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© Bigi Alt

Stirbt die Artenvielfalt? Sag mir wo die Blumen sind 2/8

Als Marlene Dietrich vor 50 Jahren erstmals das Lied „Sag mir, wo die Blumen sind“, sang, bestimmten noch bunt blühende Wiesen und Äcker die Landschaft. Mit der Blumenvielfalt verschwinden auch die Schmetterlinge, Bienen und Singvögel. Unsere Landschaften werden eintöniger.

Zu Ostern kamen dicke Sträuße aus Primeln und im Sommer aus Kornblumen auf den Tisch. Doch heute suchen wir Blumenwiesen und wildkräuterreichen Äcker oft vergebens. Die Wiesen sind in Äcker umgewandelt oder so gedüngt und entwässert, dass außer Löwenzahn im Frühling keine andere Blume mehr wächst. Auch auf den intensiv bewirtschafteten Äckern herrscht Monotonie statt Vielfalt. In einigen Bundesländern stehen selbst Kuckucks-Lichtnelke oder die Kornblume auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. 

Mit der Blumenvielfalt verschwinden auch die Schmetterlinge, Bienen und Singvögel. Unsere Landschaften werden eintöniger. Der NABU (Naturschutzbund Deutschland) hat im Angesicht des Artensterbens eine Abstimmungsaktion für mehr Pflanzenvielfalt gestartet, an der auch jeder „Sonnenseite“-Leser teilnehmen kann – im Internet finden Sie mehr unter www.sagmirwodieblumensind.de. Aus fünf Vorschlägen können Sie die Blume auswählen, die Ihnen am meisten fehlt. Zur Wahl stehen der Schlangen-Knöterich, die Sumpfdotterblume, die Wiesen-Glockenblume, der Acker-Rittersporn und die Heide-Nelke. Ziel der Aktion ist es, in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit für wildwachsende Pflanzen zu erreichen. Die Sängerin Katja Ebstein, die das Lied „Sag mir, wo die Blumen sind“ in Ihrem Repertoire hat, unterstützt die NABU-Aktion. 

Der bekannte Klimaforscher Hartmut Graßl vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg sagt: „Unsere Emissionen haben Einfluss auf das gesamte Erd- und Klimasystem: die Temperaturen steigen und die Niederschläge verändern sich schnell und mit großen regionalen Unterschieden. Auch die Auswirkungen auf die Natur sind bereits sichtbar. Viele Organismen verändern ihre Verbreitungsgebiete oder ihre Lebensweise, so dass bestehende Lebensgemeinschaften zerrissen werden können.“ 

Bis zu 50 % der in Deutschland lebenden Tier- und Pflanzenarten sind bis zum Ende des 21. Jahrhunderts durch den Klimawandel gefährdet. Besserer Naturschutz und mehr Klimaschutz können wesentlich zur besseren Sicherung der Artenvielfalt beitragen. Die Vielfalt von Arten, Lebensräumen und genetischen Informationen ist die wichtigste Grundlage für die Anpassungsfähigkeit der Natur und damit auch die des Menschen. Natur meint immer Vielfalt und nicht Einfalt. Ohne die Vielfalt der Natur kein höheres menschliches Leben! 

Die für mich erschreckendste Prognose der Klimaforscher der UNO heißt: Bis zum Jahr 2080 könnten in Europa bis zu 80 % aller Tier- und Pflanzenarten ausgestorben sein. Welche Welt hinterlassen wir unseren Enkeln? Tiere und Pflanzen sind unsere ältesten Geschwister in der Evolutionsgeschichte. Die Spezies Mensch gibt es erst seit rund 2 Millionen Jahren. Homo Sapiens ist eine noch junge Art. Aber wir benehmen uns, als wären wir allein auf der Welt und könnten weiterhin Tiere und Pflanzen gnadenlos und ungestraft ausrotten. Homo Sapiens benimmt sich damit gar nicht weise, sondern eher wie ein Homo Dummkopf. Denn Menschen kann es nicht geben ohne Tiere und Pflanzen. 

