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Wie Deutschland sich mit dem Klimawandel verändern wird

„Jedes Zehntelgrad zählt“, sagen Wissenschaftler mit Blick auf die Erderhitzung. Das gilt auch für Deutschland. Die Autoren Nick Reimer und Toralf Staud zeigen in ihrem gerade erschienenen Buch auf, mit welchen Folgen hierzulande zu rechnen ist.

Deutschland ist in den letzten 240 Jahren 1,6 Grad wärmer geworden. In den nächsten 30 Jahren kommen weitere 0,4 Grad dazu – mindestens und unabhängig davon, wie sehr die Menschheit die Treibhausgasemissionen bis dann senkt.

Wer heute jünger als 50 ist, wird das also wahrscheinlich noch erleben. Doch was heißt das für unseren Alltag? Das beantwortet ein neues Buch: „Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“.

Geschrieben haben es zwei erfahrene Klimajournalisten, Toralf Staud und Nick Reimer. Auf knapp 350 Seiten zeigen sie, was zwei Grad Erwärmung für Stadt und Land, die Wirtschaft, den Verkehr und vor allem für uns Menschen bedeuten. „Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

Das Hauptproblem ist zunehmende Hitze. Der menschliche Körper ist gut darin, seine Temperatur nach oben zu regulieren, weniger gut nach unten. Hitzewellen sind deshalb das Extremwetterereignis mit den meisten Todesopfern. „Je wärmer es wird, desto mehr Tote wird es geben“, warnt das Deutsche Ärzteblatt.

Eine weitere Gefahr sind tropische Krankheiten: Wenn es wärmer wird, kommen Moskitos nach Deutschland, die Chikungunya-, Dengue- oder Gelbfieber verbreiten.

Hitze ist aber auch in vielen anderen Bereichen ein Problem. Ab 55 Grad wird der Asphalt weich. Eisenbahnschienen können sich verbiegen. Bei Hitze nimmt die Produktivität ab, ein Problem für die Wirtschaft. Eine mögliche Lösung wäre hier die Verschiebung der Arbeitszeiten: Arbeitsbeginn bei Sonnenaufgang.

Hitze, Wassermangel, Brände, aber auch Sturm, Starkregen, Flut
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Das zweitgrößte Problem sind Dürren im Sommer. Übers Jahr wird zwar etwas mehr Regen fallen, doch meist im Winter. Einen Vorgeschmack haben die Dürresommer 2017 bis 2020 geliefert.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat schon in den 1990er Jahren durchgerechnet, was die Erwärmung für Deutschland bedeutet, und festgestellt: „Die Simulationsergebnisse zeigen einen Trend zur Steppe.“

Besonders die Wälder sind gefährdet. Sie leiden gleich unter drei Stressfaktoren: Hitze, Wassermangel und Schädlinge wie der Borkenkäfer, die sich bei höheren Temperaturen schneller vermehren.

Dürren sind aber auch für die Binnenschifffahrt ein Problem. Im Jahr 2018 war der Wasserstand im Rhein so niedrig, dass ein Stahlwerk von Thyssen-Krupp in Duisburg, die BASF-Chemiefabrik in Ludwigshafen und eine Shell-Raffinerie in Köln zeitweise heruntergefahren werden mussten, weil sie nicht genügend Rohstoffe hatten. Im Süden und Westen Deutschlands stiegen daraufhin die Benzinpreise.

Aber auch Überschwemmungen und Stürme werden zunehmen. Warme Luft kann mehr Wasser aufnehmen und es kommt öfter zu Starkregen. Auch Stürme werden stärker, sowohl über Land als auch über dem Meer.

Hinzu kommt, dass der Meeresspiegel steigt, insbesondere in der Nordsee. Der Pegel in Cuxhaven liegt heute um 40 Zentimeter höher als im Jahr 1843 und in den nächsten 30 Jahren kommen nochmal zehn Zentimeter dazu. Ein immer größeres Problem werden außerdem Waldbrände sein.

All das stellt die Feuerwehren und die Einheiten des Technischen Hilfswerks vor immer größere Herausforderungen. Hinzu kommt, dass diese Kräfte oft aus Freiwilligen bestehen und von Kommunen getragen werden, die unter Finanznot leiden. „Die bisherigen Strukturen von Rettungsdiensten werden immer stärker an ihre Grenzen stoßen“, schreiben Reimer und Staud.

Erfahrungswissen, das nichts mehr wert ist

Das gilt auch für vieles andere, etwa für Baunormen. Wer wissen will, wie sich Berlin im Jahr 2050 anfühlt, kann ins südfranzösische Toulouse fahren. Und für München ist die „Partnerstadt“ Mailand. Doch diese Städte haben sich über Jahrhunderte mit ihrem jetzigen Klima entwickelt. Berlin und München wurden für ein anderes Klima gebaut

„Klimawandel bedeutet eine radikale Entwertung des Erfahrungswissens“, so die Autoren. „Tausende Regeln im Handwerk und im Ingenieurwesen sind geschrieben für die Temperaturen, Stürme und Niederschläge der Vergangenheit.“

Ähnliches gilt für Optimierungsprozesse in der Wirtschaft. Wenn etwa Flüsse immer öfter Niedrigwasser haben, braucht man kleinere Schiffe mit weniger Tiefgang, auch wenn das höhere Kosten verursacht.

Trotzdem ist Deutschland vergleichsweise gut vorbereitet. Das zeigen nicht zuletzt die vielen Studien und Experten, die Staud und Reimer zitieren. Die größten Auswirkungen auf den Alltag im Deutschland des Jahres 2050 dürften deshalb Folgen der Klimaerwärmung in fernen Ländern sein, die Deutschland indirekt betreffen.

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Zum einen wird der Migrationsdruck zunehmen. Heute herrscht auf 0,8 Prozent der Erde eine Durchschnittstemperatur von 29 Grad oder mehr. Im Jahr 2070 wird das für rund 19 Prozent gelten. Ein „nahezu unbewohnbarer“ Gürtel zieht sich dann auf Höhe der Tropen um die Welt, von Afrika bis Thailand – die Heimat von 3,5 Milliarden Menschen.

Zum anderen steigt die Gefahr von Hungersnöten. Wenn sich der Jetstream abschwächt, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es in mehreren Anbaugebieten für Mais, Reis, Soja und Weizen gleichzeitig zu Extremhitze kommt.

Ein Beratungsgremium der Bundesregierung warnte schon 2007, der Klimawandel werde „bereits in den kommenden Jahrzehnten die Anpassungsfähigkeit vieler Gesellschaften überfordern“.

Der damalige Hauptautor der Studie und heutige Chef des Umweltbundesamts, Dirk Messner, warnt im Buch: „Die indirekten Folgen des Klimawandels können für uns gefährlicher sein als alles, was wir hierzulande an Veränderungen bewältigen müssen.“

Quelle

Der Buchbesprechung wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Christian Mihatsch) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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