Ist die Energiewende noch zu schaffen?
Die Einsicht ist da, die Technik ist da. Und doch droht die Energiewende zu scheitern. Dabei steht Deutschland mit seiner Führungsrolle in der Verantwortung, zu zeigen: Es geht! forum beschreibt, was wir jetzt dringend anpacken müssen, damit die Wende gelingt. Von Lars Waldmann
Die Energiewende ist eines der größten und herausforderndsten Projekte, die wir im globalen Maßstab vor uns haben und endlich werden erste Schritte zur Lösung unserer Umwelt- und Klimaprobleme ergriffen. Die notwendige Dekarbonisierung wird unseren Lebensstil grundlegend verändern: Die künftige Mobilität setzt auf Wasserstoff und Strom statt auf Öl, auf intelligente Fortbewegung statt auf Blechlawinen. Wir ändern die Art, wie wir bauen und wohnen, wie wir Häuser heizen und kühlen. Die Art, wie wir Energie erzeugen und verbrauchen. Wir denken globaler und gleichzeitig werden viele Aktivitäten lokaler und vernetzter.
Es gibt viel zu tun
Heute heißt die Frage nicht mehr: „Wie groß sind die Vorräte an Kohle, Öl und Gas, die uns noch zur Verfügung stehen?“, sondern „Wieviel davon dürfen wir noch verbrauchen, wenn wir das Klima nicht killen wollen?“ Nach dem fünften Sachstandsbericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) von 2015 müssen bis zum Jahr 2100 rund 90 Prozent der Kohle, etwa 60 Prozent des Öls und 60 Prozent der bekannten Gasvorkommen in der Erde bleiben, wenn die gesetzten CO2-Ziele erreicht werden sollen. Das macht es den Unternehmen, die in den letzten 100 Jahren mit der Verwertung fossiler Brennstoffe gutes Geld verdient haben, schwer, ihr Geschäftsmodell fortzusetzen.
Ihr bisheriges Zögern hat ihnen schon jetzt Milliardenverluste und uns hohe C02-Emissionen eingebracht. Es wird Zeit, dass sie neue Perspektiven für sich erarbeiten und erkennenSonne, Wind, Biomasse und Wasserkraft als Energieträger der Zukunft erkennen. Und um diese richtig nutzen zu können, braucht es ein anderes, neues Energiesystem. Das nicht nur CO2-frei, sondern auch noch bezahlbar bleiben soll. Und aus unseren Steckdosen soll auch dann Strom kommen, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Damit das gelingt, müssen wir jetzt grundlegende Voraussetzungen schaffen.
Haben wir die richtigen Technologien für die Energiewende?
Wir haben keinen Technologie-Engpass in der Energiewende. Die eingesetzten Technologien sind inzwischen sehr weit entwickelt: Wir können wirtschaftliche Solaranlagen und Windmühlen bauen, deren Strom kostengünstiger ist als der aus einigen konventionellen Kraftwerken. Waren es früher noch wenige, aber dafür große zentrale Anlagen, die an den Höchstspannungsleitungen der Übertragungsnetze angeschlossen waren, sind es heute viele kleinere, die räumlich verteilt sind. Über 1,6 Millionen Anlagen zur Stromerzeugung sind bundesweit installiert, mehr als 95 Prozent davon in privater Hand. Sie hängen zu 97 Prozent an den Verteilnetzen. Damit verändert sich auch die Verantwortung für die Netzsicherheit. Sie wird künftig viel stärker regional bei den Verteilnetzbetreibern liegen, also bei den Kommunen und Stadtwerken. Doch das ist alles ohne größere Probleme steuerbar: Die im ganzen Land verstreuten Anlagen können über ein Signalnetz miteinander verbunden und digital gesteuert werden. Dennoch benötigen wir einen großräumigeren Austausch von Strom und Daten innerhalb Europas, um Wind und Sonne besser nutzen zu können.
Technische Lösungen müssen eingesetzt werden
Und um den Strom aus den Windanlagen im Norden der Bundesrepublik zu den Industriestandorten im Süden zu bringen, benötigen wir neben den geplanten Übertragungsleitungen eine intelligente Verteilung und koordinierten Einsatz der regional vorhandenen Energie. Wenn wir also die Klimaziele der Bundesregierung erreichen wollen und gleichzeitig die Sektorkopplung, das heißt die Nutzung regenerativer Energien auch für andere Sektoren wie etwa der Mobilität oder der Heizung, ernst nehmen, sollten wir die vorhandenen technischen Lösungen endlich einsetzen. Darüber hinaus müssen wir dazu auch noch viel mehr erneuerbare Energie erzeugen, als bislang geplant. Der Jahresverbrauch in der Bundesrepublik beträgt derzeit weniger als 600 Terawattstunden Strom. Die aktuellen Prognosen (z.B. V. Quaschning 2016) für die Zukunft kommen auf das Doppelte bis Fünffache, wenn wir auch den Wärme- und den Transportsektor vollständig mit erneuerbaren Energien elektrifizieren wollen. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf für die kommende Legislaturperiode.
