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Depositphotos.com | carloscastilla | Huhn Käfig

© Depositphotos.com | carloscastilla | Um Bauernhöfe und Klima zu retten, muss die Bundesregierung jetzt eine drastische Reduktion der Nutztierzahlen in die Wege leiten und Höfe gezielt für den notwendigen Umbau ihrer Betriebe unterstützen.

„Wir produzieren mehr Fleisch, als wir essen“

Es gibt zu viele Nutztiere in Deutschland. Das schädigt das Klima und unsere Gesundheit. Ihre Zahl muss sinken, fordert der Verein Aktion Agrar. Interview mit Lena Hüttmann in „chrismon“.

Frau Hüttmann, viele Hühner werden nach wie vor in Massen in großen Hallen zusammengepfercht. Muss diese Art der Tierhaltung wirklich so sein?

Nein, das müsste nicht so sein. Mit diesen Ställen verlieren leider alle: Die Hühner leiden, das Klima und die Artenvielfalt gehen drauf – und niedrige Preise machen die kleinbäuerlichen Betriebe kaputt. Wir brauchen einen mutigen und konsequenten Dreh: endlich viel weniger Tiere, aber faire Preise und eine Unterstützung beim Umbau der Tierhaltung für die Betriebe.

Laut den Zahlen im aktuellen Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung stagniert die Zahl der Nutztiere in Deutschland seit einigen Jahren, bei Schweinen sinkt sie sogar. Reicht das nicht?

Nein, das ist irreführend, denn es suggeriert eine positive Entwicklung. Die absolute Zahl der in Deutschland gehaltenen Nutztiere ist immer noch viel zu hoch. 2016 wurden 190 Millionen Masthühner gezählt, hinzu kommen noch die Legehennen. Das sind mehrere Tiere für jeden Menschen in diesem Land.

Wo leben all diese Tiere?

Die meisten in großen Betrieben. Wir haben das mal für die Schweine gezählt: Zwar sinkt die absolute Zahl der Tiere, parallel haben in den vergangenen 20 Jahren viele schweinehaltende Betriebe in Deutschland aufgegeben, zugleich erhöhte sich der durchschnittliche Schweinebestand in den vergangenen zehn Jahren von 886 auf 1254 Schweine je Betrieb. Das heißt also: Es gibt immer weniger kleine Betriebe und immer mehr große Ställe. So viele Nutztiere schädigen unser Klima. Ihre Gülle verschmutzt die Umwelt. Tatsächlich entstehen zwei Drittel der klimaschädlichen Emissionen aus der Landwirtschaft in der Nutztierhaltung! 

Aber wenn die Nachfrage nun mal so hoch ist?

Das ist komplexer, als es zunächst scheint: Wir produzieren in Deutschland mehr Fleisch, als wir tatsächlich essen. Ein Teil der tierischen Produkte wird exportiert und als Billigfleisch in Ländern des globalen Südens verkauft. Und das ruiniert dort die kleinbäuerlich strukturierte Landwirtschaft. Masttiere in Deutschland sind auf die Fütterung von Kraftfutter wie Soja angewiesen. Dieses wird vor allem in Südamerika angebaut, wofür Regenwälder abgeholzt werden, Moore trockengelegt und Kleinbäuer*innen Land weggenommen wird.

Sie kämpfen mit Ihrem Verein für eine grundsätzliche Agrarwende. Welche Veränderung ist am dringlichsten?

Um Bauernhöfe und Klima zu retten, muss die Bundesregierung jetzt eine drastische Reduktion der Nutztierzahlen in die Wege leiten und Höfe gezielt für den notwendigen Umbau ihrer Betriebe unterstützen. Doch dazu gibt es viel zu wenig gute Fachberatung. Wir sind im stetigen Kontakt mit Betrieben. Und dort hören wir immer wieder: Wenn wir Fachberatung bekommen, dann selten zum Transformationsprozess, sondern viel stärker immer noch nach dem alten Mantra: Wenn du überleben willst, musst du wachsen. Das ist aus unserer Sicht falsch.

Seit einigen Jahren wird über die Einführung eines staatlichen Tierwohl-Labels diskutiert: Lebensmittel sollen so gekennzeichnet werden, dass ich als Konsumentin auf den ersten Blick sehe, wie dieses Tier vor seiner Schlachtung gehalten wurde. Bei Eiern gibt es das schon länger. Wir sehen Sie das?

Natürlich ist es gut, wenn das einzelne Tier mehr Platz hat. Aber an dem grundsätzlichen Problem ändert das geplante Label nichts. Die Zahl der gehaltenen Nutztiere bleibt zu hoch. Schlimmer noch: Wenn mit hohen Investitionen Ställe um- oder neu gebaut werden, ohne die Zahl der Nutztiere zu verringern, sind diese Ställe auf eine volle Auslastung angewiesen, sonst kann sich der Betrieb wirtschaftlich nicht halten.

Was müsste es statt des Labels geben?

Ich würde nicht von „statt“ sprechen, sondern von einer zusätzlichen Maßnahme: Die Zahl der gehaltenen Tiere an die Größe der landwirtschaftlichen Flächen eines Betriebes koppeln, eine sogenannte Flächenbindung auf Betriebsebene. Im nächsten Schritt sollten dann die Ställe besser ausgestattet sein, damit sich die Tiere wohler fühlen. Nur so können wir die Gesamtzahl der gehaltenen Nutztiere mittel- und auch langfristig wirklich senken.

Wie berechnet sich das Verhältnis von der Größe eines Betriebes, also seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche, und der Zahl der darauf gehaltenen Tiere?

In der Nutztierhaltung sprechen wir von einer „Großvieheinheit“, abgekürzt GV. Die Berechnungen sind kompliziert: Eine GV entspricht etwa 500 Kilogramm, so viel wiegen in etwa ein Rind oder 320 Legehennen bzw. alle Hühner, Schweine oder Schafe werden gleichsam in Rinder umgerechnet. Sehr vereinfacht gesagt fordern wir eine Begrenzung von unter 1,5 GV pro Hektar auf Betriebsebene, also maximal 1,5 Kühe pro Hektar Betriebsfläche. Wichtig ist dabei: Betriebsfläche heißt hier eben nicht nur Weide und Stall, sondern eben auch die Ackerfläche, die nötig ist, um Futtergetreide für dieses Tier anzubauen. Nur so werden wir unabhängig von Importen aus dem Ausland. Das Ziel sollte eine regionalnahe Kreislaufwirtschaft sein.

 Noch sind wir aber nicht so weit?

© www.aktion-agrar.de | Lena Hüttmann

Auch Bäuer*innen wollen gesunde und glückliche Tiere – es liegt nun bei uns, Druck dafür zu machen, dass die Billigfleischlogik zu einem Ende kommt und dass weniger Tiere gehalten werden, denen es besser geht. Denn das ist auch für unsere Zukunft am besten.

Lena Hüttmann ist Mitarbeiterin bei Aktion Agrar und setzt sich dort mit kreativen und durchdachten Aktionen für die Agrarwende ein. Sie hat im Bachelor und Master Ökologische Agrarwissenschaften studiert. Lena ist selbst auf einem kleinbäuerlichen Bioland-Betrieb aufgewachsen. Ihr Fokus liegt heute auf agrarpolitischer Kampagnenarbeit sowie intersektionaler Bildungsarbeit zu ökologischer Landwirtschaft.

Quelle

Erstveröffentlichung „chrismon“ 2022 / Das Evangelische Magazin | Das Interview führte Dorothea Heintze | Das Interview darf nicht ohne Genehmigung von „chrismon“ weiter verbreitet werden!

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