Die unbekannte Plastik-Pest, welche die Weltmeere bedroht
Plastikpellets bedrohen die Weltmeere wie eine Ölpest, das Gefährdungspotential von «Nurdles» ist aber nahezu unbekannt.
Im Mai 2021 erlebte Sri Lanka die bisher schlimmste Umweltkatastrophe seiner Geschichte. Auf einem Containerschiff vor Colombo brach ein Feuer aus, das erst nach 13 Tagen gelöscht werden konnte.
Bei der Havarie, die nur deshalb nicht zum vollständigen Sinken der «X-Press Pearl» führte, weil sie auf ein Korallenriff auflief, verlor das Schiff 1680 Tonnen Plastikpellets. Ein «Plastic Spill» riesigen Ausmaßes verteilte sich an den Küsten Sri Lankas.
Putziger Name, große Gefahr
An manchen Stellen türmten sich die etwa linsengroßen Plastikperlen mit der putzigen Bezeichnung «Nurdles» zwei Meter hoch. Die Aufräumarbeiten wurden zusätzlich erschwert dadurch, dass die Plastikpartikel mit Chemikalien verschmutzt waren.
Die «X-Press Pearl» hatte unter anderem Chemikalien wie Salpetersäure geladen und Rohöl im Tank. Die Behörden Sri Lankas warnten Einwohner davor, die Plastikperlen anzufassen. Das zum Aufräumen mobilisierte Militär Sri Lankas musste Schutzausrüstung tragen.
Nurdles sind der universelle Rohstoff der Plastikproduktion, deshalb gibt es sehr viele davon. Sie werden aus Öl gefertigt und weltweit verschifft, um zu Wäschekörben, Schüsseln und Verpackungen verarbeitet zu werden. Es gibt sie in vielen Farben und Zusammensetzungen. Wegen ihrer Größe können Nurdles während des gesamten Herstellungsprozesses verlorengehen. Verpackt sind die Rohplastiklinsen in der Regel in 25-Kilogramm-Säcken, die bei Unfällen leicht reißen.
Gelangen sie in Gewässer, verhalten sich Nurdles unterschiedlich. Je nach Dichte schwimmen sie auf dem Wasser oder sinken ab. Wenn Nurdles nicht durch Einsammeln entfernt werden, bleiben sie jahrhundertelang in der Umwelt und zerfallen zu Mikroplastik. Die Plastikpartikel können als eine Art Magnet für giftige Chemikalien dienen, die sich dann in Meerestieren anreichern und über die Nahrungskette auch Menschen bedrohen. Tiere verwechseln Nurdles oft mit Fischlaich, fressen sie und verhungern.
Zweitgrösste Mikroverschmutzung in den Meeren
Nurdles finden sich so gut wie an allen Küsten der Welt. Nach Reifenabrieb sind sie die zweitgrösste Mikroverschmutzungsquelle in den Ozeanen. Jedes Jahr gelangen laut dem «Guardian» 230‘000 Tonnen Nurdles ins Meer. Das Medium «Mongabay», das ein sehenswertes Video in englischer Sprache zu Nurdles produziert hat, schätzt sogar 250’000 Tonnen. Sie können noch Jahre nach großen Spills in anderen Gegenden der Welt angespült werden.
«Es war verrückt», beschrieb die Meeresbiologin Asha de Vos gegenüber der «Washington Post». «Es war wie [Plastik-]Schnee an unseren Stränden, diese winzigen weißen Kügelchen, haufenweise.» Die Wissenschaftlerin erwartet, dass die Nurdle-Plage noch lange Zeit anhalten wird.
Aufräumen ist schwierig und langwierig
Die Auswirkungen eines Nurdle Spills sind ähnlich wie die einer Ölkatastrophe. Schwimmende Nurdles können abgefischt werden, aber nur bei ruhiger See. Anfang Juni herrschte vor den Küsten Sri Lankas aber eher stürmisches Wetter. Das bedeutete, dass sich Nurdles über eine größere Fläche ausbreiteten.
Als nächstes werden die Nurdles aus der Havarie bei Sri Lanka an den Küsten des Indischen Ozeans erwartet, von Indonesien über Malaysia bis Somalia, sagen Computermodelle voraus. Auf den Malediven wurden sie nach einer interaktiven Karte der Organisation «Nurdle Hunt» bereits gefunden.
Sri Lanka hat das Fischen in den betroffenen Gebieten verboten, 20‘000 Familien durften nicht mehr fischen. Fisch ist die wichtigste Proteinquelle für mindestens zwei Fünftel der Bevölkerung. Hunderte tote Meerestiere wurden bereits angeschwemmt. Das sie an Nurdles verendet sind, ist noch nicht bestätigt.
Unfälle mit Nurdles sind häufig
Nurdle-Spills gibt es regelmäßig. Die ersten, die größeres Aufsehen erregten, fanden 2012 in San Francisco und in Hong Kong statt. 7000 Freiwillige entfernten Containerladungen der bunten Plastiklinsen von Hong Kongs Küsten. 2018 gelangten 49 Tonnen Nurdles, vor Durban, Südafrika, ins Meer. Die Auswirkungen reichten bis Australien.
2019 fielen 342 Container mit Plastikpellets in die Nordsee, 2020 gab es einen Nurdle Spill in New Orleans. Laut dem «Guardian» verlor im gleichen Jahr auch ein Containerschiff zehn Tonnen Nurdles in der Nordsee, die sich an den Küsten von Dänemark, Schweden und Norwegen wiederfanden, und es gab einen Spill in Südafrika.
Bisher sind die Plastikteile nicht reguliert
Dennoch gibt es keine Regulierung für Nurdles. Für die IMO (International Maritime Organisation) stellen sie keine Umweltgefahr dar. Wenn der Unfall nicht gross ist oder länger her, sammeln vor allem Community-Projekte die kleinen Plastikstücke ein.
Sri Lanka hat bei einer Sitzung des IMO Umweltkomitees Ende November 2021 beantragt, Nurdles als Gefahrengut einzustufen. Das würde strengere Vorschriften nach sich ziehen, zum Beispiel müssten Nurdle-Container klar beschriftet sein und unter Deck gelagert werden. Für Havarien gäbe es ein Notfall-Protokoll.
Auch die Verpackung der Pellets müsste robuster werden. Umweltorganisationen wie «Oceans Asia» fordern schon länger, die Verpackung von Nurdles widerstandfähiger zu machen. Die 25-Kilogramm-Säcke, in denen Nurdles verpackt sind, reißen sehr leicht. Das einzige andere und dafür nachhaltige Mittel, die Nurdle-Flut einzudämmen, ist eine Reduktion des weltweiten Plastikverbrauchs.
Weiterführende Informationen
- «Nurdles: the worst toxic waste you’ve probably never heard of», The Guardian
- «With fire contained, Sri Lanka faces plastic pellet problem from stricken ship», Mongabay
- «Why plastic pellets called ‘nurdles’ are threatening miles of Sri Lanka’s coastline», Washington Post
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „INFOsperber.ch“ (Daniela Gschweng) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden!