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Energetischer Epochenbruch: Eine Regierung für eine andere Welt

Die Staaten arbeiten seit Längerem an der Umsetzung des Netto-Null-Szenarios der Internationalen Energieagentur. Wahrscheinlich beschreibt das Szenario also die Zukunft recht genau. Dann endet in der nächsten Legislatur das Ölzeitalter und das Zeitalter der Elektrizität beginnt. Von Christian Mihatsch

Die Bundestagswahl 2025 findet in einem ungewöhnlich volatilen Umfeld statt – geopolitisch, technologisch und wirtschaftlich. Es herrscht Krieg in Europa, und in der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump dürften sich die Spannungen mit China noch deutlich verschärfen.

Die künstliche Intelligenz macht rasend schnelle Fortschritte. Und wirtschaftlich droht ein Handelskrieg mit den USA, der die aktuellen Probleme Deutschlands noch weiter vertiefen dürfte.

Hinzu kommen die unknown unknowns, also bislang noch völlig unbekannte Risiken, gemäß dem früheren US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Doch es gibt einen Politikbereich, in dem heute schon absehbar ist, wo die Welt in vier Jahren stehen wird, am Ende der Legislaturperiode der kommenden Regierung: die Energiepolitik.

In der Energiepolitik hat die Menschheit eine Glaskugel, die zeigt, wie die Welt im Jahr 2030 aussehen wird: das Netto-Null-Emissions-Szenario der Internationalen Energieagentur IEA.

Dieses Szenario wurde 2021 erstmals beschrieben in einer IEA-Studie mit dem Titel „Netto-Null bis 2050: Ein Fahrplan für den globalen Energiesektor“. Im Vorwort der aktualisierten Studie aus dem Jahr 2023 schrieb IEA-Chef Fatih Birol: Der Bericht „wurde schnell zu unserer meistgesehenen und am häufigsten heruntergeladenen Publikation aller Zeiten“.

Birol deutet das als „Zeichen für die starke Nachfrage nach klaren und unvoreingenommenen Analysen, die die Temperaturziele des Paris-Abkommens in praktische Meilensteine für den globalen Energiesektor umsetzen“. Der IEA-Fahrplan sei daher ein „Bezugspunkt für Regierungen, Unternehmen, Investoren und die Zivilgesellschaft“, also eine Art Glaskugel für die relevanten Entscheider.

Das Szenario zeigt auf, was passieren muss, damit der globale Energiesektor bis zum Jahr 2050 auf netto null Emissionen kommt. Besonders detailliert sind die Kapitel zu den Jahren bis 2030 – die Amtszeit der nächsten Bundesregierung. Das Szenario beschreibt, wie sich der globale Energiesektor bis dahin entwickeln muss und wohl auch wird.

Es zeichnet also ein Bild des Umfelds, in dem die nächste Regierung agieren wird, mit Konsequenzen in vielen Politikfeldern: der Energie-, Wirtschafts-, Industrie-, Europa-, Rohstoff- und Energieaußenpolitik. Wenn die nächste Regierung also ihrem Amtseid gerecht werden will, dem „Wohle des deutschen Volkes“ zu dienen und seinen Nutzen zu mehren, hat sie mit dem Netto-Null-Szenario einen Leitfaden für ihre Entscheidungen.

Umgekehrt haben die Wählerinnen und Wähler mit dem IEA-Szenario eine Entscheidungshilfe: Welche Partei ist mit ihrem Personal und Programm am besten aufgestellt, um in den nächsten vier Jahren Deutschland erfolgreich zu führen?

Die Glaskugel

Damit das 1,5-Grad-Ziel „in Reichweite“ bleibt, wie der Titel des 2023 aktualisierten Netto-Null-Szenarios verspricht, müssen die Emissionen aus dem Energiesektor bis 2030 deutlich fallen: von 37 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr 2022 auf noch 24 Milliarden Tonnen, eine Reduktion um mehr als ein Drittel. Diese massive Reduktion in wenigen Jahren kann mit nur drei Maßnahmen erreicht werden.

Die erste und wichtigste ist eine Verdreifachung der Kapazität der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030, von 3.630 Gigawatt (2022) auf 11.000 Gigawatt. Das macht eine massive Steigerung beim Ausbau erforderlich.

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Bei der Solarenergie steigt der jährliche Zuwachs von 220 Gigawatt im Jahr 2022 auf 820 Gigawatt 2030 und bei der Windenergie von 75 auf 320 Gigawatt. Aus Sicht der IEA ist dies möglich: „Wenn das derzeitige Wachstumstempo bis 2030 beibehalten wird, wäre der Stromsektor auf dem richtigen Weg, um die Anforderungen des Netto-Null-Szenarios zu erfüllen.“

Die massive Erhöhung der Erzeugungskapazität von Wind- und Solarkraftwerken führt dann zu einer deutlichen Veränderung im globalen Strommix: Der Anteil von Grünstrom verdoppelt sich von rund 30 Prozent 2022 auf 60 Prozent im Jahr 2030. Die Produktionszuwächse aus erneuerbaren Quellen übertreffen zudem die steigende Stromnachfrage deutlich, sodass fossile Kraftwerke aus dem Markt gedrängt werden: Der Verbrauch von Kohle, Erdgas und Erdöl geht um „mehr als 25 Prozent“ zurück.

Die zweite wichtige Maßnahme ist eine massive Reduktion der Energieintensität. Im Jahr 2022 sank der Primärenergieaufwand gemessen an der Wirtschaftsleistung um zwei Prozent. Diese Rate muss im Netto-Null-Szenario auf vier Prozent pro Jahr verdoppelt werden.

Auf den ersten Blick wirkt das Ziel optimistisch, aber die IEA hat drei „Hebel“ identifiziert, um es zu erreichen. Der erste ist die Steigerung der Energieeffizienz von Elektrogeräten, nicht zuletzt durch Kostensenkungen bei besonders sparsamen Modellen. Der zweite ist die Reduktion des Energieverbrauchs, etwa durch Telekonferenzen anstelle von Dienstreisen.

Und der dritte Hebel ist die Elektrifizierung, besonders von Autos und Heizungen. Elektroautos sind doppelt bis viermal so energieeffizient wie solche mit Verbrennungsmotor und Wärmepumpen gar drei- bis fünfmal so effizient wie Gasheizungen. Dadurch ist der globale Energieverbrauch im Jahr 2030 um zehn Prozent niedriger als 2022, obwohl die Weltwirtschaft weiter gewachsen ist.

Die dritte Maßnahme im Netto-Null-Szenario für die nächsten fünf Jahre ist schließlich eine Reduktion der Methan-Emissionen aus dem Energiesektor um 75 Prozent. Auch dieses Ziel wirkt auf den ersten Blick optimistisch.

Auf den zweiten Blick sieht man jedoch, dass es nicht nur technisch möglich, sondern auch relativ billig ist. Fast alle Methanemissionen aus dem Energiesektor, umgerechnet in CO2-Äquivalente, lassen sich für 20 US-Dollar pro Tonne vermeiden.

Außerdem sind Methanlecks immer leichter zu erkennen. So hat im März letzten Jahres MethaneSat seine Arbeit aufgenommen, ein Satellit zur Erkennung von austretendem Methan. Viele Länder haben daher bereits neue Regeln für Methanemissionen erlassen oder bereiten solche Regeln vor.

Hinzu kommt, dass durch die ersten beiden Maßnahmen der Verbrauch an fossilen Energien sinkt und damit auch der Methanausstoß. Das Netto-Null-Szenario sieht zudem vor, dass die Nutzung „traditioneller Bioenergie“, typischerweise Brennholz, bis 2030 weltweit auf null zurückgeht. Auch dadurch sinken die Methanemissionen.

Komplettiert werden die ersten beiden Maßnahmen durch den Ausbau der Stromnetze sowie der Energiespeicher, meist in Form von Batterien.

Zudem muss in den Aufbau von Technologien investiert werden, die lange Vorlaufzeiten haben. Das betrifft etwa die Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie: Stahl, Aluminium, Chemie, Zement. Für den Luft- und Seeverkehr müssen die Produktionskapazitäten für alternative Kraftstoffe hochgefahren werden. Das Gleiche gilt für die Herstellung von grünem Wasserstoff.

Für den Zeitraum bis 2030 spielen diese Sektoren aber eine untergeordnete Rolle im Netto-Null-Szenario. Die drei oben genannten Maßnahmen und die Elektrifizierung insbesondere mittels Elektroautos und Wärmepumpen sollen für „mehr als 80 Prozent der erforderlichen Emissionsreduktionen bis 2030“ sorgen.

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Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Christian Mihatsch) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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