Was ist zu tun?
Die vier wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre lauten: Effizienzziele noch konsequenter umsetzen, erneuerbare Energien verstärkt ausbauen, Netzstabilität und Versorgungssicherheit neu strukturieren, tragfähige Marktmodelle entwickeln.
Effizienzziele umsetzen: Die Bundesregierung hat das Ziel, bis 2020 den Strombedarf um 10 Prozent (im Vergleich zu 2008) zu senken. Bis 2050 sollen es 40 Prozent Einsparung sein. Durch eine Elektrifizierung der Heizung und des Autos werden diese Ziele vor neue Herausforderungen gestellt.
Ausbau erneuerbarer Energien: Der Anteil erneuerbarer Energien (EE) an Primärenergie liegt heute bei mickrigen 13 Prozent Hier muss nachgesteuert werden. Der Ausbaukorridor für EE wurde mit der Zielsetzung definiert, bis 2050 rund 85 Prozent EE im Strommix zu haben. Schon der heutige Zubau reicht nicht aus, um diese Ziele zu erreichen.
Versorgungssicherheit: Die Bundesnetzagentur hat die Aufgabe, zusammen mit den Akteuren im Energiesektor den Verantwortungsbereich für die Netzstabilisierung an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Hier ist 2016 ein erbitterter Machtkampf zwischen den Übertragungsnetzbetreibern und den Verteilnetzbetreibern entbrannt, den es dringend zu moderieren und zu lösen gilt.
Marktdesign: Viele der Probleme in der heutigen Energiewirtschaft kommen aus der Parallelstruktur von verschiedenen Akteurs- und Marktebenen. Wir haben die Erneuerbaren nicht in „den“ Markt integriert, sondern zusätzliche Marktsegmente geschaffen, die neben dem etablierten Marktsystem der Konventionellen laufen. Hier eine tragfähige Lösung zu erarbeiten, wird die wichtigste Aufgabe der kommenden Bundesregierung werden. Die Kernkomponenten einer neuen Marktstruktur sind:
- Schrittweises Zurückfahren der Terminmärkte für Strom. Kraftwerke, die über fünf Jahre im Voraus und noch längere Termine Stromkontrakte verkauft haben, können aufgrund ihrer Lieferverpflichtung nicht so flexibel auf die aktuelle Erzeugung reagieren oder ihre Angebote zurückziehen. In der Folge ist kein Platz in den Stromnetzen und die Erneuerbaren werden ab geregelt. Das muss geändert werden.
- Konzentration auf einen liquiden Day-Ahead-Markt für alle Energieträger. Heute werden immer noch die fossilen Kraftwerksleistungen wie vor 40 Jahren an den Terminmärkten gehandelt, während Ausgleichsenergie und die Erneuerbaren auf separaten kurzfristigen Märkten angeboten werden. Um künftig flexibler auf Erzeugung und Verbrauch regieren zu können, müssen alle Strommengen auf einem gemeinsamen Markt jeweils für den kommenden Tag gehandelt werden. Dann kann der Einfluss von Wind und Sonne berücksichtigt werden.
- Einbinden lokaler Preissignale, um Netzengpässe und erforderliche Systemdienstleistungen einzupreisen. Unser jetziges Marktmodell nimmt an, das die Stromleitungen beliebig groß sind, wie auf einer Kupferplatte. Diese Annahme entspricht nicht der Realität. Ein Preis für Engpässe bringt den Strommarkt näher an die Wirklichkeit und sorgt für regionale Flexibilität.
- Umstellung auf einen Vollkostenmarkt durch Schaffung einer marktwirksamen CO2-Komponente zur Internalisierung der externen Kosten. Erst wenn zusätzlich zu den kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Kosten der Stromerzeugung (z.B. Treibstoff) auch die volkswirtschaftlichen langfristigen Kosten (z.B. Endlager oder Klimafolgen) in den Marktpreis eingerechnet werden, können die unterschiedlichen Energieträger wirklich miteinander konkurrieren.
Die Umsetzung der Energiewende ist jetzt in der dritten Phase angelangt, der Etablierungsphase. In der Experimentierphase haben wir alle Technologien entwickelt und auf ihre Skalierbarkeit geprüft. Durch eine kostendeckende Vergütung von Strom aus Wind, Sonne und Biomasse haben die wichtigsten Energieträger in der Expansionsphase nennenswerte Zuwächse verzeichnet und in Deutschland die Preiserfahrungskurve durchlaufen. In der dritten Phase geht es nun darum, die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen so anzupassen, dass sich Angebot und Nachfrage für CO2-freie Energie effizient treffen können.
Quelle
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2017 – Tierische Geschäfte erschienen. Weitere Info und bestellen | Lars Waldmann ist
Techniksoziologe und Wirtschaftswissenschaftler und seit 30 Jahren in
der Energiewirtschaft tätig. Heute ist er Geschäftsführer von
Energiewende Consult, einem international tätigen Beratungsunternehmen
und kämpft mit Leib und Seele für eine enkeltaugliche Zukunft.