Die Weihnachtsbotschaft: „Sei klüger als Dein Feind“
Sei klüger als dein Feind – dies ist für Bestsellerautor Franz Alt die Kernbotschaft der Bergpredigt. Ein Gespräch über schizophrenes Christentum, Heilige Kriege und deutsche Waffenexporte.
Christ & Welt: Woher kommt die Friedenssehnsucht an Weihnachten?
Franz Alt: Weil Weihnachten eine Revolution ist. Weil das Kind, das Weihnachten geboren wurde, der bedeutendste Friedensheld der Weltgeschichte ist. Weil dieses Kind eine Botschaft für die ganze Menschheit hatte, die einfach umwerfend war, nämlich: Nicht nur Frieden ist möglich, sondern Feindesliebe müsst ihr lernen. Feindesliebe, das ist für mich die Magna Charta für eine andere und eine bessere Welt. Feindesliebe heißt ja nicht: Du sollst dir von deinem Feind alles bieten lassen. Das ist ja ständig missverstanden worden. Diese Sentimentalos, die nie begriffen haben, was der Mann aus Nazaret wirklich meint. Feindesliebe heißt: Sei klüger als dein Feind.
C & W: Was hindert die Menschen denn daran, Feindesliebe zuzulassen?
Alt: Das ist eine Frage des Umdenkens. Einer muss anfangen. Europa ist ein Friedenskontinent geworden, und die atomare Abrüstung war eine Voraussetzung dafür. Das Jahr 1989 war ganz im Sinne der Bergpredigt. Und natürlich das, was der Kommunist Michail Gorbatschow gemacht hat. Er hat gesagt: Egal, was der Westen macht, wir werden abrüsten. Das ist intelligent. Einer muss anfangen aufzuhören.
C & W: Gilt das auch für Israel und Palästina?
Alt: Ja! In Palästina sieht man doch seit 60 Jahren, dass Frieden nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ nicht möglich ist. Doch Frieden ist nicht überirdisch oder unmöglich. Die Beendigung des Kalten Krieges – da stand sich die ganze Welt so gegenüber wie jetzt Israel und Palästina. Bewaffnet bis an die Zähne. Der Westen und Osten hatten 50-mal die Möglichkeit, sich gegenseitig umzubringen, und dann kam Gorbatschow. Wenn eine friedliche Revolution wie 1989 in der ganzen Welt möglich war, dann gilt dies auch für den Nahen Osten. Die Israelis dürfen nicht nur von Frieden reden, sie müssen mehr politischen Willen zeigen. Nach jedem Krieg wird ein Friedensabkommen geschlossen.
C & W: Gibt es hierzulande Politiker, die mit der Bergpredigt regieren?
Alt: In Deutschland kenne ich nur zwei. Das sind Richard von Weizsäcker und der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner. Alle anderen, Otto von Bismarck, Helmut Schmidt, Helmut Kohl haben gesagt, die Bergpredigt gilt privat, aber nicht politisch. Welch eine Schizophrenie! Wenn die Bergpredigt nur sonntags gilt und dann von Montag bis Freitag wieder die Realpolitik, dann ist Christsein Schizophrenie.
C & W: Müssten demnach Politiker bereit sein, für ihre Politik auch zu sterben?
Alt: Wenn ich unangreifbar sein will, darf ich nicht in die Politik gehen. Man sieht ja, wie oft Politiker Anschlägen ausgesetzt sind. Mit dem Risiko muss ich immer leben. Gorbatschow hat sein Leben riskiert, er ist gestürzt worden.
Jeder Politiker geht dieses Risiko ein. Wie viele Politiker sind umgebracht worden? Kennedy, Gandhi, das sind ja nur zwei Beispiele.
C & W: Ist diese Risikobereitschaft ein ausschlaggebendes Kriterium?
Alt: Politiker wissen, dass sie immer gefährdet sind, siehe Wolfgang Schäuble. Und zwar nicht, weil sie Christen sind, sondern weil es immer Idioten, Extremisten und Radikale gibt. Ich will nicht so weit gehen zu sagen, du musst dein Leben opfern. Das wäre mir zu radikal. Man muss kämpfen, konsequent sein, in der Spur Jesu bleiben.
C & W: Was hätte es gebracht, wenn George W. Bush oder Obama mit bin Laden geredet hätten? Waren die Fronten nicht schon geklärt?
Alt: Bin Laden hat oft gesagt, er würde mit Bush reden. Ich habe mit dem Dalai Lama über den Irakkrieg diskutiert. Seine Philosophie lautet: Ich kenne keine Feinde. Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht kennengelernt habe. Der Dalai Lama hat dem damaligen Präsidenten Bush am 11. September 2001 einen Brief geschrieben: Lieber Herr Präsident: Auch bin Laden ist unser Bruder, selbst wenn er unser größter Feind gewesen ist. Bush hat nie geantwortet. Machtmenschen wie er werden das nie begreifen.
