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Wie viel ist Genug?

Wann werden wir GENUG haben? Zu einer Studie über den Wachstumswahn und das gute Leben. Von Rupert Neudeck

Wann kommt die Unersättlichkeit durch wachsenden Wohlstand der Weltbevölkerung an ein Ende? Werden wir mit unseren Begierden und Bedürfnissen irgendwann einmal genug haben? Wird die Habgier abnehmen und nur noch durch Eigen-Interessen verdeckt und ersetzt sein? Kann man Reichtum haben und gleichzeitig Tugend?

Das sind alles hochwichtige Fragen, die sich auf dem Niveau des beginnenden 21. Jahrhunderts nicht mehr nur im Beichtspiegel oder in der Moraltheologie stellen, sondern auch im politischen Leben, da wir erkennen, wir sollten zu einem guten Leben kommen, das eine vernünftige Antwort gibt auf die Buchtitelfrage: „Wie viel ist genug?“

Das Buch ist gebildet und reflektiert. Es setzt ein mit dem Aufsatz über die „Wirtschaftlichen Möglichkeiten“ des Ökonomie-Papstes Keynes von 1930 und fragt sich, warum es mit der Unersättlichkeit fröhlich so weiter geht. Die primäre soziologische Erklärung für Unersättlichkeit sei auf die relative Natur unserer Bedürfnisse ausgerichtet. Unabhängig vom absoluten Niveau meines materiellen Wohlstands werde ich keine Befriedigung empfunden, weil unweigerlich jemand anders mehr haben wird als ich. Und wenn sich der Wettstreit um Reichtum – und als solcher spielt sich der gesellschaftliche Streit und Streik ja ab – erst einmal in einen Statuswettbewerb verwandelt habe, dann – so die Autoren des Buches – haben wir es mit einem Nullsummenspiel zu tun, da per definitionem nicht alle den höchsten Status erringen können.

Die Autoren führen weit in die Schächte der europäischen Geistesgeschichte, die ja nun gefährlich genug war für ein ganzes oder ein knappes Jahrhundert die Welt in zwei Hälften zu teilen. Sie sind nicht nur als Vater und Sohn verbunden, sondern ergänzen sich auf das beste. Vater Robert Skidelsky ist Professor für Ökonomie, sein Sohn Edward lehrt Philosophie an der Uni Exeter. Beide sind berufen, die Jahrhundertfrage zu stellen: wie gehen wir mit der Umwelt so um, dass das Glück der jetzt lebenden wie der nach uns kommenden Generationen nicht ‚nachhaltig’ geschmälert wird?

Karl Marx kommt wieder unter den Ökonomen zur Geltung, nachdem er als Ideologe abgehalftert ist. In dem zweiten der großen Kapitel geht es um den „faustischen Handel“ und in einem Unterkapitel wird die Frage nach der ausgebliebenen Apokalypse des Karl Marx gestellt. Marx Kapitalismuskritik sei sehr moralisch und theologisch begründet gewesen. Wie an vielen Stellen bemühen die Autoren die alte römisch-katholische Formel der Felix Culpa, der glücklichen Sünde. Als die auch der Kapitalismus sich für Karl Marx entpuppte, der ja ein Instrument zur Befreiung der Menschen aus der Armut wurde. In einem Artikel von 1853 pries Karl Marx die britische Herrschaft in Indien dafür, eine stagnierende Gesellschaft in Bewegung gebracht zu haben.

„Welche Verbrechen es auch begangen haben mag, so war England doch das unbewusste Werkzeug der Geschichte“. Marx gilt den Autoren als der letzte Scholastiker. Das nächste Kapitel geht über den Nutzen von Reichtum und geht weit zurück in die Grundlagen der politischen Philosophie von Aristoteles. Dann geht es um das Wunder des Glücks, das sich rankt um die Rätselauflösung des Aristoteles aus der Nikomachischen Ethik: Es wäre ja unverständlich, dass das Endziel ein Spiel und das ganze Leben ein Arbeiten und Ertragen von Härten sein soll – um des Spieles willen“.

Dann kommen die Autoren zu dem entscheidenden Kapitel für die Fragen der Genügsamkeit, der Parsimonia: Gibt es natürliche oder moralische Grenzen des Wachstums? Und gehen zum Schluss in die alte scholastische Begriffsmühle und begutachten, was zu einem guten Leben gehört.

Es sind sehr ausgeruhte, gründliche Nachdenk-Überlegungen über unser gesellschaftliches Bewusstsein, über das Glück, den Wohlstand, Spaß und Lust und wie schwierig es ist, das alles durch Messungen wissenschaftlich in den Griff zu bekommen. Ein ganzes Kapitel widmen die Autoren den Messproblemen. Ergibt sich Glück nach dem Einkommensniveau oder gilt der Grundsatz von Jean-Jacques Rousseau, dass es nicht Geld allein ist, das glücklich macht?

