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Wasserstoff statt Elektrifizierung?

Chancen und Risiken für Klimaziele

Wasserstoffbasierte Brennstoffe sollten vor allem in Sektoren wie der Luftfahrt oder industriellen Prozessen eingesetzt werden, die nicht elektrifiziert werden können. Ihre Herstellung ist zu ineffizient, zu kostspielig, und ihre Verfügbarkeit zu unsicher, um damit fossile Brennstoffe auf breiter Front zu ersetzen – etwa in Autos oder beim Heizen von Gebäuden.

Das zeigt eine neue Studie. Für die meisten Sektoren ist die direkte Nutzung von Elektrizität, zum Beispiel in Elektroautos oder Wärmepumpen, wirtschaftlich sinnvoller. Setzt man stattdessen in erster Linie auf Brennstoffe auf Wasserstoffbasis statt Elektrifizierung und behält Verbrennungstechnologien bei, so die Forscher, könnte eine Verlängerung der Abhängigkeit von fossilen Energien drohen – und weiterer Ausstoß von Treibhausgasen.

„Wasserstoffbasierte Brennstoffe sind ein beeindruckend vielseitiger Energieträger – doch beeindruckend sind auch ihre Kosten und die damit verbundenen Risiken“, sagt Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Leitautor der Studie. „Solche Brennstoffe als universelle Klimalösung sind ein bisschen ein falsches Versprechen. Sie sind zwar wunderbar vielseitig, aber es ist nicht zu erwarten, dass sie fossile Brennstoffe auf breiter Front ersetzen können. Das gelingt nur mit direkter Elektrifizierung. Wasserstoffbasierte Kraftstoffe werden wahrscheinlich für mindestens ein weiteres Jahrzehnt sehr knapp und nicht wettbewerbsfähig sein.“

Ueckerdt weiter: „Auf ihren großflächigen Einsatz zu setzen, könnte letztlich sogar die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verlängern: Wenn wir an Verbrennungstechnologien festhalten – in der Hoffnung, sie mit wasserstoffbasierten Brennstoffen weiter betreiben zu können – und sich dann die neuen Brennstoffe als zu teuer und knapp erweisen, werden wir am Ende weiter auf Öl und Gas zurückgreifen. Das gefährdet die kurzfristigen und langfristigen Klimaziele.“

Priorisierung auf Anwendungen wie Luftfahrt und Stahlproduktion

„Wir sollten daher die wertvollen wasserstoffbasierten Brennstoffe prioritär für diejenigen Anwendungen einsetzen, für die sie unverzichtbar sind: die Langstreckenflüge, Teile der chemischen Produktion, Stahlerzeugung und möglicherweise einige industrielle Hochtemperaturprozesse“, sagt Ueckerdt. „Das sind Sektoren und Anwendungen, die wir kaum direkt elektrifizieren können.“ Die Forscher identifizieren eine sogenannte „Merit-Order des Wasserstoff- und E-Fuel-Bedarfs“: eine Priorisierung, wo diese neuen Brennstoffe vor allem eingesetzt werden sollen.

Sogenannter grüner Wasserstoff wird durch einen Prozess namens Elektrolyse hergestellt. Um die stabilen Wassermoleküle H2O in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten, wird viel (erneuerbarer) Strom benötigt. Der Wasserstoff kann dann zur Synthese von Kohlenwasserstoffen verwendet werden, indem Kohlenstoff aus CO2 hinzugefügt wird. Die dabei entstehenden mit Elektrizität erzeugten Brenn- und Kraftstoffe oder E-Fuels sind einfacher zu speichern und zu transportieren als Strom oder reiner Wasserstoff. „Entscheidend ist, dass diese Brennstoffe in konventionellen Verbrennungsprozessen und Motoren genutzt werden können und somit fossile Brennstoffe direkt ersetzen“, sagt Gunnar Luderer, Ko-Autor der Studie. „Angesichts ihrer begrenzten Verfügbarkeit wäre es jedoch falsch zu glauben, dass fossile Brennstoffe auf diese Weise vollständig ersetzt werden können.“

Mit E-Fuels verbraucht ein Pkw mit Verbrennungsmotor fünfmal mehr Energie als ein Elektroauto

„Wir sind derzeit weit entfernt von 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen – daher ist eine effiziente Nutzung dieser sauberen Energie wichtig. Wenn wir jedoch wasserstoffbasierte Kraftstoffe anstelle von direkter Elektrifizierung verwenden, wird je nach Anwendung und den jeweiligen Technologien die zwei- bis vierzehnfache Menge an Strom benötigt“, sagt Ko-Autor Romain Sacchi vom Paul Scherrer Institut. „Effizienzverluste entstehen sowohl in den Produktionsprozessen der wasserstoffbasierten Kraftstoffe, als auch bei deren Verbrauch – ein Verbrennungsmotor verschwendet viel mehr Energie als ein elektrischer.“

