Lebensmittel lokaler produzieren könnte helfen, Klima-Emissionen zu senken
Millionen Tonnen von Lebensmitteln aus der Landwirtschaft werden in unsere Städte transportiert. Diese Lebensmittelfracht wird von überall auf der Welt auf Straßen, Schienen oder zu Wasser quer über den Globus vom Hoftor bis in die Städte befördert, und ist mit einer gigantischen Menge von CO2-Emissionen verbunden.
Erstmals hat nun ein Team von Stadtforschern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) das globale Potenzial der lokalen Lebensmittelproduktion untersucht, um Städte in Gegenwart und Zukunft zu ernähren. Ihre Arbeit zeigt, dass große Mengen von Stadtbewohnern in vielen Teilen der Welt durch die lokale Landwirtschaft ernährt werden. Wird der Klimawandel jedoch entgegen dem Pariser Klima-Abkommen nicht zügig begrenzt, so könnte der Klimawandel diese Option zunichte machen.
Äpfel aus Neuseeland, Avocados aus Kalifornien, Steaks aus Argentinien – das sind nur einige Beispiele für landwirtschaftliche Güter, die über große Entfernungen rund um den Globus transportiert werden, um die Menschen in unseren Städten zu versorgen. „Bereits heute sind diese Transporte für einen großen CO2-Fußabdruck verantwortlich, und es ist klar, dass eine wachsende Weltbevölkerung nicht nur wachsende städtische Infrastrukturen, sondern auch wachsenden Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen bedeutet“, sagt Prajal Pradhan, Ko-Autor der Studie. „Deshalb haben wir uns gefragt: Was wäre, wenn Städte ihre Lebensmittel aus lokaler Landwirtschaft in ihrer Umgebung beziehen würden? Wie viele Menschen könnten so ernährt werden, wie viel CO2 könnte durch den reduzierten Transportbedarf eingespart werden – und gibt es noch weitere wichtige Faktoren, wie z.B. sich verändernde Lebensstile, oder auch das urbane Wachstum, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen? Und wie würde ein ungebremster Klimawandel dieses Bild verändern?“.
Südasien hat das größte Potenzial, die Stadtbewohner mit lokaler Landwirtschaft zu versorgen
Die Städteforscher zeigen, dass im Schnitt etwa 35 Prozent der Stadtbewohner weltweit durch lokale Landwirtschaft ernährt werden könnten. Allerdings ist die Situation von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. Regionen wie Südasien mit Ländern wie Indien könnten von der lokalen Agrarproduktion stark profitieren – es wäre möglich, sogar mehr als 80 Prozent ihrer Stadtbevölkerung ernähren. Wenn sich jedoch der Klimawandel, das städtische Bevölkerungswachstum und die Veränderungen im Lebensstil weiter so beschleunigen, wie bisher beobachtet, wäre das künftig keine tragfähige Option mehr.
Den stärksten Einfluss auf die künftige Nachfrage von Städten nach Lebensmitteln hat das Wachstum der Städte, so zeigt die Arbeit der Forscher. Zweitwichtigster Faktor sind Lebensstile und Ernährungstrends wie etwa ein weiter steigender Fleischkonsum. Dritter Faktor ist der Klimawandel mit seinen Folgen, der sich auf die landwirtschaftliche Produktion auswirkt. Während in Südasien etwa das Stadtwachstum dafür sorgt, dass das lokale Ernährungspotenzial im Jahr 2050 um etwa 30 Prozent zurückgehen könnte, ist es in Nordafrika der Klimawandel und das urbane Wachstum, welches das lokale Ernährungspotenzial bis Mitte des Jahrhunderts um etwa 30 Prozent drückt. Lebensstiländerungen und Ernährungsweisen spielen vor allem in Entwicklungsregionen eine große Rolle, während sich die Situation in Regionen wie Nordamerika oder Westeuropa kaum verändern wird, so die Studie.
Die Forscher haben mehr als 4.000 Städte mit jeweils mehr als 100.000 Bewohnern untersucht. Um ihr Konsumverhalten untersuchen zu können, wurden Städte dabei nicht als einzelne Verwaltungseinheit betrachtet, sondern als funktionell miteinander verbundene Ballungsräume städtischer Orte – wie etwa bei Zwillingsstädten oder eng beieinander liegenden Städten in einer Region. New York umfasst zum Beispiel mehr als 1.000 Verwaltungseinheiten an der Ostküste der USA, während die größten Stadtcluster nach Einwohnerzahl Gebiete um Megastädte wie Guangzhou, Tokio und Mexiko-Stadt mit jeweils bis zu 40 Millionen Einwohnern sind. Die Gesamtbevölkerung aller berücksichtigten Städte beträgt mehr als 2,5 Milliarden Menschen – das entspricht rund 70 Prozent der städtischen Bevölkerung im Jahr 2010.
„Das Klimaproblem wird maßgeblich in Städten entschieden“
Mit einem am PIK entwickelten neuen Urbanisierungsmodell analysierten die Wissenschaftler das Ernährungspotenzial der lokalen Landwirtschaft auf den umliegenden Flächen und untersuchten, wie lokalere Produktion den ökologischen Fußabdruck in Stadtgebieten durch den Wegfall des Lebensmitteltransports reduzieren könnte. „Natürlich kann man nicht einfach einen Schalter umlegen und die Ernährung unserer Städte von heute auf morgen auf lokale Landwirtschaft umstellen“, erklärt Steffen Kriewald. „Die regionale Landwirtschaft kann nicht den gesamten Speiseplan einer globalisierten Landwirtschaft produzieren – der Ernährungsbedarf könnte jedoch in vielen Regionen der Welt gedeckt werden, das zeigt unsere Studie.“
„Das Klimaproblem wird maßgeblich in Städten entschieden, sie sind zentral für eine nachhaltige Zukunftsentwicklung“, so Jürgen Kropp, stellvertretender Leiter der PIK-Forschungsabteilung Klimaresilienz. „Unsere Studie liefert die erste Analyse des globalen Potenzials einer Selbstversorgung von Städten aus lokaler Landwirtschaft und kombiniert dies mit anderen relevanten Effekten. So konnten wir zeigen, dass eine optimierte lokale Produktion die Emissionen weltweit aus dem Lebensmitteltransport um den Faktor zehn reduzieren könnte – damit könnten etwa vier Prozent der gesamten globalen CO2 -Emissionen eingespart werden.“ Die Forscher betrachten das als konservative Zahl, da beispielsweise der Luftverkehr aufgrund fehlender Daten hier noch nicht berücksichtigt wurde. Eine lokale Produktion von Lebensmitteln könnte zugleich die Abhängigkeit von weltumspannenden Nahrungsmittelproduktionsketten verringern, während im Gegenteil ein weiteres unkontrolliertes Stadtwachstum, Ernährungs- und Klimawandel diesen Effekt umkehren würden. Kropp: „Wir zeigen, dass die Produktion von Lebensmitteln vor Ort als eine Art Anpassung dienen könnte, welche die lokale Ernährungssicherheit gewährleistet, lokale Nährstoffkreisläufe schließt und damit zum Klimaschutz beiträgt.“
- Artikel: Steffen Kriewald, Prajal Pradhan, Luis Costa, Anselmo Garcia Cantu Ros, Jürgen Kropp (2019): Hungry Cities: how local food self-sufficiency relates to climate change, diets, and urbanization. Environmental Research Letters [DOI:10.1088/1748-9326/ab2d56] Weblink zum Artikel: https://doi.org/10.1088/1748-9326/ab2d56
- Weblink zu einem Kurz-Video mit einem der Wissenschaftlern: https://youtu.be/j-yZIN87OzU
Weitere Studien, die kürzlich vom Team der Stadtforscher am PIK veröffentlicht wurden:
- Haroldo V. Ribeiro, Diego Rybski, Jürgen P. Kropp (2019): Effects of changing population or density on urban carbon dioxide emission. Nature Communications. [DOI 10.1038/s41467-019-11184-y] Weblink zum Artikel: https://www.nature.com/articles/s41467-019-11184-y
- Linda Krummenauer, Boris. F. Prahl, Luís Costa, Anne Holsten, Carsten Walther, Jürgen P. Kropp (2019): Global drivers of minimum mortality temperatures in cities. Science of the Total Environment. [DOI 10.1016/j.scitotenv.2019.07.366] Weblink zum Artikel: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969719334801
- Martin Behnisch, Martin Schorcht, Steffen Kriewald, Diego Rybski (2019): Settlement percolation: A study of building connectivity and poles of inaccessibility. Landscape and Urban Planning. [DOI: 10.1016/j.landurbplan.2019.103631] Weblink zum Artikel: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0169204618310661