Atommüll macht AKW-Projekt teurer als geplant
Neue Studie zu Kosten und Risiken von Hinkley Point C
Das geplante britische Atomkraftwerk Hinkley Point C könnte um weitere Milliarden Euro teurer werden als bisher geplant. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der unabhängigen Atomexpertin Oda Becker im Auftrag des Ökoenergieanbieters Greenpeace Energy. Die Untersuchung nennt zu niedrig angesetzte Ausgaben für die Entsorgung von Atommüll sowie den möglicherweise nötigen Bau eines weiteren Endlagers in Großbritannien als Gründe für die Kostensteigerungen. Durch zusätzliche AKWs, Zwischenlager und Atommülltransporte steige zudem die Gefahr eines Nuklear-Unfalls.
Für das AKW Hinkley Point C werden bereits jetzt Baukosten von mindestens 30 Milliarden Euro veranschlagt. Hinzu kommen Betriebszuschüsse aus Steuermitteln, die sich nach Berechnungen des Analyseinstituts Energy Brainpool auf 108 Milliarden Euro summieren werden. „Selbst diese exorbitanten Subventionen für Hinkley Point C reichen offenbar nicht aus, um die langfristigen Entsorgungskosten abzudecken“, sagt Sönke Tangermann, Vorstand bei Greenpeace Energy, „das unterstreicht noch einmal die wirtschaftlichen und ökologischen Risiken dieses Projektes.“ Greenpeace Energy klagt gegen das von der EU-Kommission genehmigte Subventionspaket für Hinkley Point C, weil die hohen Atomsubventionen den europäischen Energiemarkt zu Lasten der Erneuerbaren verzerren.
Laut Studie fallen in Hinkley Point C über die gesamte Betriebszeit von 60 Jahren rund 6.800 abgebrannte Brennelemente mit einem Gewicht von 3.600 Tonnen Schwermetall (tSM) an. Die Preise für die Entsorgung von Atommüll aus Hinkley Point C sollen laut einer Vereinbarung mit dem britischen Staat erst im laufenden AKW-Betrieb festgelegt und außerdem gedeckelt werden. Für die mit Sicherheit entstehenden, ihrer Höhe nach aber noch nicht abschätzbaren Mehrkosten soll der britische Steuerzahler aufkommen. Die EU-Kommission hat dieses Verfahren im Herbst 2015 genehmigt.
Die höheren Kosten für den Atommüll aus Hinkley Point C ergeben sich aus zwei wesentlichen Umständen: Rechnet man die anfallenden Atommüllmengen für Hinkley Point C auf die von Großbritannien insgesamt geplanten 13 Atomreaktoren hoch, so ergibt sich ein Gesamtbestand an abgebrannten Brennelementen von 23.000 tSM. „Das ist deutlich mehr als das Doppelte der Gesamtmenge der jetzt betriebenen Reaktoren“, erklärt die Expertin Oda Becker. Um diese Mengen zu bewältigen, müsste möglicherweise ein zweites geologisches Tiefenlager gebaut werden, das aber bisher in den Entsorgungskosten überhaupt nicht berücksichtigt ist. Bisher hat Großbritannien nicht einmal einen geeigneten Standort für ein Endlager für den hochradioaktiven Atommüll der bestehenden Atomkraftwerke gefunden.
Die Kosten für die Endlagerung des Atommülls aus Hinkley Point C könnte zudem insgesamt zu niedrig angesetzt sein: Während die britische Regierung annimmt, dass die Entsorgungskosten nur 3,3 Prozent pro Jahr stärker als die Inflationsrate steigen, stiegen die Kosten bei ähnlichen Großprojekten – wie in Frankreich und Finnland – um 4,2 bis 4,5 Prozent stärker als die Inflationsrate. Die Entsorgungskosten dürften die den Investoren zugesicherte Preisobergrenze daher viel eher durchbrechen als erwartet. Der durch die Betreiber bezahlte Betrag wird diese Kosten also nicht völlig decken – eine weitere staatliche Subvention müsste den Fehlbetrag von ungefähr 1,1 Milliarden Pfund (rund 1,6 Mrd. Euro) aufbringen.
Zudem kommt eine in Großbritannien durchgeführte Simulation zu dem Ergebnis, dass sich die Endlagerungskosten auf 473.000 Pfund pro Tonne Uran belaufen. Dies wären 280.000 Pfund (rund 368.000 Euro) mehr pro Tonne als bisher veranschlagt. Um diese zusätzlichen Kosten zu decken, wäre eine weitere zusätzliche Subvention in Höhe von 445 Millionen Pfund (rund 585 Mio. Euro) erforderlich. „Eine geschätzte Gesamtsubvention von rund 1,6 Milliarden Pfund oder 2,1 Mrd. Euro pro Reaktor wäre also erforderlich – und das nicht nur für die beiden für Hinkley Point C geplanten Reaktoren“, so Studienautorin Oda Becker. Da es weltweit noch kein einziges Endlager für hochradioaktiven Müll gibt, sind die Kosten zudem nicht durch Erfahrungswerte belegbar, was weitere Kostenrisiken mit sich bringt.
Unabhängig von der Kostenfrage besteht die Gefahr, dass sich die Endlagersuche durch die geplanten Neubauprojekte weiter verzögert. Damit würden die abgebrannten Brennelemente in den oberirdischen Zwischenlagern verbleiben. Für einen sehr langen Zeitraum würde dann ein erhebliches Risiko von den Zwischenlagerstandorten ausgehen, warnt die Expertin. Weitere, bisher nicht ausreichend berücksichtigte Kosten und Risiken entstehen laut Studie unter anderem durch die Zwischenlagerung der abgebrannten Brennelemente und durch die erforderlichen Atommülltransporte. Würde ein ähnlicher Behältertyp eingesetzt wie der derzeit in Deutschland häufig verwendete Castor V/19, so wären für den Atommüll aus den in Großbritannien geplanten AKWs rund 2.300 Transportbehälter erforderlich und zum Beispiel etwa 100 Transporte per Bahn.
Vor einem ähnlichen Kostenrisiko wie Hinkley Point C stehen laut Oda Becker auch Reaktorprojekte in weiteren EU-Mitgliedstaaten, die sich möglicherweise am britischen Subventionsmodell orientieren. Würden die geplanten AKWs in Bulgarien, Polen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik und Ungarn wie geplant realisiert, dann würden dort zusätzlich abgebrannte Brennelemente mit einer Gesamtmenge von rund 34.000 Tonnen Schwermetall anfallen. In diesen Ländern sind bisher ebenfalls nur vorläufige oder unkonkrete Pläne für den langfristigen Umgang mit abgebrannten Brennelementen vorhanden.
Über die Autorin: Oda Becker ist Diplom-Physikerin und arbeitet seit rund 20 Jahren als unabhängige Wissenschaftlerin im Bereich Sicherheit und Risiko von Atomanlagen. Sie erstellte zahlreiche Studien zu Atomkraftwerken und Zwischenlagern, unter anderem zur Bewertung der Auswirkungen von möglichen Terrorangriffen, sowie Fachstellungnahmen zu geplanten Atomkraftwerken im europäischen Ausland. Zu ihren Auftraggebern gehören neben der österreichischen Regierung auch Stadtverwaltungen, Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace.