Stadtstrukturen können Planern helfen, Belastungen durch Lärm, Feinstaub und Hitze besser vorherzusagen
Fallstudien in Berlin und Leipzig zeigen Zusammenhänge. Anhand der Bebauungsstruktur lässt sich gut vorhersagen, wie stark Menschen in einer Stadt Lärm und Feinstaub sowie hohen Temperaturen ausgesetzt sind.
Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Fallstudien der Humboldt Universität zu Berlin und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), die diese Zusammenhänge anhand von Daten aus Leipzig untersucht hatten. Die Auswirkungen von künftigen Veränderungen wie Neubau, Rückbau, Lückenbebauung oder Abriss in städtischen Strukturen auf Lärmbelastung, Luftqualität und Hitzestress in Wohngebieten könnten anhand der Bebauungsstrukturen so schon im Voraus gut eingeschätzt werden, schreiben die Forscherinnen und Forscher im Fachblatt Science of the Total Environment.
Leipzig hat seit der Wiedervereinigung 1990 einen drastischen Strukturwandel erlebt, der typisch für viele Städte in Europa ist. Sozialistische Stadtstrukturen wie Großwohnsiedlungen waren davon genauso betroffen wie Gründerzeitviertel oder neu entstandene Siedlungen mit Einfamilienhäusern am Stadtrand. Die Autorinnen und Autoren der Studien klassifizierten diese verschiedenen Bebauungsformen in sieben Gruppen mit unterschiedlichen Gebäudeanordnungen und -höhen. Anschließend verglichen sie diese Gruppen mit den vom Amt für Umweltschutz der Stadt Leipzig gemessen Daten aus der aktuellen Lärmkartierung, die 2005 bis 2007 im Rahmen der EU-Umgebungslärmrichtlinie erstellt wurde. Die Daten zur Luftqualität stammen von Modellrechnungen des Leipziger Umweltamtes und vier Messstationen in Leipzig, an denen Feinstaub der Größenklasse PM10 (also luftgetragener Partikel kleiner als zehn Mikrometer) als Indikator für die Luftverschmutzung regelmäßig gemessen wird. Außerdem wurden zwei Flüge mit einer Thermalkamera ausgewertet, um Details zur Hitzebelastung untersuchen zu können.
In reinen Wohngebieten konnten Zusammenhänge zwischen Baustrukturen und Gebäudehöhe einerseits sowie der Belastung mit Lärm bzw. Feinstaub andererseits gezeigt werden. Die Bebauung bestimmt, wie sich Feinstaub und Lärm in Wohngebieten ausbreiten. Diese Erkenntnisse können helfen, künftig kostenintensive Messungen zu reduzieren bzw. die Messtechnik noch gezielter einzusetzen. Zudem weisen sie darauf hin, welche Gebäudestrukturen Lärm- und Luftbelastung effektiver abpuffern als andere. Damit ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten, bereits während der Planung einer neuen Bebauung einfach und schnell eine qualitative Vorstellung von deren Einfluss auf zukünftige Belastungen zu erhalten. Aus früheren Untersuchungen ist auch bekannt, dass die Belastung der Luft mit Feinstaub und Stickstoffdioxid innerhalb einer Stadt sehr unterschiedlich sein kann und mit sozialen Indikatoren verknüpft ist. Zusammen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in Berlin konnte das UFZ zeigen, dass ein Zehntel der Berliner Bevölkerung in Gebieten mit einem niedrigen sozial-ökonomischen Entwicklungsindex mit hoher Luftbelastung lebt und somit doppelt benachteiligt ist. In Leipzig stammte rund 40 Prozent der Verschmutzung mit Feinstaub der Größenklasse PM10aus dem motorisierten Straßenverkehr. Die höchsten Belastungen an Feinstaub traten in Gebieten mit mehrgeschossigem Geschosswohnungsbau und Reihenhäusern auf, die geringsten Belastungen in Arealen mit Ein- und Zweifamilienhäusern.
Lärm und Luftverschmutzung können ernste körperliche, psychische und soziale Folgen haben. Die Lärmkartierung in Europäischen Ballungsräumen ab 250.000 Einwohnern hat beispielsweise ergeben, dass tagsüber 56 Millionen und nachts 40 Millionen Menschen Lärmbelastungen von über 55 dB(A) ausgesetzt sind. Die Europäische Umweltagentur (EUA) schätzt, dass mehr als 900.000 Menschen in Europa aufgrund der Lärmbelastung unter Bluthochdruck leiden, pro Jahr etwa 43.000 Menschen davon mit Infarkt oder Schlaganfall im Krankenhaus eingeliefert werden und das bei mindestens 10.000 Fällen pro Jahr zum vorzeitigen Tod führt. Die Umweltagentur fordert daher, dass der Lärmschutz bei der Bauplanung stärker berücksichtigt wird. Ähnliches gilt für die Luftqualität: Etwa 90 Prozent der europäischen Stadtbewohner sind laut EUA Luftschadstoffen in Konzentrationen ausgesetzt, die über dem als gesundheitsgefährdend erachteten Wert liegen. Feinstaubpartikel sind verantwortlich für Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch sie sorgen so für eine erhöhte Sterblichkeit. Schätzungen zufolge verringert sich die Lebenserwartung in der EU etwa durch Feinstaubpartikel (PM2.5) in der Luft um mehr als acht Monate.
Weniger bekannt sind die Langzeitauswirkungen, die zunehmende Hitzewellen in Städten haben können. In städtischen Gebieten sind die Oberflächen- und Lufttemperaturen meist deutlich höher als im Umland – mit negativen Folgen bei Extremtemperaturen im Sommer, vor allem den sogenannten „tropischen Nächten“. Das Hitzeinsel-Phänomen beschäftigt daher die Gesundheitsforschung. Für die Studie in Leipzig wurden zwei Flüge mit einer Thermalkamera ausgewertet, die das Amt für Umweltschutz der Stadt im September 2010 durchgeführt hatte. Dabei traten die höchsten Durchschnittstemperaturen am Abend mit 15.6° Celsius in Plattenbausiedlungen und am Morgen mit 10.7° Celsius in mehrstöckigen Mietskasernen aus der Gründerzeit auf. Letztere speichern gut die Wärme und kühlen so weniger über Nacht ab als andere Strukturen. Die niedrigsten Abend- und Morgentemperaturen wurden dagegen auf Brachflächen gemessen. Die Ergebnisse bestätigten erneut, dass unbebaute, begrünte und Wasserflächen sehr wichtig für das Klima in der Stadt sind, da sie weniger Wärme speichern als die bebauten Flächen oder selbst Verdunstungswasser abgeben und dadurch im Sommer tagsüber kühlend wirken. Die Gebäudehöhe, der Anteil der bebauten Fläche und die Entfernung zum Stadtzentrum sind wichtige Indikatoren, aus denen sich die Hitzebelastung für die Bevölkerung ableiten lässt.
Zusammen mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der New Yorker Universität The New School verglichen die Forscher außerdem die Großstädte Berlin und New York. Bei der Analyse der Siedlungsstrukturen und der Oberflächentemperaturen aus Satellitendaten zeigte sich, dass sich beide Städte in 15 Strukturklassen einteilen lassen, die auch die Temperaturmuster ziemlich zuverlässig wiedergeben. Ein weiterer Beleg, dass sich die Hitzebelastung in einem bestimmten Stadtgebiet gut aus den Strukturen vorhersagen lässt.
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Publikation
Nicole Weber, Dagmar Haase, and Ulrich Franck (2014):
Zooming into temperature conditions in the city of Leipzig: How do urban built and green structures influence earth surface temperatures in the city?, Science of The Total Environment, Volume 496, Pages 289-298, ISSN 0048-9697
http://dx.doi.org/10.1016/j.scitotenv.2014.06.144
Nicole Weber, Dagmar Haase, and Ulrich Franck (2014):
Traffic-induced noise levels in residential urban structures using landscape metrics as indicators. Ecological Indicators, Volume 45, Pages 611-621, ISSN 1470-160X,7
http://dx.doi.org/10.1016/j.ecolind.2014.05.004
Nicole Weber, Dagmar Haase, and Ulrich Franck (2014): Weber, N., Haase, D., Franck, U., (2014):
Assessing modelled outdoor traffic-induced noise and air pollution around urban structures using the concept of landscape metrics. Landsc. Urban Plan. 125, 105 – 116
http://dx.doi.org/10.1016/j.landurbplan.2014.02.018
Ulrich Franck, Heinz-Josef Klimeczek, and Annegret Kindler (2014):
Social indicators are predictors of airborne outdoor exposures in Berlin. Ecological Indicators, Volume 36, Pages 582-593, ISSN 1470-160X,
http://dx.doi.org/10.1016/j.landurbplan.2014.02.018
Neele Larondelle, Zoé A. Hamstead, Peleg Kremer, Dagmar Haase, and Timon McPhearson (2014):
Applying a novel urban structure classification to compare the relationships of urban structure and surface temperature in Berlin and New York City, Applied Geography, Volume 53, Pages 427-437, ISSN 0143-6228,
http://dx.doi.org/10.1016/j.apgeog.2014.07.004
Quelle
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) 2015 & Humboldt-Universität zu Berlin 2015