„Niedrige Energieeffizienzen führen zu einem fragilen Nutzen fürs Klima“, sagt Sacchi. „Wenn wasserstoffbasierte Brennstoffe mit dem aktuellen Strom-Mix erzeugt würden, würden sie die Treibhausgasemissionen leider erhöhen – und nicht senken. Beim deutschen Strom-Mix des Jahres 2018 würde die Verwendung von wasserstoffbasierten Kraftstoffen in Autos, Lastwagen oder Flugzeugen etwa drei- bis viermal mehr Ausstoß von Treibhausgasen verursachen als die Verwendung fossiler Kraftstoffe.“ Im Gegensatz dazu verursachen Elektro-Autos oder strombetriebene Lastwagen Treibhausgas-Emissionen, die in den meisten Ländern bereits mit dem heutigen Strom-Mix vergleichbar oder geringer sind als die von Diesel- oder Benzinfahrzeugen. Das zeigen die Forscher auf Basis einer Lebenszyklus-Analyse, die auch die mit der Batterieproduktion verbundenen Emissionen einbezieht.

„Nur für wirklich erneuerbare Stromsysteme werden wasserstoffbasierte Kraftstoffe zu einem effektiven Mittel, um zur Stabilisierung unseres Klimas beizutragen“, sagt Ko-Autor Jordan Everall. „Wasserstoffbasierte Kraftstoffe erfordern also ganz klar den Aufbau zusätzlicher Anlagen erneuerbarer Energieerzeugung.“

Die CO2-Vermeidungskosten liegen bislang bei rund 1000 Euro pro Tonne CO2

Selbst wenn man von 100 Prozent erneuerbarem Strom ausgeht, lägen die Kosten für die Vermeidung einer Tonne CO2 durch wasserstoffbasierte Kraftstoffe derzeit bei 800 Euro für flüssige und 1200 Euro für gasförmige Brennstoffe, errechneten die Forscher. Das ist deutlich höher als die aktuellen CO2-Preise etwa im europäischen Emissionshandelssystem, die bei knapp 50 Euro pro Tonne liegen. Mit technologischem Fortschritt – getrieben durch eine ansteigende Bepreisung von CO2-Emissionen, durch massive Subventionen sowie durch Investitionen in Wasserstoff und verwandte Industrien – könnten diese CO2-Vermeidungskosten bis 2050 auf etwa 20 Euro für flüssige und 270 Euro für gasförmige Brennstoffe sinken.

Deshalb könnten wasserstoffbasierte Brennstoffe bei steigenden CO2-Preisen wahrscheinlich bis 2040 kostenmäßig wettbewerbsfähig werden. Angesichts der Dringlichkeit der Reduzierung von Treibhausgasemissionen zur Stabilisierung unseres Klimas wäre 2040 jedoch zu spät für all jene Sektoren, in denen eine direkte Elektrifizierung möglich ist.

CO2-Preise sind nötig, um wasserstoffbasierte Brennstoffe wettbewerbsfähig zu machen

„Trotz der Ungewissheit über die zukünftigen Kosten haben wasserstoffbasierte Brennstoffe das Potenzial, eine Technologie zur Absicherung für den Ersatz der um 2040-50 noch verbleibenden fossilen Kraftstoffe zu werden. Die Verwirklichung hängt jedoch von der groß angelegten politischen Unterstützung ab, und zwar für etwa zwei Jahrzehnte, bevor Geschäftsmodelle allein durch die steigenden CO2-Preise gesichert werden könnten“, sagt Falko Ueckerdt. „Eine politische Gesamtstrategie könnte auf zwei Säulen ruhen: Erstens auf einer breiten Unterstützung von Technologien, einschließlich der direkten Elektrifizierung, um Innovationen und erste Wachstumsschritte zu fördern. Zweitens auf einer substanziellen Bepreisung von CO2 und eine Energiesteuerreform, die zusammen gleiche Wettbewerbs-Bedingungen für alle Technologien schaffen – und damit eine vernünftige Balance zwischen direkter und indirekter Elektrifizierung.“

„Die langfristige Vision von wasserstoffbasierten Brennstoffen ist vielversprechend“, sagt Gunnar Luderer. „Durch die Nutzung des riesigen Potenzials von Windkraft und Sonnenenergie im globalen Sonnengürtel in den Ländern des Südens können wasserstoffbasierte Brennstoffe global gehandelt werden und so Engpässe bei den erneuerbaren Energien in dicht besiedelten Ländern wie Japan oder in Europa beheben. Da die internationalen und nationalen Klimaziele jedoch sofortige Emissionsreduktionen erfordern, sollte heute die direkte Elektrifizierung an erster Stelle stehen, um eine sichere Zukunft für alle zu gewährleisten.“

Quelle

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) 2021

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