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Verbot giftiger Spritzmittel in Südtirol

In Südtirol werden in der Landwirtschaft mehr als 2.000.000 kg Pestizide pro Jahr verwendet, so die Organisation für Bügerpetitionen Avaaz. Viele dieser Substanzen seien als toxisch, schädlich und gefährlich für die Umwelt eingestuft. Allein in der Apfelproduktion werde jährlich bis zu 25 mal gespritzt.

Die Pestizide vernichten, so Avaaz, nicht nur viele Nutzinsekten, sondern verursachen Rückstände im Boden und in Gewässern und stellen ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung dar. Der Zusammenhang zwischen Pestiziden und Schäden für die menschliche Gesundheit sei bekannt. Aufgrund veröffentlichter Studien verursachten einige Pestizide Krankheiten des Nervensystems,  erhöhten die Tumorraten und verringerten die Fruchtbarkeit.

Mitte September 2014 überraschte die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 mit der Aussendung „Ein südtiroler Dorf schreibt Geschichte und verbietet Pestizide“. Die Gemeinde Mals im Vinschgau habe sich in einer rechtlich verbindlichen Volksabstimmung mit 75 gegen 24 Prozent und einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent für ein Pestizidverbot entschieden.

Der entscheidende Text, der zur Abstimmung vorgelegt wurde, lautet: „Sind Sie dafür, dass in der Satzung der Gemeinde Mals folgender Artikel eingefügt wird: … Der Einsatz sehr giftiger, giftiger, gesundheitsschädlicher und umweltschädlicher chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel und Herbizide auf dem Gemeindegebiet ist nicht zugelassen.

“Der Abstimmung in Mals waren analytische Untersuchungen von GLOBAL 2000 vorausgegangen, die „alarmierend hohe Pestizidbelastungen“ auf den Wiesen und in den Gewässern der Gemeinde zeigten. Die Windverfrachtung verursache eine großräumige Verteilung der Pestizide und Herbizide. Da rotteten sich aufgeklärte Bürger zusammen und forderten ein Verbot der Spritzmittel. Ihre Gefährlichkeit sie hundertfach bewiesen. Die Gesundheit sei ein Menschenrecht. Die Freiheit des Einzelnen habe ihre Grenzen am Recht des Nächsten.

Vorbild für Mals waren die Gemeinden Malosco im Trentiner Nonstal, Vallarsa und Cavareno. Der Bürgermeister von Malosco, Adriano Marini, Chef einer Bürgerliste und seit 14 Jahren im Amt, hatte bereits 2010 ohne Volksabstimmung ein Spritzmittel-Verbot erlassen. Es wurde durch sämgliche Instanzen bis zum Staatsrat angefochten, aber am Ende bekam die Gemeinde Recht. Und das nach Marini dank der Onkologin Patrizia Gentilini, „die vor Gericht die absolute Schädlichkeit von Pestiziden vor allem auch für Kleinkinder attestiert hat. Da konnten die Richter nicht anders entscheiden.“

In der Gemeinde Vallarsa hat Bürgermeister Geremia Gios die Ursprungsbezeichnung nur den Biobauern zuerkannt. Außerdem verlangt er von den „Spritzbauern“ eine Versicherung gegen Dritte. Denn es könne nicht sein, dass der Einsatz von Pestiziden in ihren Folgewirkungen straflos sei und sie für die angerichteten Schäden niemals haften müssen. Wer sich nicht daran hält, bekommt aus dem gemeindeeigenen System kein Bewässerungswasser mehr.

Dass giftige Spritzmittel, von der Industrie gerne „Pflanzenschutzmittel“ genannt, für die menschliche Gesundheit äußerst schädlich sind, ist seit vielen Jahrzehnten bekannt. Jahrein jahraus werden Rückstände in Lebensmitteln nachgewiesen. Der Autor hat das schon 1995 – also vor zwanzig Jahren – in seinem mit dem Bio-Bauern Josef Ortner verfassten Buch „Die Bio-Bibel“ (Kapitel „Unser tägliches Gift“) ausführlich dargelegt. Dort kann man lesen:

„Es ist längst erwiesen, dass eine Reihe von Spritzmitteln erbgutverändernd und krebserregend ist. Trotzdem werden diese Gifte immer noch eingesetzt. Zu allem Überfluss tauchen sie auch noch im Trinkwasser auf. Statt nun über die einzig mögliche Alternative, nämlich die generelle Einführung des ökologischen Landbaus nachzudenken, zeigt sich die Gift-Lobby gerade jetzt wieder unbelehrbar.“ (1, Seite 25)

In einer zu dieser Zeit gedrehten TV-Dokumentation zeigte der Autor den Demeter-Bauern Loacker aus Bozen, der in seinen Weingärten mit ökologisch verträglichen Spritzmitteln arbeitete – in der Badehose. Demgegenüber müssten seine Kollegen aus dem konventionellen Anbau im Freien oder gar im Glashaus wie Marsmenschen vermummt und mit vollem Atemschutz spritzen. Denn die Gifte werden sonst eingeatmet und durch die Haut in den Körper aufgenommen. Das führt natürlich in Gebieten mit starkem Fremdenverkehr zu verängstigten Fragen von Urlaubern und Touristen. Daher werden die Vorschriften oft missachtet. Die Bauern selbst sind die gefährdetste Gruppe. In der „Biobibel“ heißt es dazu:

„Pestizide sind in hohem Maß an der immer stärker um sich greifenden Unfruchtbarkeit beteiligt. 15 bis 20 Prozent aller Paare im fortpflanzungsfähigen Alter können in den Industriestaaten keine Kinder bekommen. Der Wiener Arzt Wilfried Feichtinger hat Spritzmittelrückstände in der Samen- und Eibläschenflüssigkeit von sterilen Paaren nachgewiesen und diese Vergiftung in unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer Unfruchtbarkeit gebracht. Den größten Anteil an dieser Problemgruppe hatte die bäuerliche Bevölkerung.“

Bei aller Anerkennung der Initiative in Mals gegen die Giftspritzer, bleiben einige Fragen offen. Es wird z.B. von Vertretern der Bürgerinitiative davon gesprochen, dass „nichts gegen die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln im Glashaus, im lokalen Garten, mit Handpumpe u. dgl.“ einzuwenden sei, weil von „dieser Anwendung keine Gefahr für die öffentlich Gesundheit“ ausgehe. Woher nimmt man da die Sicherheit? Das Rückstandsproblem in Lebensmitteln ist damit keineswegs beseitigt. Und: Die Anwender vergiften sich oft selbst, weil sie nicht die erforderlich Schutzkleidung tragen.

Warum schließen sich die Bürger von Malosco, Vallarsa und Cavareno nicht zusammen? Dadurch könnte man Synergieeffekte erzielen. Bürgermeister Adriano Marini in Malosco: „In allen Instanzen haben wird Recht bekommen. Es war nie eine Rede davon, dass eine Gemeinde kein Pestizidverbot aussprechen darf, weil sie nicht zuständig ist.“ Im Gegenteil, so Marini, ein Bürgermeister habe sogar die Pflicht, die Gesundheit seiner Bürger zu schützen.

Die Konformität mit den EU-Gesetzen ist aber ungewiss. Im „Standard“ vom 16. 9. hieß es mit Berufung auf die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ unter dem Titel „Südtiroler Gemeinde gegen Pestizide: Referendum rechtswidrig“ der Umgang mit Spritzmittel falle grundsätzlich unter EU-Kompetenz. Die Südtiroler Gemeinde Mals habe in ihrem Bestreben, eine pestizidfreie Ortschaft zu werden, einen Rückschlag hinnehmen müssen. Das Regierungskommissariat habe in einem Brief an Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) das Referendum als gesetzeswidrig bezeichnet und vor einem EU-Vertragsverletzungsverfahren gewarnt.

Dazu schrieb der Bürgermeister von Mals, Ulrich Veith, am 6. September an den Autor: „Der Wählerwille ist für die Gemeinde Mals bindend umzusetzen. Sie wurde nach Satzung und Verordnung der Gemeinde abgehalten und ist somit gültig. Das Regierungskommissariat hat lediglich eine Einschätzung abgegeben. Im Dezember findet eine Verhandlung vor dem ordentlichen Gericht in Bozen statt, weil einige Bürger gegen die Kommission für Abstimmungen, die Promotoren und die Gemeinde Mals eine Feststellungsklage eingereicht haben. Das Gericht soll darüber entscheiden, ob die Abstimmung rechtens ist oder nicht.“

Die Gemeinde Mals auch im Gegenwirnd auf Kurs: In einer kürzlich abgehaltenen Gemeinderatssitzung, so Veith, sei die Einsetzung einer Arbeitsgruppe beschlossen worden, die ein Konzept für nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft und des Tourismus ausarbeiten werde. Vorgabe: Verzicht auf sehr giftige, giftige chemisch-synthetische Pestizide und Herbizide.

Ob die Kläger in Mals sich durchsetzen werden, ist im Hinblick auf die Gemeinden Malosco, Vallarsa und Cavareno fraglich. Was in einer Gemeinde gültig ist, kann nicht in einer anderen ungültig sein. Es ist zudem schwer vorstellbar, dass eine derartig eindeutige Bekundung des Bürgerwillens gegen den Einsatz giftiger Spritzmittel einfach in den Wind geschlagen wird.

Fest steht, dass es in Sachen Spritzmittel-Verbot hart auf hart geht. Das hat schon Adriano Marini zu spüren bekommen. Und Johannes Fragner-Unterpertinger, Apotheker in Mals und Vorkämpfer für das Spritzmittel-Verbot, ebenso. Er griff die „maßlosen Obstbauern“ an, „die die letzten Hecken roden, die oft sogar auf die Agrios-Richtlinien über die Verwendung von Spritzmitteln pfeifen und die Existenz der einheimischen Bauern bedrohen“. In Mals bewirtschaften 30 Biobauern an die 200 Hektar Land.

Die Reaktion ließ nicht auf sich warten. Fragner-Unterpertingers Garten wurde verwüstet, das Familiengrab geschändet. Und es gab böse Zurufe: „Wenn ich dich erwische, fahre ich mit dem Traktor drüber, bis die Gedärme rausspritzen.“

Und fest steht auch, dass die Bürgerinitiative in Mals ein mutiges und revolutionäres Projekt ist, das Bewunderung verdient. Das fand auch die „Ilse Waldthaler Stiftung für Zivilcourage und soziale Verantwortung“ und gab Fragner-Unterpertinger und dem Promotorenkomitee im Hinblick auf ihren Einsatz für eine pestizidfreie Gemeinde Mals den Zivilcourage-Preis 2014. Hoffentlich macht die Initiative der drei Südtiroler Gemeinden Schule. Die Südtiroler Bevölkerung, Konsumenten, Touristen und Urlauber weiter mit giftigen Spritzmitteln zu belasten, ist jedenfalls nicht tolerabel!

(1) Wolfgang Hingst, Josef Ortner

Die Bio-Bibel. Auf ins Paradies. Vom täglichen Gift zu gesunden Lebensmitteln aus ökologischer Landwirtschaft. Wien, 1995

Quelle

Wolfgang Hingst 2014

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