Tödliche Flüssigkeit im Meer
Ölverschmutzung in den Weltmeeren: Die Folgeschäden werden in ihrem ganzen Ausmaß oft erst später sichtbar. Ein Bericht von Susanne Aigner
Erdöl gilt als Basis von Wohlstand und technischem Fortschritt. Doch wo Öl in rauen Mengen ausläuft, bedroht es das Leben in den Meeren, haben Tiere und Anwohner oft noch Jahre darunter zu leiden. Auf der anderen Seite zeichnet sich immer deutlicher ab, dass noch vorhandenes Öl im Boden bleiben muss, wenn das Klima erträglich bleiben soll.
Seit 1987 fördert der russische Ölkonzern Deutsche Erdöl AG (Dea) , im Wattenmeer Öl. Auf der Mittelplate, dem größten deutschen Ölfeld, werden jährlich 1,4 Millionen Tonnen Öl aus der Tiefe geholt. Nun soll die Ölsuche an weiteren vier Stellen im niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Wattenmeer fortgesetzt werden. 20 Millionen Tonnen Öl werden unter dem Meeresboden vermutet, damit wäre der Ölbedarf in Deutschland gerade mal für zwei Monate gedeckt – mit unverhältnismäßig hohem Unfallrisiko.
Ein Unfall im artenreichen Wattenmeer würde zu irreparablen Schäden führen, befürchtet Greenpeace. Das Wattenmeer der südlichen Nordsee ist mit einer Ausdehnung von 450 Kilometer Länge und mehr als 10.000 Tier – und Pflanzenarten die weltweit größte zusammenhängende Wattlandschaft, rund 250 Arten kommen weltweit überhaupt nur hier vor.
Doch darf man in einem Nationalpark, in dem Pflanzen und Tiere unter Schutz stehen, nach Öl bohren? Greenpeace sagt: Nein! Denn der Nationalpark Wattenmeer darf mit seiner geschützten Natur nicht dem schmutzigen Geschäft mit Öl zum Opfer fallen. Mit auslaufenden Tankern haben die Anwohner bereits Erfahrungen: Als das Frachtschiff Pallas im Oktober 1998 bei Amrum auf Grund lief, verlor es rund 100 Tonnen Öl. Rund 16.000 Seevögel ließen damals ihr Leben.
Dies bedeutet aber auch, dass Deutschland seinen Energiebedarf aus anderen Quellen decken muss. Sofern der Fokus weiter auf Öl liegt, wird das Risiko durch Bohrungen und Transporte nur verlagert. Ganz gleich, wo man auf der Welt nach Öl bohrt und übers Meer transportiert, wo Tanker auslaufen oder Rohöl aus Lecks sprudelt, vergiftet es Mensch und Tier und zerstört nachhaltig ganze Ökosysteme, die oft Jahrzehnte brauchen, um sich davon zu erholen. Nicht zuletzt wird auf diese Weise teurer Rohstoff verschwendet.
Öl-Katastrophen am Golf von Mexiko
Bei den Unmengen an Öl, die den Erdball umrunden, ist jede kleinste Menge, die daneben geht, zu viel. Bereits ein Tropfen Öl kann Hunderte Liter Trinkwasser ungenießbar zu machen. Sprudelt Öl wochenlang aus einer geplatzten Pipeline, kann ein ganzes Öko-System kollabieren – so wie beim Unglück der Deepwater Horizon im Jahr 2010. Unaufhörlich lief Öl aus einem Loch, das mit vorhandener Technik einfach nicht zu stopfen war. Die ganze Golfküste wurde mit Öl vergiftet, tausende Fische und Vögel verendeten qualvoll.
Es war eine der am längsten andauernden Öl-Katastrophen, deren Langzeitfolgen noch Generation beschäftigen wird, klagt Bob Deans vom Natural Resources Defense Council. Dabei war das ausbleibende Tourismusgeschäft nur eine von zahlreichen Begleiterscheinungen. Die Reinigungsarbeiten waren 2015 noch nicht abgeschlossen. Bis heute greift BP für die Entschädigungszahlungen – insgesamt 20,8 Milliarden Dollar – tief in die Tasche. Nicht mit inbegriffen sind die Kosten für die aufwändigen Werbekampagnen, um das eigene Image wiederherzustellen.
Offenbar haben Ölkonzerne und Regierung nichts aus der Deepwater Horizon gelernt, denn der nächste Unfall ließ nicht lange auf sich warten: 2015 lief erneut Öl aus einer 24 Jahre alten Pipeline an der Küste vor St. Barbara ins Meer. Ein 15 Kilometer breiter Ölfilm bildete sich vor der Küste, verschmutzte Strände, die gesperrt werden mussten.