Die Menschen legen bei der Beurteilung ihres relativen Wohlstandes einen nationalen, keinen globalen Maßstab an. Sonst würden Menschen in Ländern mit mittleren Einkommen immer unter denen mit hohen Einkommen rangieren. Die Autoren verweisen auf die Relativität dieser Ergebnisse. Die ostdeutschen Arbeitnehmer würden sich nach der Wiedervereinigung weniger glücklich fühlen als vorher, obwohl ihre Reallöhne stiegen.

„Vermutlich begannen sie, sich mit ihren neuen, sehr viel reicheren Landsleuten zu vergleichen“. Aber die Messungen haben eine Grenze. Der Versuch, eine „nationale Gesamtrechnung des Wohlbefindens“ zu erstellen als Konkurrenz zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, sei ein „sinnloses Unterfangen.“

Sie messen ja nicht Glück an sich, sondern nur, was die Menschen über ihr Glück sagen. Es gibt keinen Hedonimeter, an dem man gut oder schlecht mit seinem Glück abschneiden kann. Vom Wachstumsstreben zum Streben nach Glück überzugehen, hat nur den Sinn, ein „falsches Ideal durch ein anderes zu ersetzen. Wir sollten Gründe haben zum Glücklichsein: wegen der Gesundheit, des Respektes, der Muße. Ohne solche Dinge glücklich zu sein, bedeutet, einem Trugbild oder – marxistisch gesagt – einer Ideologie zu erliegen. Das Paradies und der Schnaps waren früher (und heute?) gute Mittel, die Gedrückten mit ihrem Los zufrieden zu machen.

Im Kapitel über die Grenzen des Wachstums sind die beiden Autoren vernünftig, denn sie kommen aus verschiedenen Fakultäten. Sie erwähnen das Bevölkerungsgesetz von Thomas Malthus, aber auch den Bestseller von 1972 „Die Grenzen des Wachstums“, der am Ende des 20. Jahrhunderts mit Engpässen bei Getreide, Öl, Gas, Kupfer, Aluminium und Gold rechnete und ein Katastrophenszenario an die Wand malte. Durch die grüne Revolution und die Steigerung der Hektarerträge an Getreide wurden Hungersnöte abgewehrt.

Die Autoren machen einige radikale Klimaschützer (wahrlich nicht die Mehrzahl) als neue Bußprediger aus vom Schlag des Oliver Cromwell und des Girolamo Savonarola. „Aus einem großen Teil der ökologischen Literatur spricht die Liebe zum Büßergewand“. Die Autoren liegen auf der Linie eines vernünftigen Lebens mit den Ressourcen der Natur und der Menschheitsgesellschaften ohne die Leidenschaft zum Verzicht. Manche Adepten und Pilgerväter der Umweltgruppen haben keinen guten Leumund.

Ludwig Klages schrieb 1913, der Fortschritt gehe auf „Vernichtung des Lebens“ aus. „Er rodet Wälder, streicht die Tiergeschlechter, löscht die ursprünglichen Völker aus, überklebt und verunstaltet mit der Firnis der Gewerblichkeit die Landschaft und entwürdigt was er vom Lebewesen überlässt gleich dem Schlachtvieh zur bloßen Ware.“ Klages – so schreiben die Autoren –war Antisemit, Heidegger ein unbelehrbarer Nazi. Beide sind inoffizielle Vordenker der modernen grünen Bewegung. Adorno und Horkheimer überarbeiteten ihre Ideen, Adornos Kollege Herbert Marcuse exportierte sie nach Amerika.“.

Nicht so überzeugend wirkt das Kapitel über die Basisgüter, die zu einem „guten Leben“ gehören. Wichtig ist das Neuaufkommen des Lebensziels eines guten Lebens.

An erster Stelle steht die Gesundheit als „vollständige Funktionsfähigkeit des Körpers“. Dabei gibt es das neue Ideal der Fixierung auf Langlebigkeit, das oft wie das alte mythische Alchemistenversprechen der ewigen Jugend gilt. Die alte klare Trennung von „Heilen des Kranken“ und „Verbessern von Gesunden“ sei geschwunden.

Das zweite Basisgut sei die Sicherheit. Obwohl ich mir an Stelle von Sicherheit den Frieden wünschen würde. Das dritte der Respekt. Das vierte Gut, das die beiden Autoren ausmachen für Gegenwart und Zukunft erscheint uns sehr westlich bestimmt: Die Persönlichkeit. Dann kommt als fünftes wichtiges Lebenselixier: Die Harmonie mit der Natur. Das wird oft verstanden als die Abwendung von der Stadtkultur hin zum Leben auf dem freien Lande. Das sechste Basisgut nennen die Autoren Freundschaft, philia. Als siebtes Gut wird überraschenderweise im Einklang mit dem Scholastiker Josef Pieper – die Muße genannt.

Sie behandeln diese Güter auch aktuell mit Bezug auf die Schwierigkeit, sie durchzuführen.  Ein wichtiges Buch, das uns deutlich macht, wie Wissenschaft und Kunst nicht alles sind, wie wir Lebenssinn, Philosophie, ja manchmal sogar Theologie und Religion wieder gebrauchen können.

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

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