Anti-Eissystem hält Rotorblätter eisfrei
In sehr kalten Klimazonen weht der Wind besonders kräftig. Dennoch werden in diesen Regionen bislang selten Windturbinen installiert.
Die Gefahr der Eisbildung auf den Rotorblättern ist zu hoch. Ein energieeffizientes Heizsystem soll die Turbinen in Sekundenschnelle vom Eis befreien. Es schaltet sich nur ein, wenn Wasser gefriert.
Viele Unternehmen scheuen den Bau von Windkraftanlagen in nördlichen Gebieten, obwohl der Wind stark weht. Die Wetterbedingungen sind eine enorme Herausforderung: Wenn sich bei Temperaturen unter Null und bei frostigen Stürmen auf den Rotorblättern eine Eisschicht bildet, verschlechtern sich die aerodynamischen Eigenschaften. Die Turbinen können weniger Energie produzieren. Durch die veränderte Verteilung der Lasten entstehen Unwuchten, sodass die Räder darüber hinaus schneller kaputt gehen können. Hinzu kommt das Sicherheitsrisiko durch herabfallende Eiszapfen. Bei der Gefahr von Eisbildung werden die Anlagen sofort abgeschaltet. Die jährliche Stromproduktion minimiert sich deutlich – die Vereisungen verursachen Leistungseinbußen von 14 bis 20 Prozent. Trotz des großen Potenzials werden in den kalten Klimazonen folglich eher selten Windräder aufgebaut. Hier setzt das EU-Projekt »Windheat« an: In Zusammenarbeit mit sechs Unternehmen aus vier EU-Ländern entwickeln Forscher am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart ein energieeffizientes Eiserkennungs- und Enteisungssystem für Kleinkraftwindanlagen. Zeiten des wetterbedingten Stillstands sollen vermieden werden.
Carbon-Nanotube-Schicht bringt das Eis zum Schmelzen
Bestehende Anti-Eissysteme sind energieintensiv, da sie das komplette Rotorblatt beheizen – unabhängig davon, ob auch tatsächlich das gesamte Blatt betroffen ist. Bei Windheat verfolgen die Projektpartner einen anderen Weg: Das Rotorblatt ist in verschiedene Zonen aufgeteilt, die jeweils mit einer Carbon-Nanotube-(CNT)-Beschichtung ausgestattet sind. In jede CNT-Schicht ist wiederum ein eigener Eisdetektor integriert. »Unsere Schicht aus Kohlenstoffnanoröhren beheizt nur die Zonen, die tatsächlich vereist sind. Das sind vor allem die Kanten des Rotorblatts«, sagt Anne Gerten, Wissenschaftlerin am IPA.
Die kleinen, sensiblen Sensoren messen permanent die Temperatur und die Feuchtigkeit an der Oberfläche, reagieren auf kleinste Schwankungen und erkennen, wenn Wasser gefriert. Wird Eis entdeckt, schalten die Detektoren in Sekundenschnelle das entsprechende Heizelement – also die CNT-Schicht – an. Ist das Eis geschmolzen, wird die Heizung automatisch abgestellt. »Mit der Kombination aus CNT-Schicht und Sensoren können wir gezielt die vereisten Zonen beheizen und zwar dann, wenn es tatsächlich erforderlich ist«, so Gerten. Ziel des Projekts ist es, die Energieeffizienz mit dieser Enteisungsstrategie um mindestens 18 Prozent zu steigern.
Die wenige Mikrometer dicke CNT-Schicht lässt sich leicht auf dem Rotorblatt anbringen: Sie wird durch Sprühen auf eine selbstklebende Polymerfolie aufgebracht. Ein Klarlack isoliert die Schicht und schützt sie zusätzlich vor Feuchtigkeit und mechanischen Einwirkungen. Für das Material entschieden sich die Forscher wegen der sehr guten elektrischen Eigenschaften. »Im Prinzip sind die Kohlenstoffnanoröhren gewickelte Lagen von Graphen, die sich stellenweise berühren. An diesen Kontakten wird der elektrische Strom in Wärme umgewandelt«, erläutert die Forscherin.
Tests im Windkanal
Auf welchen Arealen der Rotorblätter sich besonders häufig Eis bildet, wurde im Projekt durch Computersimulationen ermittelt. Neuralgische Punkte sind vor allem die Blattkanten. Diese Ergebnisse konnten die Forscher vom IPA in Tests im Windkanal bestätigen. Bei minus 30 Grad Celsius, bei Eis, Regen und Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 km/h wurden verschiedene Prototypen unter realen Bedingungen geprüft. Unter anderem bestückten die Wissenschaftler das Rotorblatt eines Kleinkraftwindrads mit der CNT-Schicht. »Wir haben sowohl für die Sensoren als auch für die Heizelemente kostengünstige Materialien verwendet. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um das Enteisungssystem in Serie zu fertigen«, sagt Dipl.-Ing. Sascha Getto, Kollege von Anne Gerten am IPA und verantwortlich für die Tests im Windkanal. »Die Prototypen haben wir für Kleinkraftwindanlagen konzipiert und konstruiert, sie lassen sich aber durchaus hochskalieren.« Auch in der Luftfahrt sieht Getto ein mögliches Anwendungsfeld für das Windheat-System – etwa um die Tragflächen von Flugzeugen zu enteisen.
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Quelle
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA 2014