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Die Mär vom „Dämmwahn“

Eine Debatte zum Thema Wärmedämmung zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsche Medienlandschaft – behaftet mit vielen Vorurteilen und scheinbar kritischen Argumenten. Verbraucher sollten sich nicht verunsichern lassen – Dämmen ist sinnvoll. Und die Klimaschutzziele sind nur mit umfangreichen Dämmaßnahmen auch im privaten Bereich erreichbar.

ARD-Verbrauchermagazine, der Spiegel, die Zeit – zahlreiche Medien platzieren seit Jahren immer wieder dieselben Argumente gegen Wärmedämmung. Der Tenor: Dämmen lohne sich nicht wirklich, moderne Dämmstoffe seien gefährlich und umweltschädlich.

Wer genauer hinschaut, entdeckt unausgewogene Berichterstattung, zweifelhafte journalistische Qualität und zum Teil schlichte Panikmache. Was steckt wirklich hinter den kritischen Argumenten der Dämm-Kritiker?

„Die durch Dämmaßnahmen versprochenen Einsparungen werden meist nicht eingehalten.“

Das ARD-Magazin Plusminus stellte Ende vergangenen Jahres die Wärmedämmung generell in Frage. Als Hauptquelle diente eine Untersuchung der Beratungsgesellschaft co2online, die angeblich für Plusminus bei mehr als 20.000 Ein- und Zweifamilienhäusern die Heizkosten vor und nach Sanierungen verglichen hatte.

Mit vernichtendem Ergebnis: Statt der versprochenen 85 Prozent habe es im Schnitt nur 15 Prozent Einsparungen gegeben, die Investitionen hätten sich erst nach 30 Jahren gerechnet.

Fragt man bei co2online nach, findet man heraus, dass die Zahlen gar nicht eigens für Plusminus erhoben wurden und auch keine Vorher-Nachher-Berechnung darstellen. Sie stammen vielmehr aus einer Analyse über die Wirkung einzelner Modernisierungsmaßnahmen im Querschnittsvergleich sanierter und unsanierter Gebäude.

Dazu Katy Jahnke, Leiterin Research bei co2online: „Einsparversprechen von bis zu 85 Prozent, z.B. bei einer Fassadendämmung, sind eher unrealistisch, liegen die Wärmeverluste durch die Außenwände eines Gebäudes doch nur bei durchschnittlich 20-30 Prozent. Die Interpretation der Einsparversprechen sollte daher genau sein, denn diese beziehen sich häufig auf die Reduzierung der Wärmeverluste eines Bauteils, jedoch nicht auf die Reduzierung des gesamten Heizenergieverbrauchs eines Gebäudes.“

Die ermittelten 15 Prozent in der untersuchten Stichprobe zeigten lediglich, dass das technisch mögliche Einsparpotenzial in den vorliegenden Fällen nicht voll ausgeschöpft wurde. Dies könne jedoch vielfältige, unter anderem auch bauliche und verhaltensspezifische Gründe haben.

Die Wirkung und Relevanz von Dämmmaßnahmen stellt sie keinesfalls in Frage: „Wärmedämmung ist auf alle Fälle sinnvoll. Als Bauherr und Hausbesitzer muss man eben darauf achten, dass die Ausführung qualitativ gut ist.“ Jahnke wünscht sich vielmehr verlässliche Rahmenbedingungen, um bei der flächendeckenden Sanierung entscheidend weiter zu kommen: „Wir brauchen eine verlässliche Förderpolitik, die der derzeitigen Verunsicherung bei Hausbesitzern ein Ende setzt.“

„Moderne Dämmsysteme sind Brandbeschleuniger und erhöhen die Feuergefahr.“

Wärmedämmung, so der Tenor eines Spiegel-Artikels vom November 2011, könne Hausbrände verschlimmern. Styroporplatten seien gefährliche Brandbeschleuniger, Brände in Berlin und Brandenburg hätten dies bereits nachgewiesen. Eine Einschätzung, die Hans-Peter Guschl, Abteilungsleiter Vorbeugender Brandschutz bei der Feuerwehr Freiburg, nicht teilt.

Er kennt den Berliner Fall und liefert eine andere Einschätzung: „Bei diesem Brand lag das Problem eindeutig in der falschen Verarbeitung und dem falschen Material. In Deutschland“, so Guschl weiter, „gelten sehr hohe Brandschutzstandards.“ Den Vorwurf mancher Kritiker, dass die Dämmindustrie und ihre Lobby Einfluss auf die Zulassungstests für Dämmstoffe nehmen würde, hält er für abwegig: „Ich glaube nicht, dass angesehene Institute wie das Deutsche Institut für Bautechnik sich von Industrievertretern beeinflussen lässt.“

Mögliche Probleme sieht er eher beim Faktor Mensch, bei den ausführenden Handwerkern vor Ort. „Wenn die geltenden Vorschriften wie die Brandschutzverordnung oder die Landesbauordnung eingehalten werden, dann habe ich bei den modernen Dämmaterialien überhaupt keine Bedenken.“

Allerdings, das zeigte in Freiburg der Brand des Kindergartens in St. Georgen im Juni 2011, sieht sich die Feuerwehr durch neue Materialien auch neuen Herausforderungen gegenüber.

