Klimakrise noch gefährlicher als bislang angenommen
Das Klimasystem könnte deutlich sensibler auf CO2-Emissionen reagieren als bisher angenommen, zeigen neueste Computermodelle. Falls sich dies bewahrheitet, hätte die Menschheit noch weniger Zeit, um eine katastrophale Überhitzung zu verhindern. Woher die Zusatzerwärmung kommt, können die Forscher noch nicht erklären.
Der nächste Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC kommt übernächstes Jahr. Doch die Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren. Das gilt besonders für Wissenschaftler, die Computermodelle des Klimas entwickeln.
Insgesamt 42 Forschungsinstitute aus der ganzen Welt haben 109 solche Modelle angekündigt. Einige dieser Modelle sind bereits fertig und zeigen einen bedrohlichen Trend.
Im Zentrum steht dabei die Frage, wie stark sich das Klima erwärmt, wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre im Vergleich zur Zeit vor der industriellen Revolution verdoppelt wird.
Damals kamen 280 CO2-Moleküle auf eine Million „Luftteilchen“, wissenschaftlich 280 ppm (parts per million). Heute liegt dieser Wert bei über 410 ppm und steigt bis zum Jahr 2060 auf 560 ppm, wenn nicht massive Anstrengungen unternommen werden, um die Emissionen zu reduzieren.
In alten Modellen lag die „Klimasensitivität“, also die Reaktion des Klimasystems auf eine CO2-Verdopplung, zwischen 2,1 und 4,7 Grad. In den bereits vorliegenden, neuen Modellen liegt die Klimasensitivität allerdings signifikant höher: bei 2,8 bis 5,8 Grad.
Mindestens acht Modelle von bekannten Forschungsinstituten ergeben Werte von über fünf Grad. Der Trend zu höheren Werten sei „definitiv real“, sagt Reto Knutti von der ETH Zürich und fragt: „Ist das realistisch? Im Moment wissen wir das nicht.“
Die neuen Modelle sind den alten aus dem Jahr 2014 deutlich überlegen. Zum einen stehen bessere Supercomputer und mehr Daten von Messstationen zur Verfügung, um die Modelle durchzurechnen. Zum anderen haben die Forscher neue Faktoren des Klimasystems in ihre Modelle integriert wie die Wolkenbildung und den kühlenden Effekt von Luftverschmutzung.
Diese Verbesserungen führen nun zu einer höheren Klimasensitivität. Warum das so ist, können die Forscher aber noch nicht erklären.
Aufschluss könnte ein Test der Modelle durch den IPCC bringen. Der Test entspricht einem Hindernislauf, bei dem die Modelle fünf Aufgaben bewältigen müssen, etwa die Modellierung des Klimas vor der industriellen Revolution oder eine Vervierfachung der CO2-Konzentration.
Sollte sich die höhere Klimasensitivität bestätigen, dann hätte das „wichtige Folgen für die CO2-Budgets“, schreiben drei Forscher in einem Gastbeitrag für das britische Klimaportal Carbon Brief. Der IPCC sagt derzeit, dass die Menschheit ihre Emissionen bis 2030 halbieren und bis 2050 auf netto null senken muss, damit eine Chance von 50 Prozent besteht, die Klimaüberhitzung bei 1,5 Grad zu stoppen.
Für die Menschheit ist es von existenzieller Bedeutung, dass dieser Wert nicht überschritten wird. Denn zwischen 1,5 und zwei Grad könnten Kipppunkte des Klimasystems lauern, nach deren Überschreiten Rückkopplungseffekte wie das Tauen des Permafrosts dafür sorgen, dass sich der Klimawandel selbst verstärkt und eine Erwärmung um vier bis fünf Grad und mehr nicht mehr verhindert werden kann.
Die Möglichkeit, dass die Modelle korrekt sein könnten, ist mittlerweile eine emotionale Belastung für Klimaforscher, wie ein Gastbeitrag der australischen IPCC-Autorin Joëlle Gergis im australischen Magazin The Monthly zeigt. „Hin und wieder gelingt es der Wirklichkeit des wissenschaftlichen Kenntnisstands, den emotional tiefgefrorenen Teil von mir zu schmelzen, den ich brauche, um meinen Job zu machen. In diesen Momenten kommt pure Trauer zum Vorschein“, sagt Gergis.
„Bereit zu sein, die Ankunft des Point of no Return anzuerkennen, erfordert Mut.“
Quelle
Der Bericht wurde von
der Redaktion „klimareporter.de“ (Christian Mihatsch) 2019 verfasst – der Artikel
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