beim Spazierreiten einen Soldaten trifft und ihm erklärt: „Na, bei Verdun haben wir die Franzosen ja zu Tausenden zusammengeschossen“, der Soldat-Hauptmann darauf antwortet: „Eure Majestät, auch unsere Verluste sind schwer“, da verabschiedet der Kaiser den Herrn höchst ungnädig und lässt ihn „fortan völlig unbeachtet“. Es ging eben verteufelt viel um Prestige. Es hätte die Möglichkeit damals bestanden am 22. März das Fort Douaumont aufzugeben und in die Ausgangsstellung zurückzugehen. Das wäre das Eingeständnis einer Niederlage gewesen. Nur ein solcher Rückzug hätte die Verluste schlagartig abmildern können. Der Autor schreibt sehr klar: Vor 150 Jahren im Zeitalter der Vernunft, als militärische Auseinandersetzungen noch Kabinettskriege waren und die Heerführer ohne die Wehrpflicht auskommen konnten, „hätte Friedrich der Große oder Feldmarschall Daun diesen Ausweg sicher gewählt. Bezeichnenderweise redet kein einziger Offizier der Obersten Heeresleitung dieser Möglichkeit auch nur das Wort“. Der Gedanke an ein Scheitern – im Massenheer des Nationalstaats – „undenkbar“. So wurde das alles zu einer Prestigefrage. Es kämpfen im Hauptquartier nicht Klugheit gegen Unvernunft. Nach der Rückkehr vom Rathaus und Hauptquartier wirkte es eher so, „als stritten zwei Blinde über die bessere Aussicht: Weitermachen, das „Gesicht“ wahren oder zurückgehen und es verlieren. Drei Kilometer vorankämpfen, um nicht acht Kilometer zurückzuweichen, das sei mittlerweile der Hauptgrund der Deutschen Strategen für die Schlacht bei Verdun. Dabei sind überall intelligente, nicht selten humanistisch gebildete Menschen am Werk. Die nationale Idee und Verblödung überlagert das nüchtern-operative Denken.

Das Buch versucht einen Eindruck von einer unendlichen Schlacht durch Ausweichen in immer neue Details zu gewinnen. Über den Feldern vor Verdun, deren einzelne Parteien dem Leser schaurige Gewissheiten vermitteln, liegt Verwesungsgestank. Weht der Wind aus ungünstiger Richtung, so schlägt den Soldaten ein süßlich beißender Geruch entgegen. Der Verdun-Soldat und Schriftsteller Paul Ettighofer behauptet: Dass man die Erinnerung an den Geruch nie los würde. Ich will das für den Völkermord in Ruanda bestätigen. Ich kam etwa 14 Tage nach Beginn am 6. April 1994 in Ruanda über die Grenze von Uganda dort an. Nie werde ich den Leichengeruch vergessen können, der über der Landschaft lag.

Es sind zwei neue-alte Vernichtungs-Techniken, die zum Einsatz kommen. Einmal das Giftgas, zum anderen der Beginn von so etwas wie Luftwaffe. Am 8. Mai 1916 geschieht das Unfassbare. Französische Armee hat in das scheinbar uneinnehmbare Fort Douaumont einen Gasangriff gestartet, kurz nach 3 Uhr nachts. Die deutschen Soldaten greifen in Panik nach der ersten Schutzmaske. Doch weil diese Schutzmasken und ihre Träger angepasst sind, herrscht größte Verwirrung. Eine weißliche Gaswolke dringt in die Räume. Eine Tür wird geschlossen, man versucht die Ritzen mit Wolldecken und Zeltbahnen zu verstopfen, vergeblich. Immer noch strömt Gas ein. „Endlich öffnen einige die Tür, sie wollen irgendwie ins Freie flüchten. Sofort schlägt ihnen eine ‚glühendheiße Welle‘ entgegen. Die Männer prallen zurück.“ Der diensthabende Militärarzt Dr. Hanauer hat kurz hintereinander drei Detonationen gehört. Er wird von einem gewaltigen Luftdruck gegen die Wand geworfen. Der Arzt hört schreckliches Wimmern und Stöhnen, geht in den Lazarettraum, öffnet sämtliche Sauerstoffflaschen und lässt den Ventilator in Gang setzen. Überall findet er Leichen mit völlig zerschmetterten Gliedern gegeneinander gepresst und hoch aufgetürmt. Der Arzt schätzt die Zahl der Leichen im Fort Douaumont auf achthundert. Trotz dieser Angriffe und des Fehlens von Reservearmeen und Divisionen, die bei der Ost-Offensive und der österreichischen in Oberitalien gebunden sind, bleibt der Oberbefehlshaber Falkenhayn dabei, die Offensive fortzusetzen.

