‹ Zurück zur Übersicht

© Sonnenseite

Klimawandel und globale Energiekrise

Hunderte Meter lange Schlangen vor Wasserausgabestellen, Menschen zusammen gepfercht in einem Footballstadion, kein Strom, kein Benzin, überall brennende Häuser. Katrina hinterließ eine Spur der Verwüstung. Durch den bis dahin schwersten Wirbelsturm der Geschichte Amerikas kamen etwa 1.800 Menschen ums Leben, es entstand ein Schaden von etwa 81 Milliarden US-Dollar. Erschreckende Bilder aus einem völlig zerstörten New Orleans gingen um die Welt – fast 80 Prozent des Stadtgebietes standen bis zu 7,60 Meter tief unter Wasser. Schnell war klar, dass die Ursache für diese verheerende Naturkatastrophe auch der Klimawandel war. Das war 2005. Von Stefan Schurig

Triumph oder Tragik der Städte?

2006 kam der preisgekrönte Dokumentarfilm vom Präsidentschaftskandidaten Al Gore in die Kinos und 2007 veröffentlichte das internationale Wissenschaftlergremium IPCC seinen dritten Sachstandsbericht. Ausnahmslos alle Medien weltweit hatten das Thema monatelang als wichtigste Meldung. Manche beschrieben die Bedrohung durch den Klimawandel in geradezu biblischem Ausmaß. Kein Tag verging in diesem Jahr, ohne dass man in bunten Bildern auf die Gefahr des Klimawandels hingewiesen wurde. Gletscherschmelze, Hitzewellen und Anstieg des Meeresspiegels waren allgegenwärtig. Vielleicht muss man deshalb irgendwann in der Geschichte zurückblicken und feststellen, dass das Jahr 2007 der Wendepunkt der Klimadiskussion war.

Die Menschen wurden aufgerüttelt von der Erkenntnis, dass der Klimawandel zu einer ersten Bedrohung der Zivilisation geworden war – jene Zivilisation, die wiederum die Ursache für das Problem darstellt. Durch die Industrialisierung stieg der Weltenergiebedarf zwischen 1950 – 2007 um 500%, die Weltbevölkerung hatte sich in weniger als hundert Jahren vervierfacht. Und dies ging einher mit der flächendeckenden Zerstörung von Ökosystemen, dem Verlust fruchtbarer Böden, schrumpfender Artenvielfalt und Wetterextremen in unbekanntem Ausmaß.

Von nun an wurde das Thema nicht nur in Expertenkreisen von Wissenschaftlern und Nichtregierungsorganisation diskutiert. Es war in der breiten Bevölkerung angekommen. Plötzlich konnte man mit diesem Thema sogar Wahlen gewinnen. Was noch wichtiger ist: Der Fokus richtete sich schnell auf die Ursache des Klimaproblems, die massenhafte Verbrennung von Öl, Gas und Kohle. Und darauf, dass der Treibstoff der Industrialisierung zügig durch Erneuerbare Energien ersetzt werden muss. Vor allem aber, dass die Städte und Metropolen der Welt dabei im Zentrum stehen würden, womit eine gewisse Tragik des Kulturraums Stadt verbunden ist. Nicht nur, weil die meisten Städte der Welt an der Küste liegen und sie somit unmittelbar von dem Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind, sondern auch, weil 80% aller Ressourcen hier verbraucht werden und schon bald zwei Drittel der globalen Weltbevölkerung in der Stadt leben würde.

Überall auf der Welt steht man deshalb vor ähnlichen Fragen: Wie können Metropolen unabhängiger werden von fossilen Rohstoffen und wie können sie sich auf die nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels einstellen? Welche Technologien werden sich durchsetzen, welche Raumordnungskonzepte werden dem Ziel der Nachhaltigkeit gerecht? Wie kann die lokale Wirtschaft am besten profitieren? Wie kann der ökologische Fußabdruck einer Stadt wieder mehr in den Einklang mit ihrer tatsächlichen räumlichen Ausdehnung gebracht werden? Und wie gelingt es, ein überzeugendes nachhaltiges Energiekonzept für einen Stadtbezirk zu entwerfen und umzusetzen, ohne dass der Charakter des Ortes, die lokalspezifische Identität abhanden kommt?

