Bauen gegen die Klimakatastrophe?
„Global Warming Potential“ als Leitindikator: Die Initiative Effizienzhaus Plus im Rahmen des Forschungsprogramms Zukunft Bau, einem Forschungsprogramm des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), beinhaltet ein Förderprogramm für Modellhäuser, die den sogenannten Effizienzhaus-Plus-Standard erfüllen.
Damit sollen Bauherren unterstützt werden, die Gebäude errichten, die deutlich mehr Erneuerbare Energie produzieren, als für deren Betrieb notwendig ist. Die Projekte werden einzeln evaluiert und im Rahmen eines wissenschaftlichen Begleitprogramms vergleichend ausgewertet. In diesem Rahmen lies das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) ein Gutachten über die damit erschließbaren Umweltpotenziale erstellen.
Während eines Workshops des Netzwerks „Effizienzhaus Plus“ auf der Messe „BAU 2019“ wurde darüber in Form eines öffentlichen Werkstattdiskurses diskutiert. Eine interessante Aussage gab es gleich zu Beginn. Würde künftig ausschließlich nach dem Standard Energieeffizienz Plus gebaut, so eine interessante These, könnte mehr für den Klimaschutz erreicht werden, als wenn gar nicht gebaut würde. Ein Redner drückte es so aus: Wenn wir nur noch klimagerecht bauen, verbrauchen wir keine Energie mehr.
Der Lebenszyklus
Um das genauer zu beleuchten, werfen wir einen Blick auf besagtes Gutachten: Dort wurde eine Lebenszyklusbetrachtung, die neben der Nutzungsphase auch bauliche und anlagentechnische Mehraufwendungen hocheffizienter Gebäudestandards einbezieht, durchgeführt. Untersucht wurden die Gebäudestandards: Effizienzhaus Plus, KfW-Effizienzhaus 55, KfW-Effizienzhaus 40, Passivhaus und Solaraktivhaus/Sonnenhaus. Dabei wurde ein Lebenszyklus von jeweils 50 Jahren bilanziert. Speziell wurde dabei das Treibhauspotenzial bzw. das CO2-Äquivalent als Maßzahl für den relativen Beitrag zum Treibhauseffekt, also die mittlere Erwärmungswirkung der Erdatmosphäre, über einen bestimmten Zeitraum betrachtet. Diese Größe (englisch: Global Warming Potential oder auch Greenhouse Warming Potential, GWP) gibt an, wie viel eine bestimmte Masse eines Treibhausgases im Vergleich zur gleichen Menge CO2 zur globalen Erwärmung beiträgt.
Graue Energie
Eine Studie der Fachhochschule Burgenland im österreichischen Pinkafeld gibt zu bedenken, dass der Herstellungsenergiebedarf eines Niedrigenergie- und Passivhauses, bezogen auf seinen gesamten Lebenszyklus, wesentlich höher als der erforderliche Heizenergiebedarf sein könne. Hauptverantwortlich dafür seien Bau- und Dämmstoffe, welche in zahlreichen energieintensiven Umwandlungsschritten hergestellt wurden, wie z.B. Dämmstoffe auf Kunststoffbasis oder gebrannte Ziegel. Eine Bewertung der Herstellungsenergie und des durch die Wärmedämmung vorliegenden Einsparpotenzials sollte deshalb bei der Planung und Entwicklung zukunftsweisender Gebäude Berücksichtigung finden. Denn, so die Wissenschaftler, die „graue Energie“ für die Gebäudeerrichtung könne im ungünstigen Fall mehr als das 100-fache des jährlichen Heizenergiebedarfs eines Passivhauses betragen. Da die erwartete Lebensdauer eines Passivhauses kürzer als 100 Jahre sei, hat die graue Energie mehr Einfluss auf den Gesamtenergiebedarf als die Heizenergie selbst. Grundsätzlich gelte: Je weniger ein Baustoff bei seiner Herstellung bearbeitet, Wärmebehandlungen unterzogen bzw. chemisch verändert werden, umso niedriger sind die umweltrelevanten Belastungen.
Zurück zu dem Gutachten des BBSR/BBR: Bei der örtlichen Systemgrenze wurde mit der Grundstücksgrenze eine einheitliche Bilanzgrenze festgelegt, bei der Herstellungsphase ist die Rohstoffbeschaffung, der Transport und die Produktion berücksichtigt. Analog der Vorgehensweise bei Gebäudezertifizierungen wurde die Errichtungsphase nicht betrachtet. Auch wurden nur Bauteile der thermischen Gebäudehülle bilanziert. Geschossdecken, der Innenausbau sowie Bauteile außerhalb der thermischen Hülle wurden genauso vernachlässigt wie Bauteilflächen infolge dickerer Außenwände. Durch die Beschränkung der Herstellungsphase auf die Bauteile der thermischen Gebäudehülle ist deshalb kein Vergleich mit Ökobilanzen vollständig erfasster Gebäude möglich.
Das GWP im EFH
Das Gutachten kommt bezüglich des Global Warming Potential (GWP) bei Einfamilienhäusern zu dem Ergebnis, dass der Einsatz von überwiegend nachwachsenden Baustoffen zu deutlich geringeren Auswirkungen führt. Bezogen auf die Wohnfläche liegt das GWP im Vergleich zur normalen Bauweise um durchschnittlich 115 kg CO2-Äquivalent niedriger. Der Unterschied zwischen den Bauweisen mit normalen und mit hohen Umweltauswirkungen liegt bei rund 40 kg CO2-Äquivalent. Für das GWP innerhalb einer Lebenszyklusbetrachtung liegt der Anteil für Herstellung, Instandhaltung und Entsorgung der Gebäudehülle und der Anlagentechnik in einem Bereich zwischen 14 und 31%. Interessanterweise kommt man zu dem Schluss, dass die Installation einer großen PV-Anlage größere Umweltauswirkungen als die Bauweise hat. So ist die Nutzungsphase bei hoch energieeffizienten Gebäuden bezüglich des Energiebedarfs bzw. die Energieerzeugung überlagernd.
Das GWP im MFH
Im Vergleich zu obigen Ergebnissen liegt das GWP, wiederum bezogen auf die Wohnfläche im Vergleich zur normalen Bauweise, bei Mehrfamilienhäusern bei 610 kg CO2-Äquivalent. Der Unterschied zwischen den Bauweisen mit normalen und mit hohen Umweltauswirkungen liegt bei 605 kg CO2-Äquivalent. Der geringe Unterschied kommt durch den Ansatz von 2.500 kWh pro Jahr beim EFH zustande, der nur geringfügig unter den beim MFH jährlich angesetzten 20 kWh je m² Wohnfläche liegt.
Solarthermie oder PV
Die Feststellung aus dem Gutachten, dass die Installation einer großen PV-Anlage einen derart großen Einfluss habe, ist nur durch die Gutschriften für den ins öffentliche Netz eingespeisten Solarstrom zu erklären, Denn die Herstellung einer solchen Anlage ist, wie dort explizit aufgeführt wird, sehr energieintensiv. Ebenso interessant ist, dass es beim Solaraktivhaus/Sonnenhaus einen GWP-Anstieg durch die große Solarthermieanlage gibt und sich dieser viel stärker als die Lüftungsanlage beim Passivhaus auswirkt. Die positive Wirkung der Photovoltaikanlagen ist jedoch nur bei Überschusseinspeisung zu verzeichnen. Oder anders herum gedacht: Die geringe graue Energie und ihr gute Ökobilanz (Life Cycle Assessment LCA), sprich der Carbon Footprint eines Sonnenhauses, kommt nicht richtig zum Tragen, es sei denn man würde ihr eben eine größere PV-Anlage verpassen.
Prioritäten
Wird ganzjährig bilanziert, kaschiert dies den massiven Strombezug im Winter und die hohe Einspeisung im Sommer, was das öffentliche Stromnetz saisonal stark belastet. Somit ist diese Autarkie Illusion und reine Statistik. Durch die Nutzung thermischer Solarenergie für die Wärmebereitstellung können Gebäude in Kombination von energieeffizienter Bautechnologie mit Photovoltaik mehr Strom als auch Wärme gewinnen. Auch kann Effizienz wenig effektiv sein. Folglich hat die Effektivität einen höheren Stellenwert. Denn Effizienz macht in Bezug auf Ressourcenwirtschaftlichkeit erst mal keine Aussage. So nützen die besten spezifischen Energiekennwerte wenig, wenn der Verbrauch absolut nicht abnimmt. Noch dazu wird die eigentliche Herausforderung des Gebäudebestands von der Politik – siehe GebäudeEnergieGesetz – nicht angegangen. Der Neubau alleine hat leider nur eine sehr geringe Wirkung für das Klima.
- „Gutachten über erschließbare Umweltpotenziale von Effizienzhaus Plus Gebäuden“ Endbericht
- Graue Energie – ein wesentlicher Faktor zur Energieoptimierung von Gebäuden
Quelle
Der Bericht wurde von
der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie
e.V. (Mattias Hüttmann) 2019 verfasst
– der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Matthias Hüttmann weiterverbreitet werden! | SONNENENERGIE
01/2019 | Das Inhaltsverzeichnis zum Download!