C & W: Das Streben nach Macht gehört genauso zum Menschen wie die Suche nach Frieden … Gibt es einen Ausweg aus dieser Ambivalenz?
Alt: Das ist ein Dilemma, aber ich glaube, dass die Welt friedlicher wird. Der Sinn unseres Daseins besteht nicht darin, dass wir uns gegenseitig umbringen, sondern lernen, in Frieden und Freiheit miteinander zu leben. Die Welt bewegt sich im Sinne der Bergpredigt auf den Frieden zu. Im 17. Jahrhundert war halb Europa zu Tode gekommen, und zwar überwiegend durch Gewalt im Dreißigjährigen Krieg. Natürlich haben wir noch immer viel Gewalt, in diesem Jahr allein verzeichnen wir 20 Kriege. Aber das ist weit weniger als vor 100 Jahren. Es gibt große Fortschritte. Der wunderbare Mann aus Nazaret hat nicht umsonst gelebt, genauso wie Buddha, Gorbatschow, Gandhi, Laotse und Albert Schweitzer.
C & W: Das klingt ja sehr nach Weihnachten. Braucht Deutschland dann demnächst keine Bundeswehr und Polizei mehr?
Alt: Ich glaube, eines Tages, und daran muss man arbeiten, ist auch eine Welt möglich, in der Deutschland keine Bundeswehr mehr braucht. So wie wir keine Atomwaffen gebraucht haben, brauchen wir auch eines Tages keine Bundeswehr mehr. Eine Welt ohne Polizei, das wird noch länger dauern, ist aber auch eines Tages nicht unmöglich. Die Welt ist, wie sie ist, ich bin ein großer Realist. Gerade in der Schule der Bergpredigt lernt man politischen Realismus. Jesus war ein großer Menschenkenner.
C & W: Macht der Glaube Menschen zu Friedensstiftern?
Alt: Das kann man so nicht sagen. Wir Christen und westlichen Kolonialisten haben Brutales auf der Welt angerichtet. Wir sind nicht die besseren Menschen, wie sind nicht grundsätzlich Friedensstifter. Gorbatschow zum Beispiel würde sich nicht als Christ bezeichnen, er ist einfach ein großer Humanist. Mir hat es sehr geholfen, mich auf Jesus von Nazareth stützen zu können.
C & W: Ist Religion bei politischen Konflikten Friedensfaktor oder Störfeuer?
Alt: Beides ist möglich. Wenn Religion sich radikalisiert und Fundamentalisten nach oben spült, dann kann das furchtbar sein. Dann entstehen Heilige Kriege und Religionskriege. Deswegen hat Hans Küng recht, wenn er immer wieder betont, dass es keinen Frieden ohne Religionsfrieden gibt. Wo Religion missbraucht wird und in Gewalt umschlägt, ist sie genauso furchtbar wie gereizte Tyrannei. Auf der anderen Seite können Religion und Spiritualität dazu bewegen, als Friedensstifter zu arbeiten. Ich kann Religion missbrauchen, ich kann sie aber auch im Sinne von Frieden und Freiheit einsetzen.
C & W: Europa gehört zu den größten Waffenexporteuren der Welt, was hat das mit Frieden zu tun?
Alt: Da sieht man, was noch an Aufgaben vor uns liegt. Ich schäme mich als Deutscher, dass wir als Waffenexporteur an dritter Stelle weltweit liegen. Der Friedensnobelpreis von 2012 an die EU sollte ein Ansporn sein, diese Fragen intensiver zu diskutieren. Europa bleibt eine Friedensaufgabe. Wir haben zurzeit weltweit 388 Konflikte, 20 davon werden als Kriege eingestuft. Wir hatten über 400 Kriege seit 1949. All das kann stattfinden, weil Europa, Russland, weil die USA, China und Deutschland Waffen in diese Krisengebiete liefern. Heilige sind wir noch lange nicht, aber Teilzeitheilige, das ist doch auch schon etwas.
C & W: Ist das nicht ein wenig zu optimistisch? Schließlich verteidigen wir unseren materiellen Wohlstand zuweilen mit Waffengewalt …
Alt: Ja wir führen Kriege wegen der zu Ende gehenden Ressourcen zum Beispiel Kriege um Öl. Wenn im Irak nur Bananen wüchsen, wäre da kein einziger amerikanischer Soldat. Um die Sonne kann kein Mensch Krieg führen, sie scheint für alle. Deswegen ist die Energiefrage immer eine Friedensfrage. Wir Christen dürfen nicht nur vom Frieden reden oder darum beten. Wir müssen für den Frieden arbeiten. Frieden in uns ist die Voraussetzung für Frieden um uns.
Quelle
Astrid Prange de Oliveira 2012DIE ZEIT | Christ & Welt 2012