Der World Future Council hat sich diesen Fragen gestellt und mit einer internationalen Kommission aus Städteplanern, Architekten und Experten unter anderem aus der UNO Städteorganisation UN-Habitat das Leitbild der „regenerativen Stadt“ entwickelt. Es ist eine Weiterentwicklung des Gedankens der Nachhaltigkeit und formuliert einen Prozess als langfristiges Ziel: In einer Stadt oder einer Metropole werden nur so viele Ressourcen verbraucht, wie durch sie auch wieder regeneriert werden. Das Konzept betont darüber hinaus besonders, dass der wirtschaftliche Nutzen eines ressourcenschonenden Stoffwechsels der Stadt auch der Stadt selbst zu Gute kommen muss.

Eine regenerative Stadt leistet einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, steigert die Lebensqualität und macht die Region Schritt für Schritt energetisch unabhängig. Vor allem aber erhält die Region durch eine konsequent verfolgte Strategie wichtige neue Impulse für die Wirtschaft und macht die Region attraktiver für die Bewohner.

Das Modell der „regenerativen Stadt“ betrachtet die technologische und wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Zusammenhalt und kulturelles Leben als untrennbare Bestandteile unseres Ökosystems. Es berücksichtigt die soziale, kulturelle und natürliche Diversität und Einzigartigkeit jedes einzelnen Ortes innerhalb der Planungsprozesse und setzt auf Kontinuität und Partizipation. Es zielt auf ein ausgeglichenes Verhältnis aus Ressourceneinsatz und Ressourcennutzen, auch bei den verwendeten Materialien.

Von weiterer Relevanz ist

  • Rückgewinnung von Nährstoffen aus Abwässern, das Nutzen von organischen Abfällen zur Bodenaufbereitung
  • Implementierung von „Zero-Waste-Policies“
  • Anreize zur Kreislaufwirtschaft bei technischen Abfällen
  • Anreize zum Ausbau von ÖPNV (Attraktivität, Flexibilität, Taktung)
  • Schutz und Aufbau urbaner Biodiversität durch urbane Landwirtschaftsflächen, Grünanlagen und Baumpflanzungen („green carbon sequestration“)
  • Integration des Leitbildes in Bildung und Kommunikation mit den Medien und nationale wie internationale Vernetzung

Wichtigster Bestandteil einer regenerativen Stadt ist die Transformation der Energieversorgung und die massive Reduzierung der Treibhausgase. In deutschen Städten bedeutet dies zum Beispiel den Ausbau der Erneuerbaren Energien, eine Reduzierung des Energieverbrauchs durch eine energetische Sanierung bestehender Gebäude und hohe Standards bei Neubauten als naheliegende Maßnahmen. Weiterhin lässt sich die Energieeffizienz verbessern, indem Blockheizkraftwerke sowie lokale und regionale Energieverbundsysteme und „virtuelle Kraftwerke“ eingesetzt werden. Ziel muss eine möglichst flächendeckende erneuerbare Energieversorgung sein. Und zwar nicht nur bilanziell durch die Einbeziehung weit entfernter Offshore-Windparks oder Solarkraftwerke, sondern zunächst durch die Nutzbarmachung der in der Metropolregion vorhandenen Ressourcen.

Ein solcher Transformationsprozess geschieht nicht über Nacht und braucht Investitionen. Aber er hat gleich mehrere Vorteile.

Für die Operationalisierung der „regenerativen Stadt“ seien an dieser Stelle fünf wichtige Stellschrauben genannt:

  1. Die Festlegung von ambitionierten Zielen und eine sektorübergreifende Erarbeitung der Umsetzungsstrategie.
  2. Bundesweit geltende Anreizmechanismen wie zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Sämtliche Positivbeispiele von Städten und Regionen in Deutschland, die teilweise sogar mehr Ökostrom produzieren als sie verbrauchen, wäre ohne das EEG undenkbar.
  3. Investitionen in Forschung und Entwicklung in den Bereichen, die für die Energiewende entscheidend sind, also Entwicklung moderner Stromnetze und Speichertechnologien.
  4. Einrichtung einer nationalen Institution, die die Transformation unserer Städte begleitet und koordiniert sowie Zuständigkeitskonflikte einzelner Ressorts glättet. Es ist augenscheinlich, dass es zwar viele Einzelinitiativen zur nachhaltigen Stadtentwicklung in Deutschland gibt, diese sind aber nur informell miteinander vernetzt.
  5. Abschaffen der immer noch unzähligen Fehlanreize. Pro Jahr fließen in Deutschland noch immer Milliardensummen an Steuergeldern in die Stromproduktion aus Kohle -und Atomkraftwerken.