Wieder badeten Meerestiere und Vögel im Öl. Derselbe Küstenabschnitt hatte bereits 1969 das bis dahin größte Ölunglück der USA erlebt. Tausende Liter Öl töteten damals unzählige Seevögel und viele Meeressäuger. Unterm Strich waren 400.000 Liter Öl ins Meer gelaufen. Ungeachtet aller Öl-Desaster lässt die US-Regierung bis heute an der Golfküste nach Öl bohren.
Auslaufende Tanker
Neben den Bohrinseln sind es vor allem die Öl-Tanker, die Jahr um Jahr tausende Tonnen Öl in die Meere spucken. Eine der größten Umweltkatastrophen der USA war das Unglück der Exxon Valdez, welche 1989 im Prinz-William-Sund vor Alaska havarierte. 45.000 Tonnen Öl verschmutzten damals eine 1700 Kilometer lange Küste, zahllose Meerestiere fielen der Katastrophe zum Opfer.
Als die uralte Prestige im November 2002 vor der felsigen Küste Galiziens leckschlug, hatte sie 77.000 Tonnen Schweröl geladen. Doch erst als das gekenterte Schiff auf den Atlantik geschleppt wurde, zerbrach der 26 Jahre alte Tanker vollends. Geschätzte 23.000 Tonnen Schweröl flossen ins Meer und verseuchten die Küste von Nordportugal bis zum Südwesten Frankreichs. Rund 250.000 Seevögel verendeten im Öl. Fische, Muscheln und Austernbänke waren verschmutzt. Für Monate kamen Fischerei und Tourismus zum Erliegen.
Am stärksten betroffen war die Krähenscharbe – eine Kormoranart – deren Bestand sich zehn Jahre nach dem Unglück nicht erholt hatte. Forscher vermuten, dass das Öl die Fortpflanzungsfähigkeit der Tiere beeinträchtigt.
Auch in Binnenmeeren verunglücken regelmäßig Tanker: So gab es 2007 im Schwarzen Meer gleich mehrere Tankerunfälle hintereinander. Bilanz: 1.300 Tonnen ausgelaufenes Heizöl. Darüber hinaus sanken drei russische Frachter mit mindestens 2.400 Tonnen Schwefel. Zwar kommt natürliches Schwefel im Meer und im Erdkern vor, doch was zusätzliche Schwefelabfälle im Meer anrichten, ist bislang unerforscht.
Während sich Schweröl auf der Wasseroberfläche verteilt, verteilt sich Leichtöl nur tröpfchenweise – was für Vögel besonders gefährlich ist, da sie bei der Nahrungssuche in den tödlichen Ölschlick eintauchen. Kommt ein Vogel mit dem Öl in Berührung, fängt er an, sich zwanghaft zu putzen. Das Öl verklebt die Federn, die das Wasser nicht mehr vom Körper abhalten können, weshalb die Tiere erfrieren.
Sie nehmen keine Nahrung mehr auf, solange, bis sie ihr Gefieder gesäubert haben. Gleichzeitig werden sie durch das hinunter geschluckte Öl vergiftet. Bei Fischlarven können die Öltröpfchen eine Verkrümmung der Wirbelsäulen bewirken. Selbst bei Schalentieren, die auf den Teller kommen, kann man das Öl noch schmecken.
Bedrohte Arktis
Auf der Suche nach den letzten Rohstoffquellen sind die Verteilungskämpfe um die Arktis in vollem Gange, besonders unter Ölgiganten wie Shell, Exxon oder Gazprom. So haben Shell und Gazprom bereits mit ersten Bohrungen begonnen. Gerade der Shell-Konzern, der mehrfache Ölunfälle in anderen Regionen der Welt, zum Beispiel in Nigeria zu verantworten hat, treibt die Bohrungen in der Arktis voran. Dabei werden Sicherheitsstandards missachtet, zudem gibt es zu wenig Notfallpläne.
Russland beansprucht rund 1,2 Millionen Quadratkilometer Meeresboden für sich – eine Fläche drei Mal so groß wie Deutschland – und kollidiert dabei mit den wirtschaftlichen Interessen von Dänemark und Kanada, die es ebenfalls auf den Nordpol abgesehen haben.
Russland und Norwegen haben bereits 2010 die Barentsee unter sich aufgeteilt, wobei die flachen Gewässer zur Förderung von Öl und Gas für die Konzerne am interessantesten sind. Nun haben russische Forscher aufwändig über tausende Kilometer den Untergrund des Arktischen Ozeans vermessen. Die Ergebnisse wurden 2015 in einem Bericht zusammengefasst.
Erst im Dezember 2011 versank die Gazprom-Plattform Kolskaya im Ochotskischen Meer mit 67 Männern an Bord, von denen nur 14 gerettet werden konnten. In der Arktis ist das Unfallrisiko höher als anderswo, da eiskaltes Wasser, Eisberge und extremes Wetter die Bohrbedingungen erschweren. Daher, vermuten Experten, ist es nur eine nur Frage der Zeit, bis es hier zu einem Unfall kommt.
Gerade die nördlichen Regionen in Russland sind von ausgelaufenem Öl inzwischen stark verschmutzt. So laufen in Russland jährlich rund fünf Millionen Tonnen Öl aus beschädigten Bohrlochköpfen, lecken Röhren und ähnlichem aus. Über die Flüsse in Nordrusslands gelangen jährlich rund 500.000 Tonnen Öl in den arktischen Ozean. Das entspricht im regelmäßigen Abstand von zwei Monaten der Ölmenge, die aus der Deepwater Horizon in den Golf von Mexiko gelaufen ist.
Seit Januar 2016 betreibt laut Greenpeace auch der österreichische OMV-Konzern Probebohrungen in der Arktis – unter gefährlichen Bedingungen. Käme es hier zu einem größeren Ölunfall, kann das Öl unter und auf dem Eis nicht entfernt werden, da es keine wirksame Methode gibt, eisbedecktes Wasser von Öl zu befreien. Unter den Tiefsttemperaturen würde der Zersetzungsprozess Jahrzehnte dauern.
Auch in Alaska, schätzt die US-Regierung für den Fall, dass Shell vor der Küste Öl findet und in den nächsten Jahrzehnten fördert, die Wahrscheinlichkeit eines größeren Ölunfalls auf 75 Prozent. In dem sensiblen Ökosystem kann ausgelaufenes Öl, das sich dort nur sehr langsam abbaut, kaum geborgen werden. Schon die Ölsuche mit den Probebohrungen gefährdet tausende Wale und Robben.
So verursachen seismische Tests unter Wasser einen Lärm, der für die Tiere tödlich sein kann, in jedem Fall aber die Kommunikation und Orientierung der Meeressäuger stört und diese aus ihren Futtergebieten vertreibt.
Vor diesem Hintergrund werden die Forderungen – nicht nur von Greenpeace – immer lauter, die Rohstoffe in der Arktis im Boden zu lassen.
Öl muss im Boden bleiben
Theoretisch könnte der Planet die Menschheit noch ein paar Jahrzehnte mit Öl füttern. Die aktuellen Tiefpreise suggerieren jedenfalls, dass Öl weltweit in rauen Mengen vorhanden ist. So produzieren Ölländer wie der Iran weiter Öl, während die Preise immer tiefer sinken. Dies löst eine Abwärtsspirale aus.(Warum der sinkende Ölpreis die Kriegsgefahr erhöht) Russland, Brasilien und Venezuela leiden bereits unter einer gravierenden Rezession.
In Wirklichkeit ist der begrenzende Faktor nicht die vorhandene Menge der fossilen Rohstoffe, sondern die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre, die bereits heute mit Treibhausgasen mehr als gesättigt ist.
Britische Wissenschaftler weisen in einer aktuellen Studie darauf hin, dass weltweit ein Drittel der Ölreserven, die Hälfte der Gasreserven und über 80 Prozent der aktuellen Kohlereserven von 2010 bis 2050 ungenutzt bleiben müssen, wenn das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden soll. Ab 2050 soll der weltweite Energiebedarf komplett mit Erneuerbaren Energien gedeckt werden.
Das Konzept dafür stellt Greenpeace in einer 360-seitigen Studie Energy (R)evolution 2015 vor. So würden durch erneuerbare Energien bis 2030 weltweit nicht nur 20 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, sondern die nötigen Investitionen durch eingesparte Brennstoffkosten mehr als kompensiert.
Fakt ist: Wo der Roh- und Schadstoff Öl produziert, transportiert und verbraucht wird, werden die Folgeschäden in ihrem ganzen Ausmaß oft erst später sichtbar. Somit stört in rauen Mengen auslaufendes Öl nicht nur die Produktionsabläufe, sondern vernichtet auch nachhaltig die eigenen Lebensgrundlagen. Den wahren Preis für das „billige“ Öl zahlt letztlich die Natur – und somit der Mensch.
Quelle
Mit freundlicher Genehmigung von TELEPOLIS | Susanne Aigner 2016