30 Jahre nach dem Mauerfall: Neue Länder bleiben finanzschwach
Trotz umfangreicher Zahlungen im Länderfinanzausgleich: Wirtschafts- und Finanzkraft der Länder noch immer sehr heterogen – Demografische Entwicklung wird ostdeutsche Flächenländer in kommenden drei Jahrzehnten besonders stark treffen – Gleichwertige Lebensverhältnisse immer schwerer zu erreichen.
30 Jahre nach dem Fall der Mauer sind die neuen Länder noch immer finanzschwach – und sie werden es auch in drei Jahrzehnten noch sein. Das ist das zentrale Ergebnis einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Obwohl im Zuge des Länderfinanzausgleichs seit Einbeziehung der neuen Länder im Jahr 1995 umfangreiche Zahlungen geflossen sind, unterscheiden sich die Länder nach wie vor deutlich in ihrer Wirtschafts- und Finanzkraft. So werden die originären Steuereinnahmen der neuen Flächenländer – Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg – vor der Umverteilung zwischen allen Ländern in diesem Jahr nur bei knapp 61 Prozent des Bundesdurchschnitts liegen. Die in der Studie berechneten Szenarien weisen darauf hin, dass es auch im Jahr 2050, also dann rund 60 Jahre nach dem Mauerfall, nur zwischen 70 und 80 Prozent sein dürften.
„Die Unterschiede in der Finanz- und Wirtschaftskraft der Länder sind noch immer groß“, resümiert Studienautorin und Finanzexpertin Kristina van Deuverden. „In den vergangenen drei Jahrzehnten haben sie sich zwar Stück für Stück angenähert, letztlich aber nur sehr langsam. Und das Gravierende ist: Setzen sich die Trends der vergangenen Jahre fort, werden Wirtschafts- und Steuerkraft der einzelnen Länder sogar schon bald wieder auseinanderdriften“, so van Deuverden.
Demografische Entwicklung ist Hauptproblem
Die Hauptursache dafür ist die demografische Entwicklung. In den Nachwendejahren sind viele Menschen – vor allem junge, gut ausgebildete – aus den neuen Ländern weggezogen, die Bevölkerung ging deutlich zurück, die Altersstruktur verschlechterte sich. Quasi automatisch wird deshalb die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner wie auch die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter schnell weiter sinken. So schrumpft beispielsweise die Bevölkerung in Sachsen-Anhalt bis 2050 im Vergleich zu heute um fast 21 Prozent, in Thüringen um gut 18 Prozent. Im Westen trifft es annähernd so stark nur das Saarland (minus 14 Prozent). „Deutschland hat ein demografisches Problem, und die neuen Länder trifft es besonders hart“, so van Deuverden.
Das schlägt sich in den Steuereinnahmen je Einwohnerin beziehungsweise Einwohner in den neuen Ländern wieder – denn diese kommen gemessen am Bundesdurchschnitt in den nächsten drei Jahrzehnten kaum vom Fleck. Auch die alten Flächenländer verlieren aber an Steuerkraft, während die Steuereinnahmen der Stadtstaaten, vor allem Berlins und Hamburgs, im Vergleich zu den anderen Ländern wohl kräftig zulegen werden. Die Heterogenität zwischen den Ländern nimmt folglich deutlich zu.
„Deutschland hat ein demografisches Problem, und die neuen Länder trifft es besonders hart.“ Kristina van Deuverden, Studienautorin
Weitere Reform des Finanzausgleichs ist unausweichlich
Dies bleibt auch so, nachdem die Steuereinnahmen im Finanzausgleich umverteilt worden sind. Grund dafür ist auch die sogenannte „Einwohnerveredelung“ in den Stadtstaaten. Die Höherbewertung der dortigen Einwohnerinnen und Einwohner um den Faktor 1,35 soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Städte in größerem Umfang auch Leistungen für die Einwohnerinnen und Einwohner der sie umgebenden Länder bereitstellen.
Dieses Prinzip, das auch im künftigen Finanzkräfteausgleich zwischen den Ländern gelten soll, trägt zur Schieflage bei. Den Szenarioberechnungen zufolge könnte beispielsweise die Finanzkraft Berlins im Jahr 2050 beim 2,4-fachen des Bundesdurchschnitts liegen. Die neuen Flächenländer und dann auch die alten werden weit davon entfernt sein. „Letztlich dürfte es immer schwieriger werden, dem Verfassungsauftrag gleichwertiger Lebensverhältnisse zu genügen“, bilanziert van Deuverden.
Obwohl soeben reformiert, kündige sich eine neue Reform des Finanzkräfteausgleichs daher bereits an, so van Deuverden. Dabei gehöre insbesondere die Einwohnerveredelung auf den Prüfstand. „Das grundsätzliche Problem ist jedoch die absehbare Bevölkerungsentwicklung – und diese lässt sich nur sehr langfristig ändern. Selbst eine verstärkte Zuwanderung könnte den Rückgang lediglich abmildern, dürfte aber zudem gerade in den neuen Ländern vielfach auf Widerstand stoßen.“
- Studie im DIW Wochenbericht 43/2019
- Infografik in hoher Auflösung
- Interview mit Studienautorin Kristina van Deuverden
- O-TON: Demografische Entwicklung hat Folgen für die Länderfinanzen – Interview mit Kristina van Deuverden