Es gibt in der Luft während der Verdun Schlacht Fesselballons, die zur Wetter- und Feindbeobachtung aufgestellt sind, Doppeldecker auf deutscher Seite und französische Jagdflugzeuge vom Typ Nieuport 11. Es handelt sich um die erste große Luftoperation der Militärgeschichte. Falkenhayn hat ein Fünftel der sog. Luftstreitmacht für Verdun zusammenziehen lassen: 168 Flugzeuge, die sich im Laufe der Schlacht noch auf 244 erhöhen. Im Februar 1916 beherrschten die Fokker-Kampfeindecker noch den Luftraum. In diesem Einsitzer konnte der Pilot noch durch den Propellerkreis schießen, den Gegner also noch im Auge behalten. Aber es kamen die französischen Nieuport-Maschinen, die der Fokker an Wendigkeit und Schnelligkeit klar überlegen waren. „Kein Zweifel: das Wettrüsten stieß in neue Dimensionen vor“. Oswald Boelcke wird der erste Pionier auf deutscher Seite, auf französischer sind es Rene Dorme und Jean Navarro. Eine schöne Begebenheit hat Platz in diesem Buch: Boelcke ist als Pfarrsohn das Töten zuwider. Wenn möglich, zielt er auf den Motor seines Gegners, nicht auf den Flugzeugführer. Für seinen Schüler galt das nicht mehr, der am Himmel über Verdun noch ein Lehrling ist: Manfred Freiherr von Richthofen. Der Heldenkult um die „Ritter der Lüfte“ wirkt nach, auch, weil der Einzelne in der Materialschlacht keine Rolle mehr hat. Der Autor zitiert Stefan George: „Der alte Gott der Schlachten ist nicht mehr!“

Die Schlacht wurde mit der Ausblutungs-Theorie gekämpft. Die französischen Verdun Verluste sollten sich nach der Schätzung des Generalstabs auf 525.000 Mann belaufen. Das Auswärtige Amt meldet sogar dem Kanzler: 800.000 Mann. „Phantasiezahlen wie nie zuvor, ersonnen in einem Wettbewerb unsinniger Überbietung.“

Am Ende ist es eine schreckliche Gewissheit, das Anrennen von Verdun hat nichts gebracht. Schlimmer, die Schlacht erst ebnete dem Gespann Hindenburg – Ludendorff die freie Bahn für etwas, was für alles Folgende verantwortlich war, besonders für die Dolchstoßlegende gegenüber allen zivilen Institutionen und Instanzen. Das mündete dann sogar in eine Art mythischer Militärdiktatur, bei der die Heerführer einfach desertieren und verduften konnten und merkwürdigerweise bei dem deutschen Volk den Mythos des Retters nicht verloren. „In Deutschland erstarkte Ober-Ost“. Die verlorene Größtschlacht bereitete den Weg für den warnungslosen U-Boot-Krieg. Am 10. Januar 1917 gaben der Kaiser und sein Reichskanzler bei einer Besprechung auf dem Schloss Pleß ihren Widerstand auf. Am 1. Februar 1917 erklärte Deutschland den „warnungslosen“ U-Boot-Krieg. Am 6. April erklärten die USDA den Mittelmächten den Krieg.

Fast prophetisch schreibt der Autor: Zwei Weltkriege haben das 20. Jahrhundert in ein amerikanisches verwandelt, am Anfang dieser Kette standen die Auswirkungen der Schlacht bei Verdun auf die Führungs-Mechanik des Deutschen Reiches.“ Das dritte Ergebnis der Urschlacht der Neuzeit: Es ergab sich eine „Enthegung des Krieges,“ eine fortschreitende, bis heute nicht beendete Brutalisierung: Der Einsatz von Grünkreuz, die Scheinverbindung zwischen Schlacht und U-Boot –Waffe, das neue Wettrüsten am Himmel, die sich steigernde Menge und Größe beider Artillerien. Noch furchtbarer die Gewissheit, dass selbst die Megatonnen von verscharrten Leichen von Soldaten aus beiden und mehr Nationen und die Totalisierung des Krieges nicht etwa zum Sieg der Pazifistischen Fraktionen, sondern zu immer mehr Krieg, Rüstung, Tötungshekatomben geführt hat.

Das Schlachtfeld war so verseucht nach dem Kriegsende, dass man eine Sperrzone einrichten musste. Neun Dörfer wurden nie wieder aufgebaut. Sie erhielten das Prädikat „Gefallen für Frankreich!“ Erst 1984 ergriff Francois Mitterand als Präsident aller Franzosen  vor dem Beinhaus der mehr als 130.000 Gefallenen von Douaumont die Hand des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Der Vater von Helmut Kohl hatte vor Verdun gekämpft. Wie zum kleinen Trost wehen heute über dem Douaumont drei Flaggen: die deutsche, die französische und die Europafahne.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014

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