Diese vor allem überregional relevanten Stellschrauben müssen korrespondieren mit einem Katalog von Maßnahmen in der Region. Diese übergeordneten Maßnahmen müssen in ein Gesamtkonzept zur regenerativen Stadtentwicklung auf regionaler Ebene fließen. Entscheidend für den Erfolg dieser Maßnahmen ist natürlich, wie verbindlich und kontinuierlich sie verfolgt werden. Fast noch wichtiger ist, ob die Menschen sie mittragen. Daher muss die Kommunikation und Beteiligung der Bevölkerung ein gleichbedeutender Bestandteil einer Strategie sein, wie alle technischen, städtebaulichen und infrastrukturellen Konzepte.

Hinzu kommt, dass kein Weg daran vorbei führt, das Paradigma des grenzenlosen Wachstums grundsätzlich zu hinterfragen. Denn dieses hat sich, wie man sieht, nicht nach den ökologischen und ökonomischen Grenzen des Wachstums gerichtet. Gutes Erkennungsmerkmal dafür ist, dass trotz der eindringlichen Warnungen der weltweiten Wissenschaft vor den Folgen des Klimawandels schnell die Rede davon ist, dass man die Maßnahmen der „politischen Realität“ anpassen müsse. Aber wer definiert eigentlich diese Realität und vor allem, was nützt sie uns noch, wenn wir gerade dabei sind, uns unserer eigenen Lebensgrundlagen zu berauben?

Im Oktober 2012 wurden wir erneut durch einen folgenschweren Hurricane an die dramatischen Folgen des Klimawandels erinnert. Diesmal in New York und New Jersey: Hunderte Meter lange Schlangen vor Wasserausgabestellen, brennende Häuser, Stromausfall, überflutete Straßenzüge. Die eindringlichen Warnungen von Al Gore und dem IPCC scheinen sich leider im Trend zu bestätigen. Der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur geht ungebremst weiter, manche Prognosen aus dem Jahr 2007 haben sich schon jetzt als zu vorsichtig erwiesen. Aber, und das muss an dieser Stelle auch betont werden: Positive Entwicklungen wie der rasante Ausbau der Erneuerbaren Energien haben dazu geführt, dass in Ländern wie Deutschland, Spanien oder Dänemark heute ein großer Teil der Energie aus Erneuerbaren Energiequellen stammt. 132 Regionen haben sich mittlerweile die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien als Ziel gesetzt. In diesen Regionen leben etwa 20 Millionen Menschen – ein Viertel der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Sogar Großstädte wie München oder Barcelona haben diese Ziele formuliert. Weltweit gingen über die Hälfte aller Investitionen im Energiebereich in Erneuerbare Energien. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Städte, die heute die Weichen für eine nachhaltige, regenerative Entwicklung stellen, Städte der Zukunft sind!

Der renommierte amerikanische Städteforscher Edward Gläser spricht in seinem jüngsten Buch vom Triumph der Städte als „die gesündesten, grünsten, kulturellsten und reichsten Orte des Lebens“. Allerdings nicht ohne einschränkend hinzuzufügen, „wenn man die richtigen Strategien zur Fortentwicklung der Stadt hat“. Die oben skizzierten Stellschrauben und Maßnahmen sind, angewendet und angepasst auf die einzelnen Orte, wichtige Bestandteile einer solchen Strategie. Und dann kann man wahrlich vom Triumph der Stadt sprechen.

Quelle

Stefan Schurig | World Future Council 2013FORUM Nachhaltig Wirtschaften 2013

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren