Neue Beweise für die Abschwächung des Golfstroms
Der Golfstrom wird schwächer, konkrete Messungen jedoch gibt es wenig. Zwei neue Studien liefern weitere Beweise.
Klimamodelle prognostizieren schon seit vielen Jahren die Abschwächung des Golfstroms durch die Klimakrise. Festzustellen, wie es dem Golfstrom tatsächlich geht, scheiterte bisher daran, dass es zu wenige Daten gibt. Die Stärke des Golfstroms wird erst seit 16 Jahren gemessen, dabei zeigt sich eine schwache Abnahme. Um eine eindeutige Tendenz festzustellen, ist das zu kurz.
Dem Ozeanografen Christopher Piecuch ist es vor kurzem gelungen, den Zeitraum durch eine indirekte Messmethode auf die letzten 110 Jahre auszudehnen. Der Wissenschaftler nutzte dazu die Auswirkung der Corioliskraft. Falls Sie sich aus dem Physikunterricht noch erinnern: Die Corioliskraft basiert auf der Erdrotation und ist der Grund, warum Wasser im Abfluss des Waschbeckens einen Wirbel bildet, der auf der Süd- und Nordhalbkugel jeweils rechts- beziehungsweise linksherum wirbelt.
Mit Tidemessungen den Golfstrom berechnet
Das Wasser am äusseren Rand des Wirbels steht dabei höher als in der Mitte, der Höhenunterschied ist vom Durchfluss abhängig. Das gleiche Phänomen gibt es auch bei Meeresströmungen wie dem Floridastrom, der zum Golfstrom gehört. Dort wird die Meereshöhe seit mehr als 100 Jahren an verschiedenen Stellen erfasst. Nach Piecuchs Berechnungen, die er im Mai 2020 in «Nature Communications» publiziert hat, hat der Floridastrom seit 1909 merklich an Stärke eingebüsst. Die Rekonstruktion stimmt mit den gemessenen Werten überein.
Der Golfstrom, der im Golf von Mexiko beginnt, transportiert grosse Mengen warmes, salzreiches Wasser an den USA entlang nach Norden, überquert dann den Atlantik und wird dort zum Nordatlantikstrom, der sich in zwei Teile teilt. Der nördliche Ausläufer streift Europa und taucht bei Spitzbergen wieder ab, weil das salzreiche Wasser, das er mitbringt, schwerer ist als salzarmes. Kaltes, salzärmeres Wasser fliesst dafür in der Tiefe zurück nach Süden.
Im Nordatlantik wurde in den letzten Jahren ein grosser Fleck mit unüblich kalten Oberflächentemperaturen gemessen. Eine auffallende Anomalie, da sich die Meere im Gesamten erwärmen. Piecuch nimmt an, dass diese Kälteblase auf die nachlassende Tiefenströmung des Golfstroms zurückzuführen ist.
Zwei Wissenschaftler aus Peking und den USA sind Modellrechnungen nachgegangen, die sich auf den Salzgehalt des Meeres im Südatlantik beziehen. Wenn der Golfstrom schwächer wird, sagen diese aus, fliesst das Wasser langsamer. Damit verdunstet im warmen Südatlantik mehr Wasser, der Salzgehalt des Meeres steigt. Diese Annahmen fanden die Forscher in Salzmessungen bestätigt.
Weitere Arbeiten, auf die sich das IPCC in seinem letzten Klimabericht zu den Ozeanen von 2019 bezieht, weisen darauf hin, dass der Golfstrom sich seit 1‘500 bis 1‘600 Jahren abschwächt. Untersuchungen von Sedimenten am Floridastrom, die auf die Meereshöhe schliessen lassen, legen nahe, dass der Golfstrom schwächer ist als während der vergangenen 1’000 Jahre. Piecuch weist darauf hin, dass Tidemessungen aus mindestens 50 weiteren Jahren noch nicht digitalisiert sind.
Ob dann hier die Heizung ausgeht, ist unklar
Lange ging man davon aus, dass in Europa «die Heizung ausgeht», falls der Golfstrom abreisst. Die warme Meeresströmung schwächt Temperaturextreme ab und sorgt für ein mildes Klima in Europa. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) geht davon aus, dass der Golfstrom abrupt versiegen kann. Dass Nordamerika dann in wenigen Tagen schockgefriert wie im Emmerich-Film «The Day after Tomorrow», ist aber eher Hollywood-Dramaturgie. Ohne Golfstrom wäre das Wetter in Mitteleuropa nach Schätzungen um ein bis zwei Grad, in Nordeuropa um bis zu sechs Grad kälter.
Woher der Wind weht
Aber der Golfstrom macht das Klima nicht allein. Daran beteiligt ist unter anderen auch der Jetstream. Eine Verschiebung des schnellen, starken Winds, der in einem schmalen Band von West nach Ost weht, sorgt in Europa normalerweise für wechselndes Wetter, weil er wie eine Wetterbarriere wirkt.
Durch den Klimawandel wird der Höhenwind schwächer und damit langsamer. Wetterlagen können sich so lange halten. Die kalte Stelle im Nordatlantik umgeht der mäandernde Wind dabei gerne, fanden Wissenschaftler 2016. Was dann passiert, ist uns aus den Hitzesommern der letzten beiden Jahrzehnte bekannt: wochenlang heisse, trockene Luft aus Südwest. Daraus lässt sich schliessen, dass es zukünftig zu langanhaltenden Wetterextremen kommen kann.
Golfstrom und Jetstream sind nur ein Teil der weltweiten Einflussgrössen. Wie genau sich beides auf das Klima auswirkt, ist eine komplexe Frage. Das IPCC ging 2019 von einer Abschwächung des Strömungssystems AMOC (Atlantic meridional overturning Circulation) um 15 Prozent in den letzten 70 Jahren aus. AMOC ist der wissenschaftliche Name des Golfstromsystems. Die neuesten Klimamodelle prognostizieren eine AMOC-Abschwächung von 34 bis 45 Prozent bis zum Ende des Jahrhunderts. AMOC wird vom IPCC dabei als Kipppunkt verstanden. Risse er ab, würde das das weltweite Klima unabänderlich beeinflussen.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „INFOsperber.ch“ (Daniela Gschweng) 2020 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden!