Coronavirus und der Siegeszug der Telearbeit
Unternehmen und Behörden müssen sich ebenso wie die Menschen umorganisieren, Telearbeit wird bleiben. Probleme haben Sicherheits- und Geheimdienstapparate.
Der Shutdown der Gesellschaften zur Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus dürfte langwierige Folgen haben und das Verhalten in manchen Hinsichten verändern. Möglicherweise werden sich die Menschen mehr zurückziehen (social distancing), weniger reisen und an Massenveranstaltungen teilnehmen. Hygiene und Schutzmaßnahmen werden noch stärker beachtet werden. Vor allem wird ein noch größerer Teil des Lebens online stattfinden, wenn das nun für Wochen eingeübt wird und die entsprechenden Programme und Angebote vorhanden sind.
Der Internettraffic hat in den Ländern mit starken Quarantäne-Maßnahmen entsprechend massiv zugelegt: Online-Kurse und -Unterricht an Schulen und Universitäten, Ausbau der Teilnahme an Online-Events, Online-Einkaufen, virtuelle Behördengänge, Telemedizin, Kommunikation und Interaktion, Unterhaltung, Schwenk von Massenverkehrsmitteln zu Autos oder Fahrrad – und vor allem auch der Ausbau von Telearbeit, die gerade im großen Stil eingeführt wird.
Telearbeit ist in vielen Ländern, u.a. in Deutschland, Griechenland, Spanien, Polen, Frankreich oder Italien, noch nicht etabliert. In Großbritannien, Island, den Niederlanden und in den nordischen Ländern sieht das schon viel besser aus. Zu erwarten ist, dass die Unternehmen, die bislang zögerlich waren, ihre Mitarbeiter regelmäßig und öfter oder auch ganz von Zuhause arbeiten zu lassen, das nicht mehr durchhalten können, wenn sie einmal, wenn auch nur vorübergehend, eingeführt wurde. Das heißt auch, dass die Unternehmen ihren Mitarbeiter die technischen Möglichkeiten zur Telearbeit eingerichtet und Arbeitsabläufe organisiert haben.
Auch wenn die Corona-Krise abgeklungen ist, werden Mitarbeiter oder Menschen, die sich bewerben, ein Recht auf Telearbeit einfordern, wenn dies nur irgendwie möglich ist. Für jüngere Menschen dürfte die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung sowie die Arbeit im Kollektiv auch keine solche Bedeutung mehr spielen wie für ältere, die das schlicht gewohnt waren. Aber auch die Unternehmen werden Vorteile von Telearbeit bemerken. Das wird Arbeits- und Lebensformen für breitere Gesellschaftsschichten verändern, aber vermutlich dazu führen, die Umstellung auf vollautomatische, KI-gesteuerte Systeme, wo möglich, zu beschleunigen, während zumindest ein Teil der neuen Telearbeiter eher Rechte verlieren wird, weil sie vermutlich nicht mehr festangestellt sind, und mit sinkendem Einkommen zu rechnen haben. Die Unternehmen können so und durch Reduzierung von Arbeitsräumen im Betrieb Kosten sparen.
Schwierigkeiten bereiten allerdings Home Office, wo hohe Sicherheitsvorkehrungen gewährleistet werden müssen. Während der Corona-Krise haben sich bereits Hackerangriffe vermehrt, etwa auf Krankenhäuser oder die bayerische Online-Plattform Mebis für Fernunterricht. Auch die Versuche, über Phishing oder Spearphishing Malware in Firmen- und Behördennetze einzuschleusen, nehmen zu, da durch vermehrte Telearbeit und Internetnutzung die Zahl der Ziele ebenso steigt wie die Verwundbarkeit. Dänemark hat daher gerade eine Kampagne zur Cybersicherheit gestartet, um Internetnutzer etwa zu informieren, wie sie gefährliche Emails oder Cyberangriffe erkennen können, da die digitale Sicherheit im Home Office geringer sein kann.
Stecken Geheimdienste und Co. organisatorisch noch um Prä-Internet-Zeitalter?
Schwierigkeiten bereitet die Umstellung auf Telearbeit dort, wo hohe Sicherheit etwa wegen Geheimhaltung gewährleistet werden muss. Das könnte vor allem die Informationsarbeiter in den Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden betreffen, deren „intelligence“ keinesfalls nach draußen soll (wobei allerdings, wir wissen dies spätestens seit Manning und Snowden, die Arbeit in einem Büro nicht vor Leaks schützt).
Nach einem Bericht von Defense One ist man im Pentagon unsicher, wie und ob man auf Telearbeit umschalten kann, um die Verbreitung der Coronapandemie im Verteidigungsministerium, den Geheimdiensten und den vielen kooperierenden Rüstungs- und Sicherheitsunternehmen einzudämmen.
Das betrifft selbstverständlich nicht die Angestellten, die in den Rüstungskonzernen Waffensysteme bauen, sondern diejenigen, die eine Sicherheitsüberprüfung über sich ergehen lassen mussten, um als geheim eingestufte Informationen in bestimmten Einrichtungen und mit gesicherten Computern zu verarbeiten: „Geheimdienstanalysten, Kriegsstrategen und Ingenieure, die die Waffen der nächsten Generation entwickeln“. Schwierig ist es auch für Hunderttausende von „Contractors“, die keinen Zugang zu Geheiminformationen haben, aber vom Pentagon nun als Seuchenbekämpfungsmaßnahme nach Hause geschickt werden, weil sie keine Angestellten sind, die unbedingt vor Ort tätig sein müssen. Meist ist in ihren Verträgen keinerlei Regelung für Telearbeit.
Die Pandemie, die die US-Regierung lange verschlafen hat, war im Pentagon und den Geheimdiensten zwar in Simulationen vorhergesehen worden, aber man hat sich nicht vorbereitet und weiß nun nicht, wie man die Telearbeit für diese Angestellten organisieren soll. Für diejenigen, die auf geheim eingestufte Informationen zugreifen müssen, gibt es angeblich keine Alternative, als weiter in den gesicherten Regierungsgebäuden zu arbeiten, da sie aus Sicherheitsgründen nicht ihren Laptop mit nach Hause nehmen und dort einschalten können, um auf die Verschlusssachen zuzugreifen. Es müssten erst neue Geräte angeschafft und für sichere Verbindungen gesorgt werden.
Der gewaltige US-Geheimdienstapparat und Teile des militärischen Systems könnten zeitweise zu Inkubatoren des Virus oder lahmgelegt werden, weil bei aller schon lange gepredigten militärischen Bedeutung des Cyberspace und trotz des neuen Cyberkommandos organisatorisch viele Strukturen noch im Prä-Internet-Zeitalter stecken – obgleich das Internet eine Entwicklung des Pentagon gewesen ist, um Gefahrenabwehr durch vernetzte Dezentralisierung zu realisieren. Man dachte dabei allerdings an eine Atombombe, nicht an einen Virus. Und jetzt ist das Internet auch deswegen unsicher, weil Geheimdienste wie die NSA Sicherheitslücken offenhalten oder schaffen, aber auch Schadsoftware basteln. Die kann auch abhanden kommen, wie 2017 drastisch mit dem auf dem NSA-Exploit Eternal Blue basierenden WannaCry-Angriffen deutlich wurde.
Quelle
Der Bericht wurde von
der Redaktion „TELEPOLIS“ (Florian Rötzer)
2020 verfasst – der Artikel darf nicht ohne
Genehmigung von Florian Rötzer 2020 weiterverbreitet
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