Die UNO hatte das Jahr 2007 zum „Jahr des Delfins“ erklärt. Aber schon 2006 war der letzte Baiji – ein Flussdelfin aus dem chinesischen Jangtse – ausgestorben. Der Baiji ist wahrscheinlich die erste Walart, die der Mensch ausgerottet hat. Die Spezies der Baiji wurde 20 Millionen Jahre alt. Diese unvorstellbar lange Zeit konnte die Delfinart überleben – nur nicht die letzten 20 Jahre, weil eine Spezies namens „homo sapiens“ das Wasser zugrunde gerichtet hat. Der Jangtse ist der schmutzigste Fluss der Welt. Menschen lieben Delfine und setzen ihn trotzdem immer größerem Stress und Gefahren aus. Wenn sie ihn nicht direkt jagen, fischen sie ihm seine Nahrung weg oder lassen ihn als „Beifang“ im Netz verenden. Die Internetseite „Year of the dolphin“ präsentiert eine geballte Ladung Wissen über Delfine und ihren Schutz. 

Dabei ist ein lebender Delfin tausendmal wertvoller als ein toter. Die Touristenbranche weiß, dass sich der Schutz von Walen und Delfinen auszahlt: Artenschutz sorgt für Wertschöpfung. Die Natur ist das wichtigste Kapital der weltweiten Touristenbranche – vor allem die Küstenregionen und das Meer. Deshalb beteiligt sich auch die TUI als weltgrößter Touristikkonzern beim Delfinschutz-Programm der UNO. Delfine sind lebendige Schätze unseres blauen Planeten.

Ebenso wie die berühmten Koala-Bären in Australien. Auch das Symboltier des fünften Kontinents ist vom Aussterben bedroht. Tierschützer befürchten, dass es schon 2015 keine Koala-Bären mehr geben wird. Hauptursachen: Dürre, Straßenbau, zunehmende Waldbrände. 

Rachel Carson schrieb vor 45 Jahren den ersten Umweltbestseller „Der stumme Frühling“. Damals hielten viele die Vorhersage, dass die Singvögel aussterben könnten, für Panikmache. Heute müssen wir ernsthaft mit einer solchen Entwicklung rechnen, wenn wir den Planeten weiter so mit Treibhausgasen aufheizen. Und die Fieberkurve der Erde steigt noch lange weiter.

Jeden Tag, so die Umweltminister er G8-Staaten, rotten wir zur Zeit 150 Tier- und Pflanzenarten aus. Der bekannteste Biologe und Artenforscher der USA, Prof. Edward O. Wilson, behauptet gar, dass wir täglich 180 Tier- und Pflanzenarten ein für alle Mal verschwinden lassen. Hauptursachen sind der Treibhauseffekt, die Chemielandwirtschaft und zunehmend die Gentechnik. Ist Artensterben nicht ganz natürlich? Sind Tier- und Pflanzenarten nicht schon immer ausgestorben? Das werde ich oft nach meinen Vorträgen gefragt. 

Wir spielen Evolution rückwärts

An diesen Überlegungen ist richtig, dass das Erscheinen von neuen Arten und das Verschwinden alter Arten zur Evolutionsgeschichte gehört. Aber heute hat sich das Artensterben gegenüber dem Jahr 1800 mehr als vertausendfacht.

Wir sind die erste Generation, die Evolution rückwärts spielt und dem lieben Gott ins Handwerk pfuscht wie nie eine Generation vor uns.

Die globale Erwärmung zerstört die Lebensräume von Millionen Arten. Durch die Vernichtung von über der Hälfte des Regenwaldes in den letzten 50 Jahren sind viele zehntausend Arten bereits ausgestorben. Und der Regenwald enthält das artenreichste Ökosystem unseres Planeten. Er bedeckt heute noch etwa 5 % der Erdoberfläche, aber allein hier lebt die Hälfte aller Arten der Welt. Im südamerikanischen Amazonas-Becken, dem afrikanischen Kongo-Becken und in Südostasien sind Millionen Arten noch gar nicht wirklich entdeckt und erforscht oder auch nur benannt. Allein im kaum erreichbaren Kronendach des Regenwaldes spielt sich ein großer Teil des Lebens ab. Ohne die Artenvielfalt im Regenwald ist auch die Menschheit ärmer.