„Moderne Dämmsysteme ziehen Feuchtigkeit an, sind ein idealer Nährboden für Algen oder verwenden giftige Biozide, die ausgewaschen werden und so in Boden und Wasser gelangen.“

Algen und Pilze, so das Argument, fänden durch die Dämmung von Hauswänden mit dicken Platten aus Dämmstoff besonders gute Bedingungen vor. Der Wärmestrom werde abgebremst und erreiche den Außenputz nicht mehr, der Putz werde kälter als bei herkömmlichen Fassaden, auf dem kalten Putz schlage sich Feuchtigkeit eher nieder.

„Die Bildung von Bewuchs wie Pilze und Algen“, so Dr. Dietrich Schmidt, Abteilungsleiter Energiesysteme beim Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP), „ist in erster Linie ein optisches Problem. Die Funktion der Dämmstoffe wird davon nicht beeinträchtigt. Ein Wärmedämmverbundsystem hält, wenn es fachmännisch verarbeitet und montiert wurde, über mindestens 30 bis 40 Jahre.“

Um der Bildung von Bewuchs entgegenzuwirken, werden Farben für den Außenanstrich häufig mit Bioziden versetzt. Die Befürchtung der Dämmkritiker, dass diese ausgewaschen werden und danach in Boden und angrenzende Gewässer gelangen, kann Schmidt allerdings nicht ganz von der Hand weisen.

„Das Problem ist vorhanden. Eine Abteilung unseres Instituts untersucht momentan in mehreren praktischen Versuchen die langfristigen Folgen der Verwendung von Bioziden in diesen Farben und Putzen.“ Daneben gibt es beim IBP Versuche, über eine Veränderung des Feuchtigkeitshaushalts der Oberflächen eine Alternative zur Verwendung der Biozide zu schaffen.

„Moderne Dämmstoffe haben eine schlechte Energiebilanz.“

Häufig dient die angeblich schlechte Energiebilanz von Dämmstoffen als Gegenargument. Die Herstellung der Dämmplatten verbrauche viel Energie und mache die Ökobilanz der Stoffe zweifelhaft.

Dem widerspricht Dr. Schmidt vom IBP: „Im Vergleich zu den Energieeinsparungen, die man in der Betriebsphase von Gebäuden durch die Dämmstoffe erreicht, ist beispielsweise der Anteil an Erdöl, der zur Herstellung verwendet wird, extrem gering. Die eingesparten Schadstoffe durch die Dämmung überwiegen den Ausstoß bei der Produktion bei weitem.“ Die Energiebilanz von gängigen Dämmstoffen, so sein Fazit, sei daher durchweg positiv.

Eine Untersuchung der Deutschen Energieagentur (dena) unterstützt diese Einschätzung. Dabei wurde der Primärenergiebedarf für kunststoffhaltige Dämmstoffe inklusive Förderung des notwendigen Erdöls berechnet.

Ergebnis: Selbst der oft kritisch gesehene Marktführer Polystyrol hat eine sehr positive Energiebilanz, die energetische Amortisation liegt hier bei 13 bis 23 Monaten. Dann hat laut dena-Studie die durch die Dämmung erzielte Energieeinsparung den Energieverbrauch bei der Herstellung aufgewogen. Eine noch bessere Bilanz haben ökologische, nachwachsende Materialien, die mittlerweile auch technisch ausgereift sind.

„Dämmmaterialien werden irgendwann zu Sondermüll.“

Wärmedämmverbundsysteme werden auch deshalb kritisch gesehen, da sie aus mehreren Schichten (Kleber, Dämmstoffdübel, Dämmplatte, Armierung und Außenputz) bestehen. So entstehe in 40 Jahren, wenn die Systeme abmontiert werden müssten, ein großes Sondermüllproblem.

„Das stimmt so nicht,“ meint Rainer Schüle, Geschäftsführer der Energieagentur Regio Freiburg. „Bei der Entsorgung steht die Frage im Mittelpunkt, wie man die einzelnen Fraktionen eines Wärmedämmverbundsystems getrennt bekommt. Daran wird zur Zeit verstärkt gearbeitet. Gelingt die Trennung, dann sind die einzelnen Komponenten wie bei jedem anderen Industrieprodukt recycelbar.“

Selbst wenn nicht wiederverwertet werden könne, entstehe kein Problem: „Im schlechtesten Fall ist immer noch die saubere Verbrennung in Müllverbrennungsanlagen und somit eine energetische Verwertung der Materialien möglich.“ Alternativ sind inzwischen auch ökologische Wärmedämmverbundsysteme, z.B. aus Holzfaser, auf dem Markt.

Fazit

Die Gegenargumente der Kritiker sollten ernst genommen werden. Allerdings zeigt ein nüchterner Blick auf die Fakten, dass die Einwände nicht so gravierend sind, wie mancher Journalist und Kritiker den verunsichterten Verbraucher glauben machen möchte. Zur energetischen Sanierung inklusive umfangreicher Wärmedämmung gibt es keine Alternative.

Dazu Rainer Schüle: „Wir müssen heute so sanieren und bauen, dass die Häuser den Standards von 2050 entsprechen. Alles andere wäre nicht zielführend. Wenn man bei einer Sanierung nicht gleich langfristige Dämm- und Nachhaltigkeitsstandards umsetzt, dann geht das Haus früher oder später ‚kaputt’, sowohl ökologisch als auch ökonomisch gesehen.“

Quelle

Energieagentur Regio Freiburg 2012Dieser Text ist in der Solarregion Ausgabe 1/2012 erschienen.

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