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Die Arktis – Frühwarnsystem für den Klimawandel

Die Erde erwärmt sich durch den anthropogenen Ausstoß von Treibhausgasen, allen voran Kohlendioxid. So war das Jahrzehnt 2000-2009 die bisher wärmste Dekade seit dem Beginn der instrumentellen Messungen 1850. Die Arktis ist in vielerlei Hinsicht eine Art Frühwarnsystem für den globalen Klimawandel. Die Nordpolarregion ist beispielsweise die Gegend auf der Erde, die sich während der letzten Jahrzehnte am schnellsten erwärmt hat. Die Folgen sind unübersehbar. So hat sich das als Packeis bekannte arktische Meereis außergewöhnlich schnell zurückgezogen. Ein Gastkommentar von Mojib Latif

Besonders dramatisch ist die Entwicklung im September, dem Monat mit der geringsten Eisausdehnung während eines Jahres. Zum Ende des arktischen Sommers 2010 hatte sich die Meereisfläche im Septembermittelwert auf etwa 4,6 Millionen Quadratkilometer verringert. Im Mittel der vergangenen vierzig Jahre hatte das Eis im September eine Fläche von 6,7 Millionen Quadratkilometern bedeckt; 1980 beispielsweise lag die Ausdehnung noch bei 7,8 Millionen Quadratkilometern.

Die Entwicklung dieses Jahres ist ebenfalls besorgniserregend. Der Juli 2011 wies die bisher geringste Eisbedeckung auf, die jemals in einem Juli gemessen worden ist (siehe die Abbildung, Quelle: NSIDC, USA). Nun darf man zwar wegen der großen internen Schwankungsbreite des Klimas einzelne Jahre nicht überbewerten, der Trend über die letzten Jahrzehnte zeigt aber klar nach unten (blaue Kurve) und spricht für sich.

Dabei verringert sich das Meereis sogar sehr viel schneller als im Mittel der Klimamodelle. Die Gründe hierfür sind derzeit unklar. Wir durchlaufen z. Zt. eine Phase einer relativ starken Golfstromzirkulation.  Damit hat sich auch der Transport von Wärme in die Arktis erhöht. Dies könnte zusammen mit der anthropogenen Erwärmung (Anthropogener Treibhauseffekt) zu dem extremen Eisrückgang der vergangenen Jahre geführt haben.

Die Modelle simulieren jedoch ein breites Spektrum von internen Schwankungen, sodass zumindest einzelne Simulationen ein ähnliches Verhalten hätten zeigen müssen. Es ist also eher unwahrscheinlich, dass eine natürliche Klimaschwankung für die Diskrepanz zwischen den Modellen und der Wirklichkeit verantwortlich ist.

Ein anderer Grund könnte daher sein, dass das Meereis in den Modellen weniger stark auf eine Erwärmung reagiert als in der realen Welt. Eisprozesse, auf Land und im Meer, sind sehr komplex und nicht gut verstanden. Hier herrscht noch ein großer Forschungsbedarf. Unliebsame Überraschungen sind deswegen nicht ausgeschlossen. So wie beim antarktischen Ozonloch, das niemand vorhergesagt hatte, obwohl die ozonzerstörerische Wirkung der FCKWs schon lange bekannt war.

Hat das arktische Meereis also vielleicht einen Kipppunkt erreicht?

Ein Kippelement ist eine Komponente des Erdsystems, die einen Schwellenwert aufweist, ein kritischer Punkt, an dem das System besonders empfindlich auf Störungen reagiert. Dort kann eine kleine Ursache eine große Wirkung entfalten und zu einer einschneidenden Veränderung des Systemverhaltens führen. Wenn das Arktis-Eis bereits einen Kipppunkt erreicht hätte, wäre es denkbar, dass eine Erholung des Eises für längere Zeit ausgeschlossen ist, selbst wenn die weltweiten Treibhausgasemissionen schnell sinken würden. Das wäre der irreversible, der unumkehrbare, Fall.

Ein Kippelement muss aber nicht notwendigerweise die Irreversibilität beinhalten. Bezogen auf das arktische Meereis ist es in der Tat plausibel, dass der Eisverlust reversibel sein könnte. Zum einen, weil während der Polarnacht wieder ein Eiswachstum erfolgt und zum anderen, weil dünnes Eis schneller wächst als dickes.

Wie sieht die längerfristige Entwicklung bei weiter steigenden Treibhausgaskonzentrationen aus?

Für das Ende dieses Jahrhunderts simuliert eine Reihe von Modellen selbst unter der Annahme eines moderaten Szenariums für die zukünftige Entwicklung der Treibhausgase eine fast eisfreie Arktis im Sommer, wobei einige wenige Modelle den kompletten Meereisverlust schon für die Mitte des Jahrhunderts berechnen, oder noch früher, wenn sie mit den gegenwärtigen niedrigen Eiswerten gestartet werden. Wir müssen also langfristig von einer meereisfreien Arktis im Sommer ausgehen, sollten die Treibhausgasemissionen während der nächsten Jahrzehnte nicht deutlich sinken. Im Winter liegen die Verhältnisse natürlich anders.

Schmilzt das Meereis, steigt der Meeresspiegel nicht. Das ist nur der Fall, wenn Landeis taut. Und das passiert überall auf der Erde.

Die Gebirgsgletscher beispielsweise ziehen sich allerorts zurück, egal ob in Spitzbergen, den Alpen oder den Anden. Besonders wichtig für den Meeresspiegel werden jedoch die kontinentalen Eisschilde sein. Auch hier wird die Arktis ihrer Rolle als Frühwarnsystem für den Klimawandel leider gerecht. Grönland besitzt einen kilometerdicken Eispanzer. Ein kompletter Verlust des grönländischen Eisschilds würde langfristig den Meeresspiegel um ca. 7 Meter im weltweiten Durchschnitt steigen lassen.

Und das Grönlandeis schmilzt immer schneller. Trägt damit bereits heute zum Steigen des Meeresspiegels bei. Die Rate beträgt im Moment 3 Millimeter pro Jahr und der Rückgang des Grönlandeises trägt neben der Wärmeausdehnung des Meerwassers erheblich dazu bei. Seit 2001 hat sich die Eismasse Grönlands um sage und schreibe 1.500 Milliarden Tonnen verringert, deutlich mehr als die des antarktischen Eisschilds mit „nur“ 1.000 Milliarden Tonnen. Grönland ist jedoch die große Unbekannte hinsichtlich des Meeresspiegelanstiegs während der kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte.

Sollte sich das Grönlandeis wie im letzten Jahrzehnt immer schneller zurückziehen, müssten wir mit einem Anstieg von möglicherweise mehr als einem Meter bis zum Ende des Jahrhunderts rechnen.

In jüngerer Zeit rückt ein neues Umweltproblem in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses: Die Meeresversauerung.

Und auch hinsichtlich dieses Aspekts agiert die Arktis als Frühwarnsystem. Das durch den Menschen ausgestoßene Kohlendioxid verursacht nicht nur die globale Erwärmung sondern auch die Meeresversauerung. Das Meer nimmt  nämlich anthropogenes Kohlendioxid in großen Mengen auf. Die marine Kohlendioxidaufnahme führt unweigerlich zur Meeresversauerung. Diese ist in allen Meeresgebieten messbar, am stärksten aber in der Arktis.

Der Grund liegt darin, dass kaltes Wasser Kohlendioxid besser löst als warmes. Die Auswirkungen einer ungebremsten Meeresversauerung auf die Ökosysteme können verheerend sein. Viele Meeresbewohner bilden aus Kalk bestehende Schalen, Skelette oder Gehäuse. Eine zu starke Versauerung würde das erschweren, möglicherweise unmöglich machen. Langfristig droht damit sogar eine massive Beeinträchtigung der Nahrungsquelle Meer.

Die Auswirkungen des globalen Klimawandels treten in der Arktis am deutlichsten hervor. Wir können die Warnsignale nicht länger ignorieren.

Der Menschheit ist es bisher nicht gelungen, trotz aller Warnsignale den Anstieg der weltweiten Treibhausgaskonzentrationen zu verlangsamen, oder gar zu senken. Damit haben wir wichtige Zeit verloren. Je später wir mit der Reduktion der Treibhausgase beginnen umso schneller müssten wir den Ausstoß senken, um ein bestimmtes Klimaschutzziel zu erreichen.

Größere weltwirtschaftliche Probleme wären programmiert, wenn wir mit der Senkung der Emissionen zu lange warten. Die erneuerbaren Energien bieten einen Ausweg, nicht nur weil sie die das Klima schützen sondern auch, weil sie ökonomisch vernünftig sind. Und sie würden es auch ermöglichen, die Arktis vor zu viel Ausbeutung zu schützen. Dort lagern noch recht große Vorkommen an fossilen Brennstoffen.

Der Schutz der Arktis sollte uns allen am Herzen liegen.

Quelle

Prof. Dr. Mojib Latif 2011Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel

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