Eine Welt mit leeren Flüssen und Seen

Ein einzelner See im brasilianischen Regenwald enthält mitunter mehr Fischarten als alle europäischen Flüsse zusammen. Noch faszinieren uns die Regenwälder durch ihre beinahe unglaubliche Vielfalt an Lebewesen und Lebensformen. Doch menschlicher Hochmut zerstört die letzten Paradiese unseres Planeten sowohl im Meer wie in den noch verbliebenen Regenwäldern:

  • In den Meeren zerstört die Klimaerwärmung die fantastischen Korallenriffe.
  • Durch das Verschwinden der Korallenriffe haben viele Fische und Meerespflanzen keine Lebensgrundlage mehr.
  • 1998 war das zweitheißeste Jahr seit 1860. Allein in diesem Jahr starben weltweit 16 % aller Korallenriffe ab.
  • Wer – wie meine Familie und ich – noch 1997 vor dem großen Korallensterben die Farben- und Formenpracht der Korallen erlebte und nur ein Jahr später sah, wie rasch sich in wenigen Wochen farbenprächtige Korallenriffe in graue Meeresfriedhöfe verwandelt hatten, konnte nur noch weinen.

Korallenriffe und Regenwälder sind die magischen Orte auf unserem Planeten. Auf einem Quadratkilometer Regenwald finden wir oft mehr Baumarten als in den gesamten USA. Nirgendwo ist di Vielfalt des Lebendigen so eindrucksvoll und geheimnisvoll. Regenwälder sind die Brutkästen der Evolution. Während in ganz Europa noch 53 Froscharten leben, gibt es allein in den Regenwäldern Perus und Ecuadors noch über 300. Was Regenwälder für uns Menschen bedeuten, wird schon dadurch offensichtlich, dass die Hälfte unserer heutigen Medikamente aus den Regenwäldern stammt. 

Das beispielslose Wachstum der Kohlendioxidemissionen bedroht das Leben auf unserem Planeten gleich mehrfach:

  • Das CO2 reichert sich in der Atmosphäre an, lässt die Meerestemperaturen steigen.
  • Etwa ein Drittel unserer Emissionen landet in den Ozeanen und lässt den Säuregehalt des Meerwassers steigen. Das Meer versauert. Die chemische Transformation der Ozeane ist eine Gefahr für alles Leben im Meer.
  • In den Meeren sind schon riesige Todeszonen entstanden, in denen so gut wie nichts mehr lebt.
  • Durch den Anstieg der Temperatur steigt der Meeresspiegel und bedroht Millionen Menschen an den Küsten.
  • Durch den Anstieg der Wassertemperaturen in den Ozeanen ist das Leben vieler Fischarten ebenso bedroht wie durch das Überfischen der Meere durch Menschen und durch chemisierte Landwirtschaft, deren Gifte ins Meer und Grundwasser gelangen – an den Anfang der Nahrungskette.
  • Und durch das Abholzen der Hälfte des Regenwaldes haben wir die Lunge unseres Planeten zerstört. Der Regenwald ist die Lunge der Erde. Unser Planet lebt nur noch mit einem Lungenflügel.
  • Hält die heutige Zerstörung an, wird es im Jahr 2060 keinen Regenwald mehr geben.

Arme Erde – Arme Menschen! Aber noch haben wir die Chance, künftig vieles intelligenter zu machen als heute und mit der Natur zu arbeiten anstatt gegen die Natur.

Teil 3: Erst sterben die Pflanzen, dann die Tiere und dann der Mensch 3/7

Bigi Alt
Quelle

Franz Alt
Erstveröffentlichung „tz